Wir alle werden alt, sofern wir nicht jung sterben. Jeden Tag werden wir ein bisschen älter. Was bedeutet das in Zeiten von Anti-Aging, in denen Altersgruppen wie die „Best Ager“ vor allem als Werbe-Zielgruppen definiert werden?
Wenn man in den Medien über das Alter liest, dann geht es meistens wieder mal um Anti-Aging, und zwar in einem recht oberflächlichen Sinne – um die neueste Laser-Technik, das wirksamste Super-Food oder um andere Tricks, mit denen man dem Zahn der Zeit ein Schnippchen schlagen kann. Aber ist das wirklich alles, was uns zum Alter einfällt?
Was ist z.B. mit all den Archetypen des oder der „alten Weisen“, die uns in den Geschichten und Märchen jeder Kultur begegnen und die wir auch im wahren Leben verkörpert sehen? Erinnern wir uns nicht wenigstens an Dumbledore, den mächtigen und zugleich milden weißhaarigen Zauberer aus Harry Potter? Ein Dumbledore hätte nie mit zwanzig, dreißig oder vierzig schon über seine ungeheure spirituelle Kraft verfügt, denn sie musste wachsen und reifen. Alles hat seine Zeit in der Dualität, und während die Jugend die Zeit des Erblühens und des spielerischen Probierens ist, und die mittleren Lebensjahre die Zeit des tatkräftigen Erschaffens und der Pflege des Nachwuchses sind, so ist das Alter die Zeit des vollen Erwachens der spirituellen Aspekte unseres Seins. Zugleich ist es bereits eine Zeit des Loslassens. Natürlich darf und soll man auch im Alter seinen Körper noch genießen und ehren, und an „Anti-Aging“ zum Erhalt des Wohlbefindens ist auch überhaupt nichts auszusetzen, aber so wie jede Lebensphase bereits eine Vorbereitung auf die nachfolgende ist, so ist das Alter eine Vorbereitung auf den großen Übergang und beinhaltet deshalb in der Regel eine stärkere Zuwendung zu den feinstofflichen Aspekten, als sie bei den meisten Menschen in den vorhergehenden Lebensabschnitten stattfindet, oft einhergehend mit einer gewissen Loslösung vom Materiellen. So war in Indien traditionell vorhergesehen, sich im dritten der vier Ashramas (Lebensstadien) als Vanaprastha („im Wald Lebender“) schrittweise von den gesellschaftlichen Verpflichtungen zurückzuziehen und sich schließlich im vierten Stadium als Samnyasin ausschließlich der Meditation zuzuwenden. Mit diesem Hinweis soll keineswegs die Einsamkeit als Ideal für das Alter hochgehalten werden – Alterseinsamkeit kann sogar ein großes Problem sein und nimmt in den heutigen Gesellschaften traurige Formen […]