Was bedeutet es für dich, deinen „Intrinsic Genius“ (d.h. dein ureigenes Genie, die dir innewohnende Intelligenz der Schöpfung) zu entdecken, und wo würdest du danach suchen? Wie würdest du vorgehen, um damit in Kontakt zu kommen? Und wie kannst du diese dir innewohnende Genialität in deiner Zeit auf der Matte sowie bei der Erstellung einer Yogasequenz als Yogalehrende zum Ausdruck bringen?
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Mit Meghan Currie fließen und von ihr lernen
Der erste 100-Stunden-Teil der fortgeschrittenen Yogalehrerausbildung (YTT) von Meghan Currie war dem Thema „Sequencing und Sadhana“ gewidmet. Ehrlich gesagt war es Meghans spielerisches, fließendes und kreatives Sequencing, das mich von Anfang an fesselte, nachdem ich zum ersten Mal mit ihr „geflowt“ war. Und da es im ersten Teil ihres Advanced YTT genau darum ging, war ich umso neugieriger, wie ihr Schaffensprozess aussieht, wenn sie ihre fließenden, spielerischen Kunstwerke von Flows auf der Matte kreiert.
Und zwar kommt der eigenen Sadhana eine Schlüsselrolle beim Sequencing zu. Um mehr Vertrauen in die eigene Sadhana und sich selbst zu gewinnen (denn seien wir mal ehrlich: Wer zweifelt als Lehrer oder Lehrerin nicht hin und wieder am eigenen Wissen und der eigenen Kreativität?!), ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass auch in jedem von uns die Genialität der Schöpfung steckt. Dies spiegelt letztlich auch die Yogaphilosophie wider, insbesondere der Vedanta. Die Veden sind buchstäblich Nahrung für unsere Seele: Sie erinnern uns daran, dass wir bereits vollkommen sind, so wie wir sind. **
** Der Vedanta ist der letzte Teil der Veden, umfasst also die Upanishaden, die Brahma-Vidya lehren, das Wissen um das grenzenlose Sein (das nach den Upanishaden das Selbst ist).
Der Vedanta lehrt:Du bist vollkommen, du bist komplett und vollständig, so wie du bist. – Shāradā Devī, www.devischool.info |
Was bedeutet „Intrinsic Genius“?
Als Yogalehrende sind wir oft eine Verschmelzung all der Mentorinnen und Lehrer, die uns auf unserer eigenen Yogareise am meisten beeinflusst haben. Bestimmte Ausdrücke und Wörter sowie Minisequenzen sind tief in uns verankert, weil unsere Musen, Vorbilder und Gurujis ganz unbewusst einen Abdruck in uns hinterlassen haben. Sie haben uns zu den Lehrerinnen und Lehrern geformt, die wir geworden sind. Nachdem wir jedoch so viele Aspekte von anderen übernommen haben, kann es schwierig und herausfordernd sein, all diese Schichten, die wir angenommen haben, wieder abzulegen, um uns so mit dem „Intrinsic Genius“ in uns verbinden zu können. Für einige von uns stellt sich daher ganz von allein die Frage: „Was ist wirklich meins? Kann ich Sequenzen und Abläufe kreieren, die meinem eigenen inneren Wesenskern entspringen? Wie kann ich das, was mir innewohnt, selbst anzapfen?“
INTRINSIC (Deutsch: intrinsisch, innewohnend) = zur wesentlichen Natur einer Sache gehörend, als natürlicher Teil in etwas vorkommend GENIUS (Deutsch: Genius) = eine außergewöhnliche natürliche Fähigkeit (Meghan Currie Manual – modul 1, S. 3) |
Was bedeutet das für uns als Yogalehrende?
Auch du trägst diesen „Intrinsic Genius“ bereits in dir, und wenn du dich damit verbindest, kannst du ihn für deine eigene Praxis nutzen, und er wird die Art und Weise, wie du Yoga unterrichtest und weitergibst, verändern. Wichtig ist hier nur, dass du dich immer wieder aufs Neue daran erinnerst, dass du nicht jemand anders sein oder werden musst, denn wer du jetzt bist, ist bereits genug. Du bist so schon vollkommen, und es gibt keinen Grund, etwas an dir zu verändern.
Dein Körper ist weise, du bist einzigartig und hast angeborene Gaben und Talente in dir, die du mit der Welt teilen kannst. Wer du bist, mit all deinen Erfahrungen, die dich genau zum jetzigen Moment gebracht haben, ist mehr als genug.
– MEGHAN CURRIE
Was bedeutet Sadhana?
Wenn wir an Sadhana denken, dann beschränken wir sie meist nur auf unsere Zeit auf der Matte. Und dabei ist sie so viel mehr: Wenn wir am Morgen Kaffee in unsere Tasse einschenken, wenn wir fremde Menschen auf der Straße anlächeln, wenn wir bewusst den Regen riechen, wenn wir unsere Liebsten küssen und umarmen, wenn wir liebevoll unsere Fellnasen streicheln – auch all diese Dinge können als Sadhana verstanden werden. Die entscheidenden Zutaten, die jegliche Handlung zur Sadhana machen, sind Präsenz und Bewusstheit.
Alles kann Sadhana sein. Die Art und Weise, wie du isst, wie du sitzt, wie du stehst, wie du atmest, wie du deinen Körper, deinen Verstand, deine Energien und Emotionen führst – das ist Sadhana. Sadhana bedeutet keine bestimmte Art von Aktivität, Sadhana bedeutet, dass du alles als ein Werkzeug für dein Wohlbefinden einsetzt.
– SADHGURU
Warum ist deine Sadhana wichtig für dein Sequencing?
Die Art und Weise, wie wir unser Leben führen und wie wir Yoga praktizieren, hat einen Einfluss auf unsere Sequenzen und unseren Yogaunterricht. All unsere individuellen Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben, haben einen Abdruck in uns hinterlassen. Das, was wir aus diesen Erfahrungen gelernt haben und mitnehmen durften, und wie wir uns selbst sehen, beeinflusst, wer wir sind und wie wir unsere eigene Story erzählen. Jeder von uns hat der Welt schließlich eine ganz einzigartige Geschichte mitzuteilen. Denn all das, was wir erleben, hinterlässt einen Abdruck in uns: körperlich, mental, emotional.
Dasselbe trifft auch auf unsere Sadhana und unsere Yogapraxis, zu: Je tiefer wir Asanas oder Sequenzen in unserem Körper, unserem Geist und in unserer Gefühlswelt erfahren, desto stärker ist der Abdruck, den sie in uns hinterlassen. Wenn wir dann nur an bestimmte Haltungen im Yoga denken, wissen wir automatisch, wie sie sich in unserem Körper anfühlen, wir wissen direkt, welche Muskeln wir anspannen, wo wir Weite kreieren oder weicher werden müssen. Und wenn dem so ist, dann verkörpern wir unser Wissen, und es wird zu Embodied Knowledge. Die Asanas gehen so sehr in Fleisch und Blut über, dass wir die Effekte in unseren Körpern spüren können – selbst wenn wir nicht in der Haltung sind.
Meghan bezeichnet dieses Verhältnis von Sadhana und Sequencing als positive Feedbackschleife: Sie beide nähren sich gegenseitig und verstärken so ihre Wirkkraft untereinander. And here’s why:
Embodied Knowledge: Wie du die Zeit auf deiner Matte verbringst, macht den feinen Unterschied
Wie sieht deine eigene Yogapraxis aus? Was machst du auf der Matte, wenn du nicht unterrichtest? Ganz ehrlich, ich liebe es manchmal einfach, wenn ich von jemandem angeleitet werde, meinen Kopf ausschalten und mich voll und ganz meiner Atmung und meinem Körper hingeben kann. Jedoch ermutigte Meghan uns im Training immer wieder, frei zu fließen, um in diesen so genannten „Free-Flow Practices“ ein Gefühl dafür zu bekommen, was unser Körper gerade wirklich braucht: Wo möchtest du dich hinbewegen, was möchtest du stretchen oder loslassen?
Und genau das kann die schwierigste Aufgabe sein: Sich einfach dem Prozess hinzugeben, sich spielerisch auszuprobieren und ganz organisch zu fließen, um sich so mit der dir innewohnenden Intelligenz zu verbinden. Und auch wenn das der mitunter schwierigste Teil ist, so gehört er zum Prozess mit dazu: Es fühlt sich zunächst messy an, wenn wir neue Wege gehen, uns auf etwas Neues einlassen – schließlich wissen wir nicht, was dabei genau herauskommen wird. Geduldig mit sich selbst umgehen, so lautet die Devise. Sich freimachen von direkt spürbaren Ergebnissen (was manchmal richtig schwer ist!). Sich einfach nur den Impulsen und Bewegungsmustern im Körper hingeben, die sich in dieser Erkundungsphase von allein ergeben. Und denk dran: Widerstand ist Teil des Prozesses! Genau dieses unangenehme Nicht-Wissen, was genau dabei herauskommen wird, ist der Schlüssel. Oder aber wie Meghan es bezeichnet: „Wenn wir uns mit unserer kreativen Seite verbinden, dann fühlen wir uns verletzlich, durcheinander und unperfekt, aber genau diese Unperfektheit stellt den Nährboden für frische, neue Entdeckungen und Einsichten dar.“ In dem Sinne: Genieß es, diese unbekannte und doch so fruchtbare Welt kennenzulernen.
Wie können wir mehr in den eigenen Flow auf der Matte kommen? Ein paar Tipps, wie du mit deiner eigenen Free-Flow Practice beginnen kannst:
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Warum ist Embodied Knowledge so wichtig?
Wenn wir uns aus einer intuitiven, im Körper erfahrenen Erfahrung heraus bewegen, wenn Körper und Geist eins werden, das Bewusste sich mit dem Unterbewussten verbindet, dann wird diese tief im Körper gefühlte Erfahrung schließlich zu Embodied Knowledge. Wir werden dieses Wissen, wir werden das Asana. Wenn wir Asanas oder Sequenzen in unserem Körper immer und immer wieder erfahren und spüren, so dass sie in Mark und Bein übergehen, dann können wir von Embodied Knowledge sprechen. Und genau dann unterrichten wir aus einem tiefen Wissen heraus.
Das klingt eigentlich soweit logisch und nachvollziehbar, aber hast du bisher auch schon so unterrichtet?
Organisches vs. mechanisches Sequencing und Theming
Was ist dein typischer Sequenzierungsstil? Gehst du nur mental durch deine Sequenz durch und notierst dir sie oder organisierst du deine Stunden organisch von einer gefühlten Erfahrung aufbauend?
Wenn wir deinen Embodied Approach beim Sequencing und Theming an den Tag legen wollen, dann stellen wir unserem Körper Fragen und bewegen uns entsprechend, um diese Empfindungen und Erfahrungen im Körper zu erzeugen.
Es liegt so viel Magie in organischen, wahrhaft verkörperten Bewegungen; wir berufen uns dabei auf die Intelligenz unseres Körpers. Um besser in unsere Körper hineinhorchen können, ist es wichtig, zu entschleunigen und langsamer zu werden. Das trägt dazu bei, dass wir wieder mehr ins Selbstvertrauen kommen und unserem eigenen Körper auf natürliche Weise wieder mehr vertrauen können. Indem wir organisch mit unserem Körper fließen, werden wir langsam, aber sicher vertrauter mit ihm. Und das macht es möglich, dass wir uns einfacher seiner ganz eigenen Intelligenz hingeben können. Allmählich können wir so immer weitere Schichten, die uns von außen aufgelegt wurden, endlich ablegen, um zu unserer eigenen Intelligenz vorzudringen und die Genialität der Schöpfung, die auch in uns steckt, zu entdecken. Wenn wir uns organischen, embodied Bewegungen hingeben, dann lassen wir uns von Gefühlen und Empfindungen leiten, dadurch wir der Flow von allein natürlicher und fühlt sich weniger starr an.
„Es bedeutet nicht zwangsweise das, was du denkst, sondern das, was du fühlst.“
– STEVE FOWKES
Wenn du dich beim Sequencing bisher vor allem auf deinen Intellekt verlassen hast, dann hat das natürlich auch einige Vorteile: Es trägt zu sicheren Yogasequenzen für die Schüler bei und gibt dir (und vermutlich auch den Schülern) mehr Struktur und ein Gefühl von Organisation. Der wohl größte Nachteil ist, dass die Sequenz zu „disconnected“, sprich vom Körper entkoppelt, sein kann, so dass du die kleinen Aha-Momente und die intensiven, tiefen Empfindungen von den Übergängen verpasst, wenn du nur von einer Pose in die nächste gleitest.
Schlussendlich brauchen wir den Mix aus beiden Welten: Damit eine Klasse inspirierend und authentisch ist, benötigen wir das Embodied Knowledge, aber auch den Intellekt.
3 Tipps, um deinen Unterricht und das Sequencing auf das nächste Level zu bringen:
1. Bau dir eine „Erfahrungsbibliothek” auf:
2. Lern die Nuancen einer jeden Pose besser kennen:
3. Fokussier dich dich mehr auf die „Transitional Cues“ anstatt einfach nur den Namen eines Asana zu nennen:
Wir alle haben es schon einmal gemacht: Einfach nur den Namen eines Asana zu nennen, um die Schüler möglichst effizient in eine Pose zu bringen, ohne dass wir allzu große Aufmerksamkeit auf die Details der Übergänge legen müssen. Versuch dich mehr auf die so genannten „Transitionals Cues“ zu fokussieren. Was aktivierst du, was ziehst du ein, was neigst oder kippst du, wenn du in einer Pose bist? Wo wirst du softer oder findest Länge? Bekomm ein Gefühl für die Haltungen und unterrichte sie von diesen körperlichen Empfindungen und Bewegungen her. So wird der Flow sozusagen wie zu einem Gebet für den gesamten Körper; er wird organischer und ist somit weniger mechanisch, ist präsenter und weniger automatisiert.
„Weder ein erhabener Grad an Intelligenz noch Fantasie noch beide zusammen führen dazu, dass man ein Genie wird. Liebe, Liebe, Liebe, das ist die Seele des Genies.“
– WOLFGANG AMADEUS MOZART
Weitere Infos:
Mehr zu Meghan und den „Intrinsic Genius“ findest du in unserer aktuellen Frühlingsausgabe Nr. 138, die du hier versandkostenfrei (in DE) direkt zu dir nach Hause bestellen kannst.
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