Eine gut aufgebaute, sanfte und mühelose Pranayama-Praxis ermöglicht entscheidende Schritte auf dem Yogaweg. Was für eine solche Praxis wichtig ist und wie man sie gestalten kann.
Auf den ersten Blick sind die Pranayama-Praktiken nichts anderes als Atemtechniken. Aber die wirkliche Bedeutung liegt in dem entscheidenden subtilen Aspekt von Pranayama, der es dem Praktizierenden ermöglicht, zumindest für kurze Augenblicke intensive spirituelle Erfahrungen zu machen. Diese Zustände oder Erlebnisse zusammen mit der regelmäßigen subtilen, präzisen Praxis helfen bei der weiteren Arbeit auf dem Yogaweg zu und an sich selbst.
Der Atem als Manifestation der Lebensenergie ist die einzige pranische Energie, auf die wir zumindest in gewissem Maße willentlich regulierend einwirken können. Zugang zur Aktivität der Lebensenergie zu haben, geschieht bei Pranayama über die Verbindung zum Nervensystem (als Basis der mentalen Aktivitäten) und zum Geist (Bewusstsein). Yoga geht davon aus, dass der Geist durch willentliche Regulierung der Atmung wirkungsvoll kontrolliert werden kann.
Pranayama im Yoga-Sutra
Im achtgliedrigen (ashtanga) Yogapfad nach Patanjali ist Pranayama die vierte Stufe / das vierte Glied. Durch die Praxis der ersten drei Glieder – Yama und Niyama sowie Asanas – erreicht der Praktizierende eine gewisse körperliche und geistige Stabilität, um Pranayama angemessen praktizieren zu können. Patanjali sagt im Sutra II.49: „Pranayama ist das Einstellen / Aufhören (Vichchheda) der regelmäßigen rhythmischen Bewegung von Ein- und Ausatmung (Shvasa-Prashvasa).“ Während und durch Pranayama wird der Atem verlängert (dirgha) und wird fein (sukshma) (II. 50). Durch allmähliches müheloses Verlängern aller Atemphasen erwirbt man zum einen ein kontinuierliches Bewusstsein, die Fähigkeit, achtsam zu sein und achtsam zu bleiben. Der Geist wird befähigt, in den Zustand von Dharana einzutreten (II.53). Der Yogapraktizierende wird in der Lage sein, den umherwandernden Geist zur Ruhe zu bringen. Durch Pranayama – sagt Patanjali in II.52 – verschwindet die Abdeckung über dem inneren Licht, d.h. es werden die Faktoren beseitigt, die das spirituelle Licht verdecken bzw. verschleiern.
Pranayama im Hatha-Yoga
Im Hatha-Yoga steht Pranayama an zweiter Stelle nach den Asanas. Die klassische Pranayama-Praxis wird dort „kumbhaka“ genannt, da das Konzept von Pranayama mit der Kontrolle (Kumbhaka) der Atmung verbunden ist. Es werden acht Varianten beschrieben (HYP II.44), wobei bei allen die Betonung auf dem inneren Atemverhalten (Kumbhaka nach dem Einatmen) liegt […]