Gibt es einen freien menschlichen Willen? Neueste Erkenntnisse der Hirnforschung sagen nein. Doch, welche Erkenntnisse gibt es im Yoga darüber?
Wer die jüngsten Veröffentlichungen zum Thema Gehirnforschung verfolgt, wird mehr oder weniger erstaunt feststellen müssen, daß das Vorhandensein eines freien menschlichen Willens dort zunehmend in Frage gestellt wird. Bereits 1998 postulierte der Bio-Physiker Ulrich Warnke: „Ich wage die spekulative Aussage, daß 90% unseres Verhaltens fremdgesteuert ist“ (Ulrich Warnke: „Die geheime Macht der Psyche“, München 1998, S.6).
Und Gerhard Roth, renommierter Hirnforscher an der Universität Bremen, formuliert nicht weniger provokant: „Das Gehirn hat entschieden, bevor ich denke, daß ich das will, was ich gleich tun werde … Das Gefühl, daß ich als bewußt handelndes Subjekt Herr über meinen Willen bin, ist eine Täuschung“ (in: „Stuttgarter Nachrichten“ vom 29. Juni 2002).
In diesem Artikel geht es mir zunächst darum, die Grundlagen für derartige Behauptungen aus der modernen Wissenschaft darzulegen. In einem zweiten Schritt möchte ich der brisanten Frage nachgehen, welche möglichen ethischen Schlußfolgerungen aus einer eingeschränkten Willensfreiheit des Menschen abgeleitet werden können. Damit sind, drittens, die Fragen verbunden, ob es – aus Sicht der westlichen Hirnforschung – überhaupt so etwas wie Freiheit für den Menschen gibt und ob der Mensch sich wesentlich vom Tier unterscheidet? Abschließend versuche ich dann zu zeigen, welche wichtigen Impulse für dieses spannende Thema von der indischen Philosophie kommen können.
Läßt uns das Gehirn keine Wahl?
Um eine Grundlage für meine weiterführenden Überlegungen zu haben, werde ich im folgenden einige Aussagen der zeitgenössischen Gehirnforschung wiedergeben. Dabei beschränke ich mich bewußt auf die einschlägigen Erkenntnisse deutschsprachiger Wissenschaftler, die international anerkannt sind.
Dabei ist zunächst vorauszuschicken, daß die Idee eines eingeschränkten freien Willens in der europäischen Geistesgeschichte durchaus nicht neu ist. So schimpfte etwa der Philosoph Friedrich Nietzsche in seiner 1888 verfaßten Autobiographie „Ecce Homo“: „Der Begriff ‚Sünde‘ [ist] erfunden samt dem zugehörigen Folter-Instrument, dem Begriff ‚freier Wille‘, um die Instinkte zu verwirren, um das Misstrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen!“ Und Sigmund Freud, der weltberühmte Begründer der Psychoanalyse, setzte nur wenige Jahre später an die Stelle der „Instinkte“ bei Nietzsche das sogenannte „Unbewußte“, von dem er nicht weniger behauptete, als daß es die eigentliche Triebfeder menschlichen Handelns sei. (Vgl. hierzu den lesenswerten Artikel von Wolfgang […]