Was wird in Patanjalis Yoga-Sutra über Pranayama gesagt? Und was lehren die zentralen Texte des Hatha-Yoga über die Atemtechniken? Ein fundierter Einblick in den yogischen Pranayama.
Alle Vorschriften, die den Atem betreffen, müssen mit konzentriertem Geist angewendet werden. Der weise Yogi darf seinen Geist nicht abschweifen lassen.“ (Hatha-Yoga-Pradipika, III.127)
Atemtechniken gehören wahrscheinlich zu den ältesten Yogapraktiken; zumindest die Beschäftigung mit dem Atem ist uns bereits seit den Anfängen des Yoga in vedischer Zeit überliefert worden. Im Atharvaveda werden keine genauen Atemtechniken beschrieben, sondern nur Hinweise darauf, dass die Yogis den Atem nutzen, um in andere Bewusstseinszustände zu kommen. Damit knüpften sie vermutlich an die lange Tradition schamanischer Atemtechniken an, die besonders im Himalaya-Raum sehr verbreitet waren.
Die ältesten direkten Hinweise auf Pranayama finden sich laut Uwe Bräutigam („Kurze Geschichte des Pranayama“ in Viveka 35) in den Dharma-Sutras, die ab dem 6. Jh. v.Chr. entstanden sind. Er beschreibt diese Atemtechniken als eingebunden in umfassende Ritualhandlungen und mit einer besonderen Betonung auf den Atempausen. Wichtig ist es, dass zu dieser Zeit ein Begriff im Zusammenhang mit Pranayama auftaucht, der dann für alle Pranayama-Schulungen wesentlich wird: „yathashakti“ = „nach der eigenen Fähigkeit“. Yathashakti gibt das Maß an, in dem der Übende seinen Atem anhalten soll – also in einem Maß, das immer wieder achtsam den eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten angepasst werden soll. Gleichzeitig entwickelten sich in Indien aber auch Yoga-Traditionen, in denen es als wichtig angesehen wurde, nicht nur den Körper einer ausgeklügelten Askese zu unterziehen, sondern auch den Atem als den unverzichtbaren Lebenshauch vollkommen zu kontrollieren, indem er in schier endlosen Atempausen innerhalb oder außerhalb des Körpers gehalten wurde.
Beide Traditionen setzten sich über die Jahrhunderte bis in die heutige Zeit fort und widerspiegeln damit zwei große Traditionsströme im Umgang mit der Lebensenergie Prana, die sich auch in den beiden möglichen Übersetzungen des Wortes Pranayama zeigen:
Prana – yama: das Kontrollieren und Lenken des Prana und
Prana – ayama: das freie Fließen und Strömen des Prana.
Allen Traditionen ist jedoch die Lehre gemeinsam, dass wir mit Hilfe von besonderen Atemübungen und Atemlenkungen auf unseren Geist (manas) einwirken können. Besondere Hinweise darauf finden sich sowohl in verschiedenen Upanishaden als auch in der Bhagavad-Gita. […]