Dem Schatten begegnen, um ganz zu werden: Eine Yin-Yoga-Praxis mit begleitender Geschichte, die uns in die dunkleren Bereiche unseres Seins führt.
Häufig erleben wir im Yin Yoga während des langen Haltens der Positionen unsere ganz persönliche innere Reise in die Schattenwelt. Gefühle kommen an die Oberfläche, und lange Angestautes und Verdrängtes kann sich lösen. Während meiner Yin-Yoga-Lehrerausbildung bei Biff Mithoefer habe ich immer wieder geweint, und es hat sich unglaublich befreiend angefühlt. Das mag daran liegen, das Yin Yoga das Bindegewebe anspricht, wo der Körper emotionale Erfahrungen und auch Traumata speichert. Doch die Praxis des Yin Yoga öffnet uns nicht nur für diese aus der Vergangenheit abgespeicherten Erinnerungen, sondern auch für die existenzielle Frage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Und Menschsein bedeutet unter anderem auch, die Endlichkeit unseres Seins zu fühlen, die Unbeständigkeit des Lebens. Dass wir alt werden, dass wir sterben, dass die Menschen um uns herum sterben. Es sind nicht nur die Erfahrungen, die wir in diesem Leben gemacht haben, die der Körper in sich trägt – es sind die tiefen Ängste und Sorgen, mit denen wir als Menschen immer konfrontiert sind, weil wir wissen, dass wir vergänglich sind. Somit bringt Yin Yoga uns nicht nur mit unserer weiblichen, weichen, rezeptiven Seite in Kontakt. Er kann vielmehr auch ein Kanal an jene Orte in uns sein, wo wir der Vergänglichkeit begegnen, unseren Ängsten, unserer Dunkelheit. Yin Yoga wird dann zu einer tiefenpsychologischen Reise an die Orte, die die andere Seite des Hellen, des Lichts in uns repräsentieren. Diese andere Seite, den Schatten, zu entdecken und anzunehmen, kann sehr heilsam sein.
Meiner Erfahrung nach machen wir alle früher oder später diesen Weg in die Dunkelheit, weil wir beide Teile brauchen, den hellen und den dunklen, um wirklich wir selbst zu sein. Und wenn wir bereit sind, die Ideen und Konzepte davon, wer wir sein sollten, fallen zu lassen, dann beginnt diese Reise.
Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen, die ich von Angela Farmer und Biff Mithoefer gehört habe. Die Geschichte beruht auf einem mehr als 5000 Jahre alten sumerischen Mythos und ist eine der ersten überlieferten Heldenreisen der Menschheitsgeschichte. Sie beschreibt den seelischen Wachstums- und Reifeprozess Inannas durch ihren Gang in die Unterwelt, durch Tod und Wiedergeburt.
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