Schwer zu fassen, aber kraftvoll zu spüren – ein Annäherungsversuch an eine komplexe Tradition.
Im großen Mosaik der Yogarichtungen gehört Kriya Yoga zu den ältesten Traditionen und vermutlich auch zu den bekanntesten. Nicht zuletzt dürfte beispielsweise die berühmte und inspirierende „Autobiographie eines Yogi“ von Paramahansa Yogananda dazu beigetragen haben, dass Kriya Yoga einer enormen Vielzahl Yoga-Interessierter und -Praktizierender zumindest ein Begriff ist. Indes haben wohl viele dennoch keine konkrete Vorstellung, was genau nun diese Yogarichtung charakterisiert – schon allein da sie eben sehr alt ist und im Laufe der Zeit viele große Lehrer und Meister und leicht divergierende Unterzweige hervorgebracht hat, ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass man sich etwas intensiver mit dem Kriya Yoga befassen muss, um Ein- und Überblick zu erlangen. Hinzu kommt, dass die spezifischen Lehren bzw. Techniken dieser Richtung sozusagen nicht gerade an die große Glocke gehängt werden, sondern nur diejenigen in sie eingeweiht werden, die sich entschieden haben, den Kriya Yoga auch tatsächlich zu erlernen und zu üben. Das hat mit der Komplexität dieser Methode zu tun, die allein mit Worten schwer vermittelbar ist und für welche daher die persönliche Anleitung durch einen erfahrenen Lehrer als erforderlich gilt.
Etwas widersprüchlich dazu wird Kriya Yoga allerdings in der „Autobiographie eines Yogi“ als eine einfache, psycho-physiologische Methode und sogar als „Schnellstraße zur Erleuchtung“ bezeichnet. Zum einen ist dazu anzumerken, dass die ungeheure Geschwindigkeit in Relation zu einer ohne die Hilfe yogischer Methoden ablaufenden Bewusstseins-Evolution zu verstehen ist, zum anderen aber auch, dass heute teilweise ein etwas verkürzter Kriya Yoga gelehrt und praktiziert wird, der nur einige ausgewählte Elemente dieser ursprünglich sehr umfassenden Tradition berücksichtigt. Diese reduzierte Form jedoch stellt sicherlich auch einen Kompromiss bezüglich der Umsetzbarkeit oder mehr noch der Umsetzungsbereitschaft der Mehrzahl der Menschen dar – gäbe es nur die Alternativen „ganz oder gar nicht“, würden sich viele vermutlich für „gar nicht“ entscheiden. Ohne aber gleich in eine Erörterung einzusteigen, ob die Essenz des Kriya Yogas den Verzicht auf einen Teil der alten Praktiken erlaubt und unter welchen Voraussetzung diese Essenz erfahren werden kann, soll zunächst unter Berücksichtigung verschiedener Quelltexte beschrieben werden, was sich eigentlich der Beschreibung entzieht.
Bei Kriya Yoga handelt es sich wie auch bei den anderen Wegen des Yoga um eine dogmenfreie, religionsungebundene Methode, ausgeübt mit dem Ziel, sich von den Ich-bezogenen, illusionären Anhaftungen zu befreien und so wahre Selbstverwirklichung zu erlangen. Kriya Yoga (Kriya=„Handlung“,“Ausüben“, „Ritus“, herrührend von der der Sanskrit-Wurzel kr-„tun“) kann verstanden werden als ein Yoga, bei dem das Bewusstsein der eigentlichen Seele und der Einheit mit dem Göttlichen in jeder Handlung des täglichen Lebens präsent ist. Zugleich kann der Begriff „Kriya“ auch auf die Aktivität des Bewusstseins bezogen werden, das in stetiger Bewegung bleibt und verfeinert und erweitert wird.
Im Yogasutra ist die Rede von Kriya Yoga als Praxis von Tapas (im Sinne positiver geistiger und spiritueller Übungen), Svadhyaya (Selbststudium, damals allerdings primär als Studium der heiligen Schriften verstanden) und Ishvara-Pranidhana (Darbringen aller Handlungen an das Göttliche). Hieraus wird bei weitem nicht der gesamte Umfang des Kriya Yoga deutlich, so gehören zum Kriya Yoga z.B. auch Techniken der Kundalini-Erweckung. Eine Schlüsselrolle spielen neben Meditationstechniken vor allem spezielle machtvolle Pranayama-Praktiken, wobei immer wieder die Wissenschaftlichkeit der Methode betont wird. Ein Wesenszug des Kriya Yoga besteht also darin, für die Realisierung der göttlichen Seele den Atem zu nutzen, den schon die alten Rshis als subtile Verbindung zwischen physischer Existenz und Seele erkannt hatten. Die Verfeinerung von stofflicher Energie und Bewusstsein wird insbesondere über eine Neuausrichtung des Stroms der Lebensenergie (prana) rund um die Wirbelsäule herum angestrebt: anstatt Prana nach außen zu den Sinnen fließen zu lassen, wird er nach innen gelenkt. Bei dieser Art von Pranayama wird dem menschlichen Blut Kohlendioxyd entzogen und Sauerstoff zugeführt. Eine solche Praktik beschreibt Krishna in der Bhagavadgita (4.29) mit den Worten:
„Andere wiederum bringen die Einatmung der Ausatmung dar und die Ausatmung der Einatmung, indem sie beide Atemströme beherrschen und in tiefer Konzentration auf die Lebenskraft sind.“ Die mit den feinen Elixieren der Wirbelsäule verbundene Energie beruhigt die energieraubenden mentalen Prozesse und wenngleich sie von den körperlichen Prozessen zurückgezogen wird, wird sie gerade dadurch auch für die Körperzellen zu einem Lebenselixier. Durch die Harmonisierung der physischen, psychischen und mentalen Energien ergibt sich die für die Meditation erforderliche Konzentration wie von selbst, ohne dass man sich mühsam dazu zwingen muss. Insofern ist Kriya Yoga in der Tat erfreulich einfach – ein wahres Geschenk für alle, die gern meditieren möchten, es aber immer wieder schwierig finden, den unruhigen Geist nicht abschweifen zu lassen.
Einweihungen
Dass man nicht häufig auf genaue Beschreibungen von Kriya Yoga stößt und es nur im Rahmen von Einweihungen wirklich erlernen kann, hat nichts mit Elitegehabe oder dergleichen zu tun. Stattdessen steht dahinter vor allem die Überzeugung, dass es besser ist zu handeln als große Worte zu machen und dass viel Gerede der Sache eher schaden als dienen könnte. Wenn man sich hier aber an Worte halten wollte, so weist ja bereits der Name Kriya Yoga darauf hin, dass es sich um etwas dem Wesen nach in der Praxis Vollzogenes handelt. Es ist ein Prozess, dessen Essenz sich nicht mit Worten fassen sondern nur erleben lässt. Wer Kriya Yoga lernen möchte und sich an die unterrichtenden Schulen, Lehrer und Organisationen wendet, erhält natürlich die nötige Anleitung, aber auch unter den Schülern und Eingeweihten gilt es als wichtig, untereinander nicht zuviel über das Erlernte und ihre eigenen Erfahrungen damit zu sprechen. Unter anderem spielt hier wohl eine Rolle, dass das In-Worte-Fassen das Erfahrene auf die Gedankenebene ziehen und in Schubladen einsortieren würde und dass man sich selbst und andere dadurch möglicherweise in der Unvoreingenommenheit für das weitere spirituelle Erleben beeinträchtigen könnte. Für Einweihungen in den Kriya Yoga wird eine gewisse Vorbereitung als wichtig erachtet. Gemeint ist nicht, dass man bereits ein großer Yogi sein muss, Vorerfahrung kann sich manchmal sogar als eher hinderlich erweisen. Auch ist für den Kriya Yoga weder Gelenkigkeit von Nöten, noch sonst irgendeine besondere Befähigung. Jeder, der den Wunsch dazu hat, kann Kriya Yoga ausüben. Es wird jedoch empfohlen sich, schon vorher mental auf die Veränderungen einzustellen und dafür bereit zu machen, indem man z.B. innere Stille und yogische Reinigungstechniken praktiziert und auch die Beherrschung gewisser Mudras und Bandhas spielt als Vorbedingung für den eigentlichen Kriya Yoga eine Rolle. Üblicherweise kann man Kriya Yoga auch nicht in Crashkursen lernen – entweder die Einweihungsseminare selbst beinhalten eine Phase der Vorbereitung oder für die Teilnahme daran wird der vorherige Besuch einführender Kurse vorausgesetzt.
Die Einweihung in den Kriya Yoga wird zumeist in mehreren Stufen vollzogen, wobei immer noch dieselben Zeremonien verwendet werden, mit denen schon die ersten Meister eingeweiht wurden, bis zu denen sich der Kriya Yoga zurückverfolgen lässt.
Die Linie der Meister
Da der Kriya Yoga aus den schon angesprochenen Gründen nur in einem Austauschprozess mit jemandem, der ihn selbst durchdrungen hat, erlernt werden kann, wurde er stets ausschließlich vom Lehrer zum Schüler weitervermittelt, wie es auch sehr der indischen Tradition entspricht. Aufgrund der Tatsache, dass ein Meister in der Regel nicht nur einen einzigen Schüler hat und manchmal mehrere Nachfolger zur Fortsetzung seines Werkes beruft, ist eine solche Tradition gewissermaßen mit einem Strom vergleichbar, der sich im Laufe der Zeit in mehrere Flüsse verzweigt. In diesem Vergleich bleibend, wie ihn ähnlich auch der zeitgenössische Kriya Yoga-Meister Paramahamsa Prajnanananda für die Beschreibung des Kriya Yoga heranzog, kann man vielleicht sagen, dass die verschiedenen Flüsse zwar etwas unterschiedliche Verläufe nehmen, letztendlich jedoch in allen das gleiche Wasser fließt – d.h. es entwickelten sich verschiedene Zweige des Kriya Yoga, in denen dieser nicht ganz identisch praktiziert wird, dennoch berufen sich aber alle letztlich auf denselben Ursprung und beinhalten dieselbe Essenz.
Da der Kriya Yoga untrennbar an die traditionelle Weitergabe durch die Linie der Meister geknüpft ist, erscheint es für seine Vorstellung weniger als verzichtbare „Geschichtsstunde“ denn als grundlegendes Element, etwas ausführlicher (wenn auch nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit) auf diese Linie einzugehen:
Babaji
Es ist in der Kriya Tradition breiter Konsens, dass die Methoden uralten Ursprungs sind. Trotzdem finden sich abgesehen von den angesprochenen Erwähnungen in der Bhagavad Gita und bei Patanjali lange Zeit keine Hinweise auf diese alte Lehre. Dies könnte mit dem Bestreben ihrer Geheimhaltung sowie teilweise mit der im Allgemeinen lückenhaften schriftlichen Überlieferung der Weisheitsschätze des alten Indiens zusammenhängen, aber auch damit, dass die Praktiken des Kriya Yoga möglicherweise zwischenzeitlich weithin in Vergessenheit gerieten. Wieder neu in Erinnerung gerufen wurden sie den Ausführungen Paramahansa Yoganandas zufolge von Babaji. Möchte man über Babaji Aussagen treffen, gelangt man bei der ohnehin nicht ganz einfachen Beschreibung der Kriya Yoga Tradition an einen besonders schwierigen Punkt. Der Name Babaji, in Indien eine gängige ehrfurchtsvolle Anrede für hoch geachtete Persönlichkeiten, wird als Eigenname für jenen unsterblichen Yogi verwendet, der in der Autobiographie eines Yogi als Mahavatar beschrieben ist, also als ein in Lichtgestalt auf die Erde zurückgekehrtes, nicht mehr den kosmischen Gesetzen unterworfenes vollkommen erleuchtetes Wesen. Babaji, so heißt es, wirkt im Verborgenen zum Wohle der spirituellen Entwicklung der Menschheit, zu welchem Zwecke er auch die Kriya Yoga Techniken weitergab und bestimmte Individuen mit ihrer Verbreitung beauftragte. Was Yogananda über Babaji berichtet, beruht auf Erzählungen u.a. seines Meisters Sri Yukteswar und dessen Meisters Lahiri Mahasaya als direkten Schülers von Babaji, aber auch auf einer eigenen Begegnung mit dem Avatar.
Während Yogananda zufolge keine historischen Daten über Babaji bekannt sind, machen V.T. Neelakantan und Yogi S.A.A. Ramaiah die Angabe, dass er im Jahre 203 n. Chr. während des Lichtfestes Kartikai Deepam in Tamil Nadu zur Welt kam. Bereits mit 12 Jahren soll er als Schüler des Siddhas Agastyar die Erleuchtung erlangt haben, im Alter von 16 physische Unsterblichkeit. Neelakantan und Ramayah, die in den fünfziger Jahren mit der Gründung des „Babaji’s Kriya Yoga Sangah“ einen neuen Kriya Yoga-Zweig ins Leben riefen und auch noch weitere Details über das Leben von Babaji publizierten, berufen sich auf persönliche Kommunikation mit ihm. Mit Yoganandas Aussagen stimmt dann wieder überein, dass Babaji unter anderem Adi Shankara, den großen Philosophen des Advaita Vedanta und Gründer des Dashanami Sampradaya-Ordens, sowie den berühmten mittelalterlichen Dichter, Mystiker und Heiligen Kabir in den Yoga eingeweiht haben soll. Laut den von Yogananda wiedergegebenen Überlieferungen und einigen neueren Berichten hält sich Babaji nach wie vor in seinem von den Gesetzen der Natur losgelösten Körper mit einer kleinen Schar von Jüngern im Himalaya auf, entzieht sich jedoch der Sichtbarkeit, sofern er sich nicht jemandem zu zeigen wünscht. Im Gegensatz zu vielen anderen, die nach dem Erscheinen von Yoganandas populärem Werk kundtaten, Babaji begegnet zu sein, reagierten allerdings gerade enge Schüler Yoganandas eher zurückhaltend auf Nachfragen, inwiefern es sich bei den Darstellungen um Tatsachen handelt. Jedoch ist hier vielleicht die Frage nach Tatsachen letztlich irrelevant – vielmehr geht es wohl um die damit nicht unbedingt gleichbedeutende Wahrheit, die zu kennen zumindest die meisten Menschen nicht von sich behaupten können. Jedenfalls wird Babaji weltweit als unbegreiflicher spiritueller Helfer und Hoffnungsträger im Hinblick auf die Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen und der Menschheit verehrt. Madame Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, sah in ihm den Weltenlehrer des kommenden Zeitalters.
Lahiri Mahasaya, geboren 1828 in Bengalen, war direkter Schüler Babajis, dem er 1861 im Himalaya begegnete, wohin er als Mitarbeiter der Railway Company durch ein organisatorisches Versehen „zufällig“ beruflich entsandt worden war. Während Kriya Yoga ursprünglich noch sehr viel stärker als heute eine Geheimlehre war und nur solchen Aspiranten anvertraut wurde, die sich gänzlich sowohl innerer als auch äußerer Entsagung verschrieben hatten, wurde diese strenge Handhabung mit dem Wirken Lahiri Mahasayas gelockert. In der „Autobiographie eines Yogi“ beschreibt Paramahansa Yogananda, wie Babaji seinen Schüler, der als Familienvater und Büroangestellter ein ganz normales weltliches Leben führte, dazu aufforderte, auch andere Menschen, die keiner monastischen Lebensweise nachgingen, zum Kriya Yoga zu ermutigen und in ihn einzuweihen. Lahiri Mahasaya solle den „modernen Menschen“ zeigen, dass es in Wahrheit auf die innere Entsagung und nicht auf jene von der äußeren Welt ankommt und sich Kriya Yoga somit auch mit einem weltzugewandten Leben vereinbaren lässt, so habe Babaji gesagt. Daraufhin, so heißt es weiter, habe Lahiri Mahasaya Babaji jedoch gebeten, darüber hinaus ebenfalls diejenigen einweihen zu dürfen, die auch zu innerer Entsagung zunächst nicht in vollem Umfang bereit sein, und dies sei ihm von Babaji gestattet worden. Lahiri Mahasaya schuf dann aus den Prinzipien des Kriya eine bestimmte Serie von Meditations- und Pranayama-Praktiken, die er fortan Menschen aller Kasten und Glaubensgemeinschaften lehrte.
Swami Sri Yukteswar Giri (1855-1936) war genau wie sein Lehrer Mahiri Lahasaya, dem er erst zu einem recht späten Zeitpunkt in seinem Leben begegnete, ein Familienvater. Er war belesen sowohl in östlichen als auch in westlichen Schriften Sein Buch „Die Heilige Wissenschaft“, in dem er die Lehre der verschiedenen Yugas (Zeitalter) darlegt und sich mit dem Entwicklungspotenzial des Menschen befasst, vor allem aber die Übereinstimmungen zwischen den Religionen aufzeigt, hat er laut „Autobiographie eins Yogi“ im Auftrag von Babaji verfasst. Sein Haus in Serampore machte er zu einem Ashram, 1903 gründete er zusätzlich den bekannten Karar Ashram in Puri, wo er Tausende von Menschen im Kriya Yoga unterrichtete.
Paramahansa Yogananda, der den Kriya Yoga im Westen bekannt machte und ihn durch starke Referenz auf Christus gerade Menschen mit christlichem Hintergrund sehr nahe brachte, war ein Schüler Sri Yuktesvar Giris. Ihm begegnete er 1910 im Alter von 17 Jahren, 1915 wurde er von ihm zum Mönch geweiht. Da es sich bei seinen Eltern um Schüler von Lahiri Mahasya handelte, war Yogananda schon von Kindheit an in einem besonderen spirituellen Umfeld aufgewachsen und bereits früh hatte Lahiri Mahasya prophezeit, dass er einmal viele spirituelle Sucher zu Gott führen werde. 1917 gründete er in Dakshineshwar die Yogoda Satsanga Society, die sich der Verbreitung des Kriya Yoga widmet und sich ferner in Form verschiedener karitativer Projekte engagiert. Bald sollte ihn sein Weg jedoch in den Westen führen. Wie ihm sein Guru erzählte, hatte Babaji diesem lange zuvor angekündigt, ihm einen Schüler zu schicken, den er auf die Bekanntmachung des Kriya Yoga in den Ländern des Westens vorbereiten sollte. Dass in dieser Botschaft Yogananda gemeint war, bestätigte sich dann schließlich in einer persönlichen Begegnung Yoganandas mit Babaji, und 1920 ging er in die USA, um als indischer Delegierter am Congress of Religious Liberals teilzunehmen. Noch im selben Jahr etablierte er dort als für den Westen zuständiges Pendant zur Yogoda Satsanga Society die Self-Realization Fellowship. In der folgenden Zeit hielt Yogananda überall in den Vereinigten Staaten Vorträge, die auf sehr große Resonanz stießen. Sein Eingang in Mahasamadhi erfolgte 1952. Während drei Wochen, die er seiner Bestattung vorangehend aufgebahrt war, zeigte sein Körper keinerlei Anzeichen von Verwesung. Dies wird teilweise als Tribut an seine Schüler und Verehrer gedeutet, teilweise aber auch als ein Akt, der Zweifelnde von der Wahrheit der Kriya Yoga-Lehre überzeugen sollte.
Die von Yogananda gegründete Self-Realization Fellowship wird seit 1955 von Sri Daya Mata geleitet, die zu den ersten und engsten Schülern Yoganandas gehörte, und unterhält fast 500 Meditationszentren in mehr als 50 Ländern sowie mehrere Tempel. Der Hauptsitz der SRF, die auch einen Mönchs- und Nonnenorden umfasst, befindet sich in Los Angeles. Im indischen Raum ist nach wie vor die Schwesterorganisation Yogoda Satsanga Society für die Fortführung von Yoganandas Werk zuständig. Bei der SRF und der YSS können Lehrbriefe bezogen werden, mit deren Hilfe man Vorstufen des Kriya Yoga erlernen kann. Diese führen in drei grundlegende Techniken ein, die eine gute Vorbereitung auf den Kriya Yoga sind, nämlich in die Techniken der Energetisierung durch Kontrolle der Lebensenergie, der Konzentration durch stilles Zeuge-Sein des Atems (einhergehend mit Zurückziehung der Gedanken und Energien von äußeren Ablenkungen) und der Meditation, in der die Macht der Konzentration zur Erkundung und Entwicklung des göttlichen Selbstes genutzt wird. Die Vermittlung des eigentlichen Kriya erfolgt jedoch auch bei der SRF/YSS in direkter Weitergabe durch einen autorisierten Lehrer. Für die Einweihungen wird die Unterzeichnung eines Gelübdes vorausgesetzt, in dem die Aspiranten sich dazu verpflichten, die Techniken an niemanden weiterzugeben (dies soll der Gefahr verfälschter Weitergabe vorbeugen) und eine disziplinierte Lebensweise zu pflegen.
Ein weiterer Schüler von Swami Sri Yuktesvar Giri war Swami Satyananda Giri, in Jugendzeiten eine Weggefährte von Yogananda, mit dem er gemeinsam einen Ashram sowie ein Internat in Ranchi gründete, und ein guter Freund Ramana Maharshis. Auf Wunsch seines Lehrers leitete Swami Satyananda Giri eine Zeit lang den Karar Ashram, zog zwischendurch aber etwa 12 Jahre als Wandermönch umher und verbreitete so den Kriya Yoga in ganz Indien, bevor er 1952 wieder in den Ashram zurückkehrte und sich als Präsident der von ihm ins Leben gerufenen Sevayatan Satsang Mission in Jhargram mit großem Engagement insbesondere um das Wohl der Landbevölkerung kümmerte, die zu dieser Zeit unter einer schweren Hungersnot litt. Swami Satyananda Giri, der – quasi nebenbei – Philosoph, Sänger, Komponist, Dichter und Sozialarbeiter war, ging 1971 in Mahasamadhi ein.
Paramahansa Hariharananda, geboren 1907 in Westbengalen, war sowohl Schüler von Yogananda, Satyananda Giri und Sri Sanyal Mahasaya als auch von Shri Yukteshwar und erlangte bereits im Alter von 40 Jahren Nirvikalpa Samadhi (höchster und unwiderruflicher Zustand der Einheit mit dem Göttlichen – eine Vorstufe dazu bildet Savikalpa Samadhi, von Yogananda definiert als vorübergehende Einheitserfahrung, bei welcher der Körper in einem tranceähnlichen Zustand verharrt). Neben tiefgreifenden spirituellen Praktiken beherrschte er u.a. auch die Wissenszweige der Astronomie, Astrologie, Chirologie und Chiromantie. Nach fast elfjähriger intensiver Meditation in der Abgeschiedenheit des Karar Ashrams wurde Paramahamsa Hariharananda von Babaji prophezeit, dass er für die weltweite Verbreitung des Kriya Yoga Sorge tragen solle, und 1951 erhielt er von Yogananda den Auftrag, Einweihungen vorzunehmen. Diesem Ruf kam er bis zu seinem Ableben im Dezember 2002 mit viel Liebe nach und gründete ein internationales Netzwerk von Kriya Yoga Zentren mit Mutterzentren in Wien, Orissa und Miami. Am 27. Mai nächsten Jahres wird sich sein Geburtstag zum hundertsten Mal jähren, weshalb seine Schüler ihm zu Ehren zur Zeit weltweit 100 Veranstaltungen verschiedener Art organisieren, darunter auch Highlights in Österreich (September) und in Deutschland (November; Yoga aktuell weist noch gesondert darauf hin). Begonnen haben die sich insgesamt über einen Zeitraum von einem Jahr erstreckenden Festlichkeiten bereits am 27. Mai 2006. Im Rahmen der Feierlichkeiten sollen auch neue Schriften über das Leben und Wirken Hariharanandas und anderer Kriya Yoga-Meister herausgegeben werden.
Die heutigen Lehrer
Zu den wenigen noch lebenden direkten Schüler Yoganandas zählen
• Swami Kriyananda und
• Roy Eugene Davis. Swami Kriyanandas Autobiografie „The Path“ – gekürzte dt. Ausgabe: „Die Suche nach dem Sinn“ – ist recht bekannt. Er war eine Zeit lang Vize-Präsident der SRF, verließ jedoch wegen Unvereinbarkeiten die Organisation, um kurz darauf die weltweite Bewegung »Ananda« zu gründen. Roy Eugene Davis wiederum gründete das Center for Spiritual Awareness mit Hauptsitz in Georgia.
• Paramahamsa Prajnanananda ist der Nachfolger Paramahamsa Hariharanandas. Mit der „Prajnana Mission“ betreut Paramahamsa Prajnanananda, ein in Orissa geborener ehemaliger Professor der Ökonomie und heutiger Leiter des Kriya Yoga Ashram in Miami, unter anderem verschiedene karitative Einrichtungen und Projekte zur Verbreitung des Kriya Yoga. Wer mehr über die Meister des Kriya Yoga erfahren möchte, kann in seinem Buch „die Kriya Yoga Meister“ Kurzbiographien nachlesen.
• Swami Janakananda Saraswati wurde von • Swami Satyananda Saraswati, dem Gründer der Bihar Yoga Bharati, in den Kriya Yoga eingeweiht. Swami Satyananda Saraswati, zu dem im Zusammenhang mit dem von ihm entwickelten Satyananda Yoga in einer späteren Ausgabe mehr gesagt wird, hatte die Kriya Yoga-Einweihung wiederum von seinem Lehrer Swami Sivananda erhalten. In dieser Tradition lehrt Swami Janakananda tantrischen Kriya Yoga (im ursprünglichen Sinne des Begriffs Tantra), wie er sich schon bis zu Shankara zurückverfolgen lässt. Der gebürtige Schwede rief 1970 die Skandinavische Yoga und Meditationsschule ins Leben, die für ihren tiefgehenden, gründlichen Unterricht bekannt ist. Neben Niederlassungen in Schweden und Dänemark gibt es mittlerweile auch eine Schule in Hannover, die von Hamsananda und Yogashakti geleitet wird. Seit 1972 betreibt die Skandinavische Yoga und Meditationsschule ein großes internationales Kurszentrum in Südschweden, wo regelmäßig Retreats unterschiedlicher Länge und Yogalehrerausbildungen angeboten werden. Swami Janakanda arbeitet mit Wissenschaftlern zusammen, die den Nutzen von Yoga und Meditation erforschen. Am internationalen Kurszentrum Håå in Südschweden unterrichtet Swami Janakananda jedes Jahr Kriya Yoga auf den 1- und 3-monatigen Sadhana-Kursen. Mehr zum unverfälschten tantrischen Kriya Yoga kann man in seinem Buch „Yoga, Tantra und Meditation im Alltag« erfahren, das in 9 Sprachen übersetzt wurde.
• Yogi Dhirananda
Yogi Dhirananda wurde von Swami Hariharananda in den Kriya Yoga eingeweiht. 1977 erhielt der gebürtige Inder den Auftrag, als autorisierter Lehrer den Kriya-Yoga im Westen zu lehren. Seit 20 Jahren leitet er Seminare in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Schüler von ihm, die ebenfalls unterrichten, sind • Kripanandamoyima und • Janakananda (beide Schweiz) sowie • Viswananda (Deutschland Bodensee).
• Harald und Marlies Reiske leiten ein Kriya Yoga Center in Passau, wo sie in der Tradition von Yogananda und ihrem Lehrer Roy Eugene Davis unterrichten.
• Shibendu Lahiri ist der Urenkel von Lahiri Mahasya, der den Kriya Yoga auch innerhalb seiner Familie weitergegeben hatte, wo er bis in die heutige Generation weiter tradiert wurde. Shibendu Lahiri gibt Unterricht und bereist auf Einladung seiner Schüler Länder in aller Welt, um Vorträge zu halten, ist aber weder Mitglied noch Gründer einer Organisation.
• Rajarshi Peter van Breukelen, Schüler von Paramahamsa Hariharananda, leitet das von diesem gegründete Kriya Yoga Zentrum in Sterksel/Holland.
Babaji’s Kriya Yoga
Wie schon erwähnt entstand in den fünfziger Jahren eine Bewegung namens „Babaji’s Kriya Yoga Sangah“, gegründet von • S.A.A. Ramaiah und • V.T. Neelakantan, einem renommierten indischen Journalisten. Gemeinsam gaben die beiden Gründer auch mehrere Bücher über Babaji heraus, die ihnen, so sagen sie, von diesem diktiert worden seien. Insbesondere Ramaiah beschäftigte sich intensiv mit der südindischen Siddha-Tradition, der den ihm und Neelakantan angeblich von Babaji enthüllten Details nach auch dieser angehört. Die Bezeichnung Siddha (wörtl. „Vollkommenheit erlangt habend“) wird für Menschen verwendet, die durch die intensive Praxis yogischer Techniken besondere Fähigkeiten, Siddhis, erlangt haben. Berichte über solche Siddhas, die unter anderem über die Macht verfügten, ihren Körper willentlich unendlich leicht zu machen oder ihn an einem anderen Ort zu materialisieren, und die in der Regel sehr gelehrt waren, finden sich vor allem in der tamilischen Literatur in größerer Zahl. Darin erfährt man über 18 solcher sozusagen mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Siddhas, unter ihnen Agastya und Boganathar, die Babajis Lehrer gewesen sein sollen. Auch Patanjali wird als Siddha identifiziert. Dieser erwähnt im Yogasutra (3.32), dass man durch Konzentration auf das Ajna-Chakra der Siddhas ansichtig werden könnte.
An der Siddha-Tradition, in der in der Regel eine grundlegende physische Transformation den spirituellen Entwicklungsprozess begleitet und in der es als Ziel gilt, den Körper in einen Lichtkörper zu verwandeln, wird von einigen kritisiert, dass hier die bloße körperliche Unsterblichkeit im Vordergrund stehe und nicht die Loslösung von allem Körperlichen und anderem der Maya Zugehörigen zugunsten der Verschmelzung mit dem formlosen Göttlichen. Vertreter von Babaji’s Kriya Yoga verteidigen die Siddha-Tradition mit der Erläuterung, dass es nicht um profane Zielsetzungen und Eitelkeiten gehe, sondern um eine vollständige Transformation des Menschen auf allen Ebenen – der intellektuellen, mentalen, vitalen und eben auch des physischen Körpers. Dies erinnert durchaus an Yoganandas Beschreibung, dass Babaji sich durch alle Ebenen hindurch bis hin zu den physischen Zellen seines Körpers dem Göttlichen unterworfen habe und seine Aussage, der Kriya Yoga könne eine Umwandlung des Körpers in reine Energie bewirken. „Babaji’s Kriya Yoga“ liegt die Aufassung zugrunde, dass die Welt göttlich sei und die Überzeugung, dass sich die Menschheit in einem Evolutionsprozess befindet. Ramaiah sieht hier einen Unterschied zu dem advaita-vedantischen Denken anderer Kriya Yogis – die Frage, inwiefern hier aber tatsächlich Widersprüche vorliegen, führt in eine komplizierte philosophische Eröterung.
„Babaji’s Kriya Yoga“, in das Ramaiah 1954 im Zeitraum eines halben Jahres von Babaji im Himalaya eingeweiht worden sein soll, umfasst 144 Kriyas, zu denen u.a. 18 bestimmte Asanas gehören. Dass diese Kriyas nicht mit dem Repertoire an Techniken übereinstimmen, welche in der oben vorgestellten Meisterlinie weitergegeben werden, erklären die Vertreter von „Babajis Kriya Yoga“ damit, dass Babaji den verschiedenen Schülern abhängig von deren jeweiligen Bedürfnissen und vom ihrem spezifischen Auftrag unterschiedliche Gruppierungen dieser Techniken mitgeteilt habe, aber auch davon, dass der Kriya Yoga von diesen selbst teilweise bewusst reduziert und angeglichen worden sei, um eine größere Zahl von Menschen damit erreichen zu können. Allerdings werden auch Einweihungen in „Babajis Kriya Yoga“ als Wochenendkurse angeboten. In der ersten Einweihung geht es darum, mit Babaji kommunizieren zu lernen, und sie umfasst auch die 18 Körperhaltungen sowie die Atemtechnik Kriya Kundalini Pranayama, die zweite Stufe bilden u.a. Einweihungen in Mantras, yogische Ruhe und Meditation und in der dritten Einweihungsstufe schließlich erfolgt die Vermittlung weiterer fortgeschrittener Techniken. Als unverzichtbar erachtet wird die hingebungsvolle Liebe zu Babaji. Ein Schüler von Ramaiah war Marshall Govindan, der seit den achtziger Jahren ebenfalls weltweit Einweihungen in Babaji’s Kriya Yoga gibt, wozu er seinen Angaben nach von Babaji selbst instruiert worden sein, dem er wie er sagt auf der vitalen Ebene begegnet sei. Marshall Govindan gibt auch im deutschsprachigen Raum Einweihungen in „Babaji’s Kriya Yoga“ an, häufiger jedoch werden sie hier von seinem Schüler Satyananda angeboten.