Tantra – allein der Begriff polarisiert: Während die einen verächtlich die Nase rümpfen, geraten die anderen in Verzückung; wiederum andere erstarren vor Furcht. Doch was ist Tantra wirklich? David Frawley besinnt sich auf die Essenz des Tantra-Yoga inmitten unüberschaubarer Illusionen
Vielleicht ist unter Indiens Yoga Traditionen keine exotischer, drastischer und aufsehenerregender als die Tantra-Praxis. Kein anderer Yoga-Ansatz hat eine solche Faszination auf den modernen Geist und dessen Suche nach dem Bizarren, Unterhaltsamen und Rätselhaften ausgeübt.
Tantra scheint in höchstem Grade sowohl spirituellen als auch weltlichen Erfolg zu versprechen. Es umfasst nicht nur innere yogische Erfahrungen der Chakras, Lokas und Götter, sondern beinhaltet auch viele Heilmethoden für Körper und Geist. Und was am bemerkenswertesten ist, es bietet auch spezielle Mittel zur Steigerung des sexuellen Vergnügens, zum Geldvermehren, zum Erlangen von Anerkennung und zum Besiegen von Gegnern – für jegliche Arten menschlichen Begehrens stehen tantrische Methoden zur Verfügung. Im Tantra findet sich für jeden etwas, besonders auch für diejenigen, die asketische oder entsagende Ansätze zum spirituellen Leben, wie sie den großen Rest der Yoga Tradition bestimmen, als abschreckend empfinden.
Dennoch gibt es hinter diesem Reiz des Tantra tiefgründige und profunde Lehren, darunter die pulsierendsten Strömungen und detailliertesten Praktiken in der Yoga Tradition der letzten tausend Jahre oder mehr. Wenngleich Tantra jedem viel zu bieten hat, muss man lernen zwischen dem zu unterscheiden, was wahres Tantra ist, und dem, was oberflächliches Tantra ist – andernfalls kann man schnell auf Verzerrungen hereinfallen, die zu Haufe existieren und heutzutage viel stärker ins Auge fallen als der ursprüngliche Kern.
Tantra und Wunsch-Erfüllung
Sogar in Indien werden Tantriker oft als große Magier mit speziellen Fähigkeiten zum Überwinden von Schwierigkeiten und zum Erfüllen von Wünschen porträtiert, die mithilfe von Edelsteinen, Mantras, Yantras und Pujas die Götter auf unsere Seite ziehen und negative Kräfte und schlechtes Karma beseitigen, die sich unserem Glück in den Weg stellen. Solche Tantristen mögen wohldefinierte Wissenssysteme anwenden, insbesondere die vedische Astrologie, aber auch Yoga und Ayurveda, und in ihren Praktiken recht bewandert sein. Oft jedoch ist ihr Anspruch eher ein persönlicher, entsprechend ihren eigenen Kräften oder Siddhis und ihren Verbindungen zu Göttern, Gurus oder Geistern, die auf mysteriöse Weise für uns tätig werden können und dabei alle äußeren Grenzen außer Gefecht setzen, mit […]