Neue Reihe: Sukadev Volker Bretz stellt die Hatha-Yoga-Pradipika als zentralen Quelltext des Yoga vor – kurz, prägnant und verständlich. Teil 1 gibt eine Einführung und einen ersten Überblick.
Die Hatha-Yoga-Pradipika ist die bekannteste klassische Schrift des Yoga. Sie ist vermutlich im 14. Jahrhundert n. Chr. entstanden und auf einen Yogi namens Svatmarama zurückzuführen. Dieser gilt als selbstverwirklichter Meister. Schon sein Name deutet darauf hin, dass er sein Selbst erfahren hat: Er setzt sich zusammen aus Sva (das Eigene), Atma (Selbst) und Rama (sich daran erfreuend). Pradipika heißt „Licht“, „Leuchte“ – hier also: das Licht auf Hatha-Yoga.
Ein Viertel der wichtigsten Schrift des Hatha-Yoga ist dem Thema Meditation gewidmet. Svatmarama würde sagen, dass Asanas nicht der Hauptteil des Hatha-Yoga sind, sondern nur ein Teil. Ein ethischer, sattvischer Lebensstil gehört genauso dazu wie Pranayama: Denn wer die Lebensenergie beherrscht, der beherrscht auch den Geist. So hat Svatmarama die Hatha-Yoga-Pradipika geschrieben, um Menschen zum Raja-Yoga zu führen. Dieses Wort hat mehrere Bedeutungen. Heute kennen wir Raja-Yoga hauptsächlich als Yogaweg des Patanjali, also als den psychologischen Yogaweg der Selbstbeherrschung. So gilt die Hatha-Yoga-Pradipika als Hilfsmittel, um die Selbstbeherrschung zu erlangen. Raja heißt aber auch „königlich“, und Yoga „Vereinigung“. Folgen wir den Empfehlungen Svatmaramas, können wir also die „königliche Vereinigung“ erreichen. So wird Raja-Yoga an manchen Stellen der Hatha-Yoga-Pradipika gleichbedeutend mit Samadhi gebraucht. Svatmarama sieht Hatha-Yoga als Übungssystem, um zur Befreiung, zur Einheit zu gelangen. Auf diesem Weg wird dem Yoga der Energie, der die Lebensenergie erhöht, die feinstofflichen Energiebahnen reinigt, die Chakras aktiviert, die Kundalini erweckt und zu Überbewusstsein verhilft, große Relevanz beigemessen. Wenn es um die Beschreibung der Wirkungen geht, die die Übungen auslösen können, rekurriert Svatmarama stets auf die drei Wurzeln des Hatha-Yoga – auf Ayurveda, das indische Gesundheitssystem, auf Raja-Yoga, den Yoga der Geistesbeherrschung, und auf Kundalini-Yoga, den Yoga der Energie. Zudem beschreibt er all die positiven Wirkungen des Hatha-Yoga, z.B. die Stärkung der Gesundheit und der Ausstrahlung, die Förderung von Gelassenheit und Geistesruhe, ja, sogar die Erlangung von Siddhis (außergewöhnliche Kräfte). Aber besonders wichtig – so sagt er – ist die Übung von Hatha-Yoga, um Selbstverwirklichung, Moksha, Befreiung zu erreichen.
Regelmäßiges Üben als Weg zu Moksha
Wie kommen wir dorthin? „Durch Üben“, sagt Svatmarama. Es gilt zu praktizieren, und nicht […]