Das erste Kapitel: Hatha-Yoga als Grundlage für den Raja-Yoga – und als Zuflucht bei körperlichen, energetischen, geistigen oder emotionalen Schwierigkeiten.
Das erste Kapitel der Hatha-Yoga-Pradipika beginnt mit Svatmaramas Gruß an Shiva (Adinatha) als ursprünglichen Lehrer des Hatha-Yoga. Der Überlieferung zufolge hat Shiva Parvati die Weisheit der Hatha-Vidya gelehrt, um zum Raja-Yoga zu kommen, also zur höchsten Erfahrung des Selbst (HYP I.1–2). Mit einer ähnlichen Einstellung können wir unsere eigene Yogapraxis angemessen beginnen:
- mit einem Gruß an Gott als höchsten Ausdruck des Selbst, und an den persönlichen Meister
- in dem Bewusstsein, dass wir Yoga üben, um zur Erleuchtung zu gelangen.
Svatmarama sieht im Hatha-Yoga ein Licht für all diejenigen, die inmitten der zahlreichen unterschiedlichen Weltanschauungen womöglich ins Strudeln geraten (HYP I.3). Denn Yoga ist weltanschauungsneutral. Unabhängig davon, ob wir atheistisch, agnostisch, religiös, philosophisch orientiert oder schamanisch interessiert sind – Hatha-Yoga steht allen Menschen offen, um ihren Geist zur Ruhe zu bringen. Auch wenn wir uns in erster Linie anderen spirituellen Praktiken verpflichtet fühlen, z.B. buddhistisch meditieren oder christlich kontemplieren oder vor allem Bhakti-Yoga oder Vedanta als Weg der höchsten Erkenntnis folgen, ist Hatha-Yoga eine gute Basis. Ein schönes Bild dafür ist: Hatha-Yoga kann wie die Schildkröte sein, die die Welt trägt, also eine Grundpraxis, die jeder anderen Praxis eine stabile Basis gibt (HYP I.10). Zudem ist er auch eine beschützende Zuflucht für alle, die körperlich, energetisch, geistig, emotional oder spirituell leiden. Letztlich geht es darum, zu üben. Nur über die persönliche Erfahrung gelangen wir zur Erkenntnis dessen, worum es wirklich geht.
Während unserer Praxis sollten wir jedoch all denen, die mit uns in Kontakt treten möchten, vorab Bescheid geben, dass wir in diesem Zeitraum ungestört sein möchten. Ein störungsfreier Raum, in dem wir allein mit uns sein können, ist wichtig, um tiefe Erfahrungen machen zu können (HYP I.11–13).
Nicht Vollkommenheit, sondern auf dem Weg zu bleiben zählt
Grundlage der eigenen Praxis sind für Svatmarama die Yamas und Niyamas aus dem Yoga-Sutra Patanjalis (HYP I.14–17). Er weitet sie jedoch auf jeweils zehn Empfehlungen aus, sowohl für den Umgang mit anderen als auch mit sich selbst. So spricht er nicht nur von Ahimsa (keinen Schaden zufügen), sondern auch von Mitgefühl und Mitleid sowie davon, anderen Gutes zu tun. Er betont nicht […]