Von der gezielten Atempraxis zur Atemstille: Kumbhaka als Herz des Pranayama – und somit als innerstes Herz des Yoga.
Diese Artikelserie haben wir Pranayama, das Herz des Yoga genannt, weil der Praxis des bewussten Atmens in den klassischen Texten des Yoga die größte Bedeutung beigemessen wird. Das Wort Prana steht – im umfänglichsten Sinne – für die Kraft des Absoluten oder, wenn man so will, für Gott selbst. Im konkretesten Sinne meint es einfach unseren Atem. Und eigentlich ist beides gar nicht unterschiedlich, vielmehr ist das Kleine und Konkrete (hier: unser Atem) nur eine der unendlich vielen Ausdrucksformen des Großen, Absoluten. Diese Idee finden wir auch in der Bibel: Da ist es Gott selbst, der dem Menschen das Leben in seine Nasenöffnungen einhaucht. Gott, Atem, Leben, Seele – Quelle, Kosmos, ich und du – alles ist Prana, alles ist pulsierender Atem.
Wenn Pranayama das Herz des Yoga ist, dann ist Kumbhaka, die Atemstille, das Herz des Pranayama: das Herz-Herz des Yoga sozusagen. Im Versiegen des Atems liegt das ultimative Ziel. Und die höchste Form dieses Versiegens ist Kevala, das heißt rein oder pur: das spontane Zur-Ruhe-Kommen der Atmung. Weil nichts uns so sehr in den Körper zwingt wie die Atmung, steht das Nicht-mehr-atmen-Müssen – und sei es nur einen Moment lang – für das Freisein vom Körper, für die Unsterblichkeit.
Machen wir einen großen Schritt zurück in jene Zeit, da Krishna seinen Schüler Arjuna lehrte, was es bedeutet, ein Krieger zu sein – ein spiritueller Krieger vor allem. Etwa 600 vor Christus wurde dieses Gespräch in der Bhagavad-Gita schriftlich festgehalten. Auch dort hat Pranayama einen festen Platz und steht für die Idee des spirituellen Opfers oder, wie wir auch sagen könnten, für den Kreislauf des Gebens, wo das Eine für das Andere geht, ins Andere hinübergeht, sich hingibt und zugleich aufs Neue daraus erwächst. Das ist Yoga, sagt Krishna zu seinem Schüler. Die Einatmung gibt sich der Ausatmung hin, die Ausatmung der Einatmung. Dazwischen: Stille.
Konkreter dann wird Pranayama in Patanjalis Yoga-Sutra thematisiert, wahrscheinlich zwei- oder dreihundert Jahre nach Krishnas Unterweisungen (doch so genau wissen wir das nicht wirklich). Im ersten Kapitel erklärt Patanjali uns, dass Pranayama eine Möglichkeit ist, den Geist zu befrieden, mithin das große Ziel des Yoga zu […]