Die Kundalini ist eine psycho-spirituelle Energie, die latent in jedem Menschen schlummert. Erwacht sie, kann es im Menschen zu dramatischen Bewusstseinsprozessen kommen. In vielen spirituellen Kreisen gilt es neuerdings als schick, wenigstens ein exklusives Kundalini-Erlebnis sein Eigen nennen zu können. Und teilweise werden die unglaublichsten Geschichten daran geknüpft. Wahn oder Wirklichkeit? Georg Feuerstein über das Erwachen der Göttin.
Als ich mich Anfang der 1960er Jahre für Yoga zu interessieren begann, war diese spirituelle Tradition aus dem Osten bei uns noch nahezu unbekannt. Viele verwechselten Yoga sogar mit Yoghurt und Begriffe wie “Kundalini” hatte man noch nie gehört, es sei denn, man hatte bereits das eine oder andere Buch von Swami Vivekananda oder Paramahansa Yogananda studiert oder sich mit den gelehrten Werken von Sir John Woodroffe (Arthur Avalon) über das Thema Tantra beschäftigt. Damals war das legendäre Buch von Gopi Krishna, einem Yoga-Praktizierenden aus dem indischen Kaschmir, noch nicht bekannt. Dieses autobiographische Werk, welches Gopi Krishnas dramatische Erfahrung mit einer urplötzlichen Kundalini-Erweckung schildert, machte dieses außerordentliche Phänomen zum ersten Mal in der westlichen Welt bekannt.
Heute ist das Wort Kundalini ein häufig gebrauchter Begriff. In Kalifornien beispielsweise, wo ich bereits seit über zwanzig Jahren lebe, gilt es in spirituellen Kreisen als besonders schick, über die Kundalini zu sprechen oder gar ein persönliches Kundalini-Erlebnis sein eigen nennen zu können. Viele Menschen verlieren sich jedoch dabei in zahlreiche innere Widersprüche und Missverständnisse.
Seit Gopi Krishnas Veröffentlichungen ist es sehr beliebt, entweder von einem eigenen Kundalini-Erlebnis zu berichten, oder über die Kundalini und den Kundalini-Yoga zu schreiben. Beide gehören jedoch zu den schwierigsten und komplexesten Aspekten des Yoga. Wenige der inzwischen erschienenen persönlichen Berichte einer Kundalini-Erweckung sind mit dem spirituellen Werdegang des Gopi Krishna vergleichbar. Sie sind in den meisten Fällen wenig inspirierend oder informativ und hinterlassen viele Unklarheiten und verbreiten zudem grobe Missverständnisse. Das Problem ist, dass sich nur sehr wenige Autoren die Mühe machen, ihre Erkenntnisse mit den ursprünglichen Schriften aus der Yoga-Tradition (auf Sanskrit oder Tamil oder wenigstens in guten Übersetzungen) zu vergleichen.
Wie bereits erwähnt, sind Kundalini-Erlebnisse in spirituellen Kreisen mittlerweile zu einem Statussymbol geworden. Über viele Jahre hinweg hatte ich die Gelegenheit, unzähligen Gesprächen von Teilnehmern während Yoga-Seminaren und Konferenzen zu lauschen. Und so habe ich allerlei Dinge über […]