Haben Sie schon mal eifrig Ihre Meinung vertreten? Und sich richtig toll gefühlt, wenn Sie sich damit durchsetzen konnten? Lesen Sie hier, warum manche Yogis Meinungen nicht sonderlich ernst nehmen
„Jetzt kommt die Krankheit, dass man zu allem eine Meinung haben muss, sogar bis nach Indien.“ Eine belgische Nonne, die in einem kleinen Ashram in Südindien lebt, machte diese Bemerkung. Es stimmte mich nachdenklich. Sie hat Recht. Im Westen muss man zu allem, was passiert, eine Meinung haben, denn dann wird man für gebildet und für eine reife Persönlichkeit gehalten.
Wir leben schließlich im Informationszeitalter, und es ist leicht, sich eine Meinung zu bilden. Dabei wird meist übersehen, dass die Medien keineswegs umfassende Fakten liefern, aus denen man sich eine ausgewogene Meinung bilden könnte. Oft vermitteln sie fertige Meinungen. Nicht umsonst werden Journalisten Meinungsmacher genannt.
Wenn Leute für gebildet und reif gehalten werden, nur weil sie wiederholen können, was jemand anders gesagt oder geschrieben hat, dann ist das natürlich ein bedauernswerter Zustand. Aber ist es eine Krankheit? Meinungen an sich sind sicher keine Krankheit. Sie sind bloße Gedanken. Aber wenn wir Meinungen zu ernst nehmen, uns mit ihnen identifizieren, in ihnen aufgehen, sie verteidigen und die anderer abwehren oder angreifen, ist das sicher nicht gesund.
Wir werden dann von Meinungen, bzw. Gedanken getrieben, sind von ihnen regelrecht besessen und sind uns dessen gar nicht bewusst. Wir wollen dann andern ‚beweisen’, dass sie falsch liegen – und vergessen, dass ein Beweis, weiß Gott, nicht möglich ist. Die Nonne meinte mit Krankheit wohl diese versteifte Haltung, die in Indien noch nicht so verbreitet ist. Vielleicht deshalb, weil die Inder generell noch eher in ihrer alten Weisheit verwurzelt sind.
Die Weisen Indiens (und nicht nur Indiens) sagen nämlich, dass es sich nicht lohnt und sogar schadet, Gedanken so ernst zu nehmen. Gedanken, Meinungen, Erinnerungen und so weiter gehen uns durch den Kopf. Sie sind vergängliche Formen im reinen Bewusstsein. Sie sind temporär. Sie mögen zwar immer wiederkommen und nebenbei auch starke und meistens negative Gefühle produzieren, aber wir machen zweifellos einen Fehler, wenn wir uns damit identifizieren, uns dafür halten.
Die Basis für Gedanken und Gefühle ist reines, formloses Bewusstsein (sofern man dem, was sich nicht in Worte fassen lässt, einen Namen […]