Über Praxis und Erweckung der »Schlangenkraft«
Über Kundalini-Yoga-Praxis zu schreiben, ist ein Widerspruch in sich: Denn Praxis heißt ja, du übst und praktizierst. Kundalini-Yoga musst du üben, nur so kannst du herausfinden, was er ist und wie er auf dich wirkt. In den zahlreichen Kundalini-Yoga-Seminaren und -Workshops, die ich gebe, ist der größte Teil Praxis. So hat auch Swami Sivananda, der Meister, in dessen Tradition ich stehe, gern gesagt: „Ein Gramm Praxis ist besser als Tonnen von Theorie.“ Einmal fragte ihn ein Schüler daraufhin: „Warum hast du dann über 200 Bücher geschrieben?“ Swami Sivananda antwortete: „Manche Menschen brauchen Tonnen von Theorie, um zu einem Gramm Praxis angeregt zu werden.“ – In diesem Sinne möchte ich gern etwas über die Praxis schreiben und so vielleicht manchen Leser zum Praktizieren oder zum Intensivieren der eigenen Übung zu motivieren.
Ich glaube, dass Kundalini-Yoga in unserer materialistisch und auf Erlebnis ausgerichteten Kultur noch einen sehr großen Stellenwert bekommen wird. Denn es ist ein spirituelles System, in dem du praktizierst und Wirkungen selbst erfahren kannst. Du brauchst nicht zu glauben – du kannst üben und erleben. Und wenn du einmal erfahren hast, wirklich erfahren hast, bist du fest verankert auf dem spirituellen Weg.
Kundalini ist eine religionsübergreifende klassische Tradition, die zwar aus dem Hinduismus kommt, aber auch Sikhismus, Jainismus und Sufismus befruchtet hat und als Teil der tantrischen Tradition in den tibetanischen Buddhismus eingegangen ist. Kundalini-Yoga, der Yoga der Energie, ist eine systematische Wissenschaft, ein Weg, den es erwiesenermaßen seit Jahrhunderten, wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden gibt. Und der in Büchern nur kryptisch dargelegt ist. Der größte Teil der Aussagen und Techniken wird bis heute mündlich weitergegeben. Und dafür gibt es natürlich gute Gründe.
Die Kundalini-Yoga-Meister sagen, dass im Menschen ein riesiges Potential an Fähigkeiten, Talenten, Möglichkeiten latent vorhanden ist. Demnach ist der Mensch absolutes, reines Bewußtsein – Shiva oder Paramashiva genannt – und verfügt über die gesamte kosmische Urenergie, die als Shakti bezeichnet wird. Diese kosmische Urenergie hat das Leben zur Entfaltung gebracht, und sie wirkt weiter in der kontinuierlichen Evolution der gesamten Schöpfung. Es ist diese Urenergie, welche aus der Mineralwelt die Pflanzen hat entstehen lassen, aus den Pflanzen die Tiere, aus den Tieren den Menschen. Es ist diese Energie, die den Menschen […]