Marcel Clementi kam mit Mitte 20 während einer Weltreise zum Yoga. Zu dem Zeitpunkt war sein Leben von zu viel Arbeit und Stress geprägt. Der tragische Verlust seines besten Freundes war der Wendepunkt, der ihn letztlich dazu bewegte, nach Veränderung zu suchen. Auf der Reise fand er mehr zu sich selbst, die Meditation half ihm, endlich bewusster im Moment zu landen. Auch der Yoga wurde im Zuge dessen ein entscheidender Teil seines Weges. Anfangs praktizierte er vor allem sportlichen Yoga, mittlerweile hat sich seine Yogapraxis dahingehend verändert, dass es ihm weniger um das Körperliche geht.
Wir sprachen mit Marcel Clementi über Yoga für den Mann. Denn Fakt ist, wie auch der Yoga-Branchenbericht 2023 zeigte: 90% aller Buchungen in Yogastudios werden von Frauen getätigt. Wir wollen wissen, wie wir gerade auch als Yogalehrende, Männern den Einstieg in die Asana-Praxis erleichtern können und ob es eigentlich einen Unterschied zwischen Yoga für einen Frauenkörper und Yoga für einen Männerkörper gibt? Mehr dazu in diesem Interview.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Du bist Yogalehrer in einer recht weiblich geprägten Yogawelt. Wie nimmst du es als Mann wahr? Denkst du, es gibt einen Unterschied zwischen Yoga für einen Frauenkörper und Yoga für einen Männerkörper?
Marcel Clementi: Ich denke, dass Yoga für jeden ist, für jeden Körpertyp – egal, wie man gebaut ist. Ob man kräftig ist oder noch nicht so viel Kraft hat, ob man mehr Gewicht hat oder sehr schlank ist. Ich denke, dass es für jeden Körpertypen den richtigen Stil gibt, und so unterschiedlich, wie unsere Körper sind, so unterschiedlich sind auch unsere Interessen am Yoga und unsere „Ziele“. Und deswegen sollte jeder – egal, ob Mann oder Frau – einen Yogastil finden, der ihm oder ihr persönlich zusagt. Ich glaube, die Schwierigkeit für einen Mann ist oft, den richtigen Yogastil zu finden und nicht sofort aufzugeben, wenn einem die erste Yoga-Einheit vielleicht nicht direkt zugesagt hat.
Hast du noch Tipps, wie man gerade auch als Yogalehrende mehr Männer in den Unterricht bekommt oder ihnen den Einstieg erleichtern kann?
… indem man die Männer nicht sofort überfordert. Ich glaube, dass viele oft das Gefühl haben, sie passen nicht dazu. Sie haben das Klischee im Kopf, dass beim Yoga nur Frauen sind, die in ihren engen Yogahosen alle super beweglich sind, so dass sie sich dann fragen, was sie da überhaupt sollen. Und wenn man dann mal zum Yoga geht, sich als Mann überwindet und merkt, dass man der einzige ist, dann macht das die Sache auch nicht gerade leichter…
Als Yogalehrer vergisst man, glaube ich, oft, wie es sich anfühlt, Anfänger zu sein. Deshalb ist es wichtig für Yogalehrende, immer wieder Dinge auszuprobieren, mit denen man noch keine Erfahrung hat – dass man mal klettern geht oder Tennis spielt. Man vergisst, dass das, was uns leichtfällt, sich für einen Anfänger ganz anders anfühlt.
Als Lehrer ist es auch die Aufgabe, jeden Schüler da abzuholen, wo er ist. Das ist halt für einen Mann körperlich, anatomisch, vielleicht auch nach jahrelangem Fußballtraining, eine andere Sache: Ich habe selbst auch jahrelang Fußball gespielt und konnte in der Vorbeuge gerade mal bis zu meinen Knien kommen…
Gleichzeitig kann auch der mentale oder der spirituelle Effekt eine Challenge für viele Männer darstellen. Ich kann da nur aus Erfahrung sprechen, und alles, was ich sage, ist ja nur meine Meinung und meine persönliche Erfahrung, aber bei meiner zweiten Ausbildung in Indien waren von über zwanzig Teilnehmern nur zwei Männer dabei. Jeder Lehrer hat eine Stunde unterrichten müssen, und in manchen Stunden haben vor allem die Frauen mit Bildern und Imaginationen gearbeitet, die mich und den anderen Mann so gar nicht abgeholt haben. Auch ich habe mich damals oft gefragt, ob Yoga wohl das Richtige für mich sei.
Aber es ist nicht der Yoga, der falsch ist, sondern es ist einfach nicht dein passender Stil. Wenn ich etwas esse und es mir nicht schmeckt, dann kann ich ja auch nicht sagen, dass Essen generell nichts für mich ist. Es ist halt diese eine Speise, die nichts für mich ist – die dir aber vielleicht sehr gut schmeckt. Und so verhält es sich auch mit dem Yoga und den Yogalehrern.
Wenn es da einen Stil gibt, den du Männern empfehlen würdest, welcher wäre das?
Sowas ist sehr schwierig, denn Mann ist ja nicht gleich Mann. Es gibt Männer, die sind sehr beweglich oder kräftig, und andere sind eher unsportlicher. Und wenn ich jetzt sage, dass alle Männer zum Ashtanga Yoga gehen sollen, weil auch ich so angefangen habe und es für mich der perfekte Start war, jemand aber eher das Ruhige will und eher der Typ für Yin Yoga ist, dann wäre es jetzt völlig falsch von mir, irgendwelche Tipps zu geben.
Wenn ein Mann sich erst einmal überlegt, warum er Yoga machen und was er davon mitnehmen möchte, ob er ruhiger oder beweglicher werden oder mehr Kraft aufbauen möchte, dann kann man sich eher einem Stil annähern.
Es ist super individuell, und wenn man es ganzheitlicher sieht anstelle von „Mann vs. Frau“ und eher darauf schaut, wer man als Mensch ist und was einem Spaß macht, wo man hinmöchte, dann dürfte es leichter sein.
Was ist denn das schönste Geschenk, das dir der Yoga gemacht hat?
Einerseits generell den Yogaweg einzuschlagen und natürlich Yoga zu lehren, weil mein Leben und mein Alltag ganz anders ausschauen als noch vor sechs Jahren im Job bei meinen Eltern als einziger Sohn im Familienbetrieb.
Das zweite ist die Achtsamkeit. Dieses Bewusstsein, wer ich bin, was mir liegt, was mir nicht so liegt, was ich ändern will und was ich genau so akzeptieren muss, wie es ist – das hat mir viel mehr Ruhe und Balance gebracht. Ich bin zu einem anderen Menschen geworden. Es hat sich auch mein komplettes Umfeld geändert, sogar mein Freundeskreis hat sich verändert, weil ich jetzt heute einfach ein anderer Marcel bin.
Und das dritte Geschenk ist die Dankbarkeit und immer wieder in den Moment zu kommen und sich bewusst zu werden, wie sich der Körper anfühlt, wie schön eine Aussicht sein kann. Dieses Im-Moment-Sein. Denn dankbar sein kann ich immer nur JETZT – ich kann nicht morgen dankbar sein oder es gestern gewesen sein.
Hättest du abschließend noch ein paar Worte für die Männer dieser Welt, die sich dem Yoga annähern möchten?
Da gibt es viel, was ich ihnen sagen möchte. (lacht) Wo fang ich da am besten an?
Nicht aufgeben, wenn sich die erste Yogastunde nicht richtig anfühlt. Vielleicht einfach ein bisschen mehr Geduld mitbringen, weil es kein Wettkampf ist, sondern du es für dich selbst machst. Such dir eine Yogalehrerin, einen Yogalehrer, die dir sympathisch ist – das ist das Wichtigste! Der Yogalehrer kann so toll sein und die coolsten Flows kennen, aber am Ende des Tages geht es immer um die Persönlichkeit und die Person, die unterrichtet. Finde also einen Yogalehrer, der zu dir passt. Und dann auch noch den passenden Stil dazu. Der Yoga soll dich langfristig auf deinem Weg begleiten, und er wird jeden Mann in allen Lebensbereichen positiv verändern, wenn du lang genug dabeibleibst und mit Geduld, Spaß und Leichtigkeit praktizierst.
Danke für das Gespräch und deine Zeit, Marcel.
Termine für die nächsten Männer Yoga Retreats am Achensee in Tirol: 07.03.2024–10.03.2024 29.08.2024–01.09.2024 Titel vom Buch: Good Vibes Yoga, Erscheinung in Droemer Knaur Verlag im April 2024 Good Vibes Yoga Festival in Seefeld, Tirol 28.-30.06.2024 Podcast: Good Vibes mit Marcel Clementi |
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