Große Mutter, dynamische Kraft der Entfaltung und kompromisslose Auflöserin des Dunkels: die mannigfaltigen Gesichter und Aspekte indischer Göttinnen
Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des facettenreichen Hinduismus ist die zentrale Rolle, die die Verehrung von Göttinnen hier einnimmt. Dabei sind deren Erscheinungsformen außerordentlich vielfältig und beinhalten alle Aspekte der Weiblichkeit von den lichten, günstigen und kultivierten Aspekten des Lebens auf der einen Seite bis hin zu den dunklen, unheilvollen, grausamen und gefährlichen auf der anderen Seite. Darüber hinaus sind die indischen Göttinnen aber auch Trägerinnen und Vermittlerinnen spezifischer Wahrheiten und Werte, für die es offensichtlich unter den männlichen Göttern keine adäquaten Repräsentanten gibt. Viele hinduistische Göttinnen sind bereits in den vedischen Hymnen zu finden, den ältesten indischen Schriften, die von den Rshis übermittelt wurden. Aber auch im gegenwärtigen Hinduismus in Indien ist die Zahl der verehrten Göttinnen außerordentlich umfangreich. Überhaupt offenbart keine andere lebende Religion eine so alte wie gleichermaßen reiche, kontinuierliche und mannigfaltige Tradition eines lebendigen Göttinnenkultes, wie es im Hinduismus der Fall ist. Er liefert damit auch die umfassendsten mythologischen, theologischen und kultischen Quellen, aus denen all diejenigen schöpfen können, die sich für weibliche Gottheiten interessieren. Darüber hinaus bieten indische Göttinnen auch Frauen im Westen die Möglichkeit, sich mit der jeweiligen Kraft einer spezifischen weiblichen Gottheit innerlich zu verbinden und zu stärken.
Im Folgenden werden kurze Portraits der sechs wichtigsten Göttinnen vorgestellt, wohlwissend, dass sie hier nur skizziert werden können. Das Thema der indischen Göttinnen erschöpfend zu behandeln, ist wohl nicht möglich. Allein die Zahl der Göttinnen im zeitgenössischen Hinduismus ist dafür zu überwältigend, und auch die verschiedenen Aspekte, die eine Göttin in sich vereinen kann, sind zu umfassend.
Devi
In der indischen Mythologie besitzt „Devi“, die „Muttergöttin“, eine herausragende Stellung. Während auf der männlichen Seite der Götter die Rollen Brahmas, Vishnus und Shivas relativ klar umrissen und auch gegeneinander abgegrenzt sind, ist das Hauptmerkmal der „Großen Göttin“ zuallererst der allumfassende, schöpferische Aspekt. (Shiva-)Linga und Yoni drücken diesen als oft gesehene bildliche Darstellung umfassend aus: Das in sich statische Linga wird von der Yoni umfasst – die höchste, konzentrierte, in sich ruhende Potenz des Linga wird durch den „Fluss des Lebens“ zur Entfaltung gebracht. Grenzenlose Kreativität, das ewige Pulsieren zwischen diesen Polen, erzeugt Spannung, Werden und Vergehen; Devi ist Quelle […]