Authentisches linkshändiges Tantra in Goa: Zu Gast beim Tantra-Meister Shanmukha Anantha Natha
Wenn ich die Augen schließe, meine ich, ich bin im Zoo. Heilige Kühe, grunzende Schweine, jaulende Affen und mit den Affen streitende Hunde lärmen gegensätzlich und lautstark durch die Mittagshitze. Dazu gesellt sich, aus einem halben Kilometer Entfernung, das Meeresrauschen. Der Ausgleich der Gegensätze. Auch das ist Tantra.
Ich bin tatsächlich in diesen Dschungel hier gereist, in das kleine Dorf Agonda in Goa, Südindien, um mehr über die Ursprünge des indischen Tantra zu erfahren – aus erster Hand. Ich bin auf der Suche nach den Spuren des authentischen linkshändigen Pfades, der shivaitischen Tradition.
Unterwegs zur indischen Tradition
Einige große Yogaschulen habe ich nach Wochen hinter mir gelassen, mit bis zu einhundert Teilnehmern pro Gruppe. Manchmal wurde rigide Disziplin eingefordert („Don’t you want to join the afternoon lesson as well …?“), meistens Askese gepredigt, aber nicht unbedingt eingehalten, von den „foreigners“ noch weniger als von manchem indischen Yogi.
Man weiß hier inzwischen um die westliche Neugier und Sehnsucht nach der indischen Yogatradition, und man verdient manchmal nicht schlecht daran. Mit geheimen Einsiedeleien und persönlicher Unterweisung hat all das freilich wenig zu tun. Für mich hat es zunächst einmal ein nicht gekanntes Durchhaltevermögen trotz achtzigprozentiger Luftfeuchtigkeit mit sich gebracht, Hitzeresistenz und die Gewöhnung an die bisweilen abenteuerliche indische Großküche. Im großen Kreis sitzt man auf dem Ashramboden, während die indische Cateringchefin mit einem riesigen Blecheimer voll Linsenbrei reihum jedem eine Schöpfkelle davon auf den Blechteller packt.
Der Shri-Kali-Ashram war dann ein Geheimtip. Der dortige Meister Acharya Bhagavan Shanmukha Anantha Natha hat kein Telefon und versammelt nur eine kleine Gruppe Schüler um sich. Empfangen werde ich in der Gemeinschaftsküche eines schlichten Hauses, das als „vorläufiger Ashram“ dient, zunächst von Shanmukhas amerikanischem Meisterschüler Whitney Wheelock. Ich treffe auf eine buntgemischte Truppe Traveller zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Jahren, unterhalte mich mit einer Australierin, einer Brasilianerin aus Hongkong und einem Tunesier mit spanischer Abstammung und Wohnsitz in den USA. Einige Traveller essen, andere surfen mit W-LAN, um Kontakt mit der Welt zu halten. Shanmukha Anantha Natha entstammt einer traditionell tantrischen Familie, seine Großeltern praktizierten die Riten des rechtshändigen Pfads. Als junger Mann machte er sich auf, um eine Yogini zu finden, die ihn […]