Wir können unsere Verbundenheit mit der Natur vertiefen, wenn wir die sachlich-distanzierte Betrachtung um seelische Empfindungen und meditative Einfühlung erweitern. So erschließt sich uns über die Form schließlich die Idee, das offene Geheimnis einer Pflanze
Wer von uns sehnt sich nicht nach einer tieferen Verbindung zur Natur? Gerade die Urlaubszeit hat uns vielleicht mit schönen Erlebnissen in der freien Natur beschenkt, an die wir uns gerne zurückerinnern. So manches Mal bleibt aber eine Art ungestillte Sehnsucht in uns zurück. Wir erleben, dass wir zwar die Natur genießen konnten, aber sehnen uns doch nach einem tieferen Verbundensein, einem wirklichen Einswerden mit den geheimnisvollen Kräften der Natur in ihrem ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Ein möglicher Weg, dieser Sehnsucht nachzugehen ist die meditative Beschäftigung mit der dem Licht der Sonne so innig verwandten Pflanzenwelt, zum Beispiel mit der erhabenen Welt der Bäume.
Alte Schöpfungsmythen ernstnehmen
Bevor wir aber an die Pflanzenbetrachtung gehen, sollten wir uns eine Schwierigkeit bewusst machen, die gern übersehen wird. Eines der größten Hindernisse für die Erlangung einer größeren Nähe zur Natur liegt nämlich in unserem eigenen Empfindungsleben. Die Begrifflichkeit der Natur, so wie wir sie heute in uns tragen, ist von den Vorstellungen geprägt, die wir während der letzten Jahrhunderte entwickelt haben. Wie wir über eine Sache denken, also welchen Begriff wir uns gebildet haben, prägt wiederum unsere Empfindungen. Welche Empfindungen entstehen aber in uns, wenn wir uns die Natur als das Endprodukt eines rein materiellen Prozesses vorstellen, bei dem der Zufall und verschiedene Ausleseprozesse das Leben und letztlich uns selbst hervorgebracht haben? Wir werden mit diesen Vorstellungen nur schwer eine für die Naturbetrachtung notwendige seelische Empfindung zur Natur entfalten können und erleben als Ergebnis das bereits erwähnte schmerzliche Gefühl des Getrenntseins unserer Innenwelt von der Außenwelt der Natur.
Noch ganz anders hat die urindische Kultur, aus der auch der Yoga hervorgegangen ist, die Natur empfunden. Sie stellt im Rgveda den Purusha, den „Urmenschen“, an den Anfang der Schöpfung:
Und tausendköpfig, tausendäugig, tausendfüßig war der Mensch
umschloss die Erde allseits, ragte über sie zehn Finger hoch.
All dieses war der Mensch: war, was geworden und noch werden soll (…)
Der Mond entstammt dem Hirn, in seinem Auge ging die Sonne auf
Aus dem Munde […]