Vor Kumbhaka kann der Atemprozess durch gezielte Übung von Atembewusstheit vertieft werden: die Praxis der „vier Stationen des Atems“.
Was bedeutet das Versiegen des Atems anderes, als ihn zu befreien von seinen ruhelosen Gezeiten, so dass er aufsteigen und sich weiten kann, um, frei geworden von jeder Last, das Höchste zu suchen.
Khalil Gibran
Im letzten Beitrag ging es uns um Kumbhaka, die Atempause. Wir haben sie den „Kulminationspunkt“ in der Praxis des Yoga genannt und mit der 4:4:6:2-Atmung eine einfache Form vorgestellt, in der man systematisch Atempausen setzt. Die Atempause ist in der Vorstellung des Yoga eine Brücke der Stille: Sie nimmt ihren Anfang in der Stille des atmenden Körpers – in Asana, dem Sitzen in einer bequemen Haltung. Das muss nicht auf dem Boden mit gekreuzten Beinen sein, sondern geht gut auch auf einem Stuhl, wenn man sich damit wohler fühlt. (Warum nur finden sich in Yogastudios so gut wie nie Stühle oder Hocker? Nicht jeder im Yoga ist fünfundzwanzig Jahre alt, und selbst junge Menschen können häufig nicht bequem mit gekreuzten Beinen am Boden sitzen, wenn ihre Hüften nicht offen genug sind!)
Auf die Stille des atmenden Körpers folgt die Stille des Atems selbst: Kumbhaka. Im Hatha-Yoga wird die Atempause willentlich und systematisch aufgebaut. In der höchsten Form aber geschieht sie spontan, ohne Willenskraft. Diese Atemstille wird Kevala-Kumbhaka genannt: Ein längeres, spontanes Versiegen der Atmung. Patanjali nennt es Chaturtha, „der Vierte“. Gemeint ist der vierte Vorgang beim Atmen. (Die anderen drei sind Einatmung, Ausatmung und die Pause zwischendrin, die entweder natürlich und kurz oder willentlich und verlängert ist).
Schließlich: Die Stille des Geistes oder Chitta-Vrtti-Nirodha, wie das Yogasutra den Zustand inneren Friedens definiert, den man Yoga nennt. Nichts brauchen wir als physische Wesen mehr als den Atem, nichts bindet uns stärker an den Körper als er. Es ist deshalb nur konsequent, wenn die Yogis in der Stille des Atems die Stille des Geistes und schließlich die Transzendenz des Körpers suchen: Die erfahrungsbasierte Erkenntnis, dass wir mehr sind als dieser Körper, mehr als der Atem sogar, und mehr noch als die zahllosen Regungen unserer Gefühle und Gedanken.
Das sind die großen Ziele der Atemarbeit im Yoga. Horizonte sind sinnvoll, wohin sonst […]