Anders als etwa in Indien sind Einsiedler in Europa heute ein eher seltener Anblick. Cliff Barber ist einer davon und obendrein ein ganz besonderer. Als Yogi der ersten Stunde hat er den Yoga an unzählige Menschen weitergegeben. Als Wahrheitssucher verbrachte er die letzten 50 Jahre seines Lebens damit, sich der in der Blume des Lebens innewohnenden universellen Wahrheit zu widmen. YOGA AKTUELL traf den zurückgezogen lebenden Asketen in Griechenland und sprach mit ihm über sein Lebenswerk und das Einsiedler-Leben.
Der einzige Zweck der Mathematik liegt für mich darin, dem Göttlichen näher zu kommen.
Wer ist Cliff Barber?
Cliff Barber (*1931 in Illinois, USA) war einer der Ersten, die Yoga Ende der 1960er aus Indien in den Westen brachten. Nachdem der aus mittellosen Verhältnissen stammende junge Cliff, der in den 1950er-Jahren im abenteuerlichen Business des Schatztauchens zu Wohlstand gekommen war, erkannte, dass Geld eine Illusion ist, die ihm keinerlei Erfüllung bringen konnte, gab er seine materiellen Güter 1969 auf und widmete sich der Philosophie und dem Yoga. Es war in diesem Jahr, als er beschloss, nie wieder für Geld zu arbeiten und seither hatte er sich auch daran gehalten. Nach Jahren als Yogalehrer in Indien zog sich der Yogi als Einsiedler zurück in die Wildnis Griechenlands, wo er buchstäblich unter einem Baum Asanas praktizierte und sich vor allem dem Studium der reinen Mathematik widmete, in der er den Schlüssel zur ersehnten Wahrheit sieht.
Die „Blume des Lebens“ – ein Lebenswerk
In Griechenland angekommen, vertiefte sich der Yogi vollkommen in die Linien und Kreise der Blume des Lebens. Der Zeichenvorgang dient als höchste Konzentrationsübung und als Erfahrung des „Im-Jetzt-Sein“. Seit über 50 Jahren zeichnet Cliff die Blume des Lebens, und erst vor wenigen Jahren stellte er die ersten Werke fertig, die er als „aktiviert“ bezeichnete. Sie folgen einem strengen Aufbau, der eng mit den Gottesnamen der Kabbalah und den mathematischen Grundprinzipien zusammenhängt. Sein gesundheitlicher Zustand hindert Cliff bereits seit Anfang 2020 daran, weiter an der Blume des Lebens zu arbeiten bzw. Yogasanas zu praktizieren. Mit Schmerzen auf dem Boden seiner Hütte liegend, empfängt der Lehrer aber immer noch Besuch und wird nicht müde, von der Blume des Lebens und ihren Hintergründen zu erzählen.
Die meisten Menschen interessieren sich für Essen, Sex und Geld. Aber nur sehr wenige interessiert der Sinn des Lebens, und wie man ihn findet.
Ein Besuch bei Cliff Barber im Paradies
Es ist ein sonniger Herbsttag, an dem wir uns den Weg durch die märchenhafte Landschaft eines Flussbetts auf der griechischen Insel Kreta bahnen. Ein paar Tage zuvor waren wir schon mal hier gewesen, auf der Suche nach Cliff Barber, der seit mehr als 50 Jahren an diesem Fluss sein bescheidenes Lager bewohnt. An jenem Tag fanden wir nicht ihn, doch stattdessen einen beeindruckenden Wasserfall. Heute haben wir noch mehr Glück: Nachdem wir den Anweisungen einer von Cliffs Langzeitschülerinnen gefolgt sind, finden wir den kleinen Trampelpfad, der uns direkt zur kleinen Hütte des Yogis im Wald führt. In den Tagen zuvor hatten wir bereits in Erfahrung gebracht, dass es ihm schon seit einigen Monaten miserabel gehe, – zumindest physisch. Cliff Barber ist knapp 90 und leidet an den Nebenwirkungen der starken Medikamente, die eine Infektion heilen sollten. Auf das Schlimmste eingestellt, machen wir uns bemerkbar und stellen rasch fest, dass der Yogi mental noch so klar ist wie der Fluss, der neben seiner Hütte das seichte Tal hinab treibt.
Es folgen Auszüge aus dem Gespräch, das wir an diesem Tag mit Cliff führen konnten:
Über die Blume des Lebens
YOGA AKTUELL: Warum interessiert dich die Blume des Lebens so sehr?
Cliff Barber: Weil in ihr eine universelle Wahrheit liegt. Etwas, von dem es in der Welt nicht viel gibt.
Kannst du etwas mehr über die Blume des Lebens erzählen?
Wenn wir die Blume des Lebens erschaffen, erschaffen wir damit eine grundlegende Wahrheit, die uns von Gott überlassen wurde. Sie wurde nicht vom Menschen erfunden und wir können auch nichts an ihr ändern. Sie wurde uns zum Zwecke der höheren Entwicklung überlassen, aber du musst sie zeichnen. Das ist ganz einfach: zeichne einfach einen Kreis und darum herum sechs weitere. Wenn du das gewissenhaft und genau machst, wird sie exakt richtig. Das ist schon alles; keine große Sache. Folge einfach dieser Anleitung.
Aber du hast viele, viele Jahre damit verbracht, die Blume des Lebens zu zeichnen?
Ja, ich zeichne sie seit 1968.
Ich glaube, du bist der Einzige, der die Blume des Lebens schon so oft gezeichnet hat, es gibt nicht viele, die den nötigen Hintergrund und die nötige Erfahrung dafür mitbringen.
Ja, das stimmt leider.
Kennst du noch jemand außer dir, der die Blume des Lebens zeichnet?
Nein. Ich habe im Internet nachgesehen, es gibt einige Leute, die sich damit beschäftigen, aber niemand ist wirklich tief eingetaucht. Denn dafür müsste man die meiste Zeit alleine verbringen und in Konzentration. Darauf hat niemand wirklich Lust. Zudem gibt es keine finanzielle Belohnung. Fast jeder tut fast alles für Geld. Man macht nichts der Sache selbst wegen, sondern für Geld; auch Yoga. Doch tatsächlich ist Geld eine Illusion.
Hast du denn noch Zeichnungen hier oder hast du sie alle weggegeben?
Dort unter dem Tisch liegen noch ein paar, aber sie sind nicht fertig. Du kannst sie gern rausnehmen, wenn du möchtest. Eine davon ist zu etwa dreiviertel fertig. Eigentlich könnten wir es aufhängen … (Wir hängen das Bild auf und helfen Cliff, sich aufzurichten, damit auch er das Bild betrachten kann).
Wow, das ist wunderschön! Was bedeutet es, wenn du sagst, ein Bild ist „aktiviert“?
Es bedeutet, dass die Farbgestaltung durch den jeweiligen Namen Gottes bestimmt wird. Kennst du die Namen Gottes?
Nein, mit mir musst du wohl ganz von vorne beginnen (lacht)
Es ist eine gute Idee, die Namen Gottes zu lernen!
Wo hast du sie gelernt?
Wo? In Hawaii. 1968 gab mir ein Freund eine Meditation zu den Namen Gottes auf Hebräisch.
(lacht) Du musstest also erst noch Hebräisch lernen?
Nein. Hebräisch ist eine sehr ungewöhnliche Sprache. Jeder Buchstabe des Alphabets ist mit einer Bedeutung, einem Bild und einer Nummer versehen. Im Hebräischen bildest du also ein Wort, indem du dieses Bild und die Nummer zusammenfügst, so erhält das Wort seine spezifische Bedeutung. Im Grunde ist es gar nicht schwierig. Der erste Buchstabe des Hebräischen Alphabets ist aleph, er wird in Englisch „alph“ geschrieben. a bedeutet „Ochse“, l bedeutet „Ochsenstachel“ – jenes Instrument, mit dem du den Oxen führst –, und ph bedeutet „Mund“: Sprichst du nun a-l als „al“ aus, ist al ein Name Gottes – „Die Führung des Ochsen“. In früheren Zeiten galt der Ochse als die Quelle von Kraft, er wurde für die Feldarbeit eingesetzt. Man muss ihn jedoch führen, ansonsten weiß er nicht, was man von ihm will. Später stellte sich heraus, dass du eigentlich die kreative Kraft mit deinem Mund steuerst: Deine Art zu sprechen, bestimmt dein Leben. Das kann man auch gut am OM-Sound beobachten. Man sieht es eigentlich an jedem kulturellen Attribut.
Das letzte Wort im hebräischen Alphabet ist tav, im Englischen: „thv“. Es bedeutet „Kreuz des Nagels“: th bedeutet „Kreuz“ und v bedeutet „der Nagel“. Dazu kommen aber noch die Nummern: thv hat die Nummer 406, alph 111 – a ist eigentlich 1, aber wenn du es a-l-p-h aussprichst, kommt 111 dabei heraus, was die Dreieinigkeit und die Einigkeit veranschaulicht. Es ist irgendwie interessant, so ungezwungen und gewöhnlich darüber zu plaudern, denn es ist eigentlich gar nicht gewöhnlich, vielmehr handelt es sich um den grundlegenden Weg durch das Leben für alle, die sich dafür interessieren. Die meisten Menschen interessieren sich für Essen, Sex und Geld. Aber nur sehr wenige interessiert der Sinn des Lebens, und wie man ihn findet.
Wo startet man am besten, wenn man sich damit beschäftigen möchte?
Mit Lesen.
Welche Bücher kannst du empfehlen?
(lacht) es gibt Hunderttausende Bücher …
Ja, wir haben viel zu viel Information verfügbar.
Nein. Es ist Teil des Trips herauszufinden, welche lesenswert sind und welche nicht. Man muss die Schafe selber von den Ziegen trennen. Jemand anders kann uns den Weg zwar zeigen, zum Beispiel eines der grundlegenden Bücher, die Bibel – das liegt auf der Hand. Im Psalm 119, dem längsten Psalm der Bibel, beginnt jede Strophe mit einem Buchstaben des hebräischen Alphabets, in alphabetischer Reihenfolge. So beginnen die ersten acht Zeilen der ersten Doppelstrophe mit aleph, die nächsten acht Zeilen beginnen mit bet und so fort. Wenn man Psalm 119 der Bibel liest, fällt das zunächst gar nicht so auf, aber wenn man das weiterverfolgt, könnte man belohnt werden. Du bekommst Magenkrämpfe und Juckreiz, wenn du 90 bist (scherzhaft). Aber nichts für ungut, mein Leben war ein sehr gutes und hoffentlich werde ich auch noch diese blöden Pillen los – und zwar bald!
Hier steht ein Buch: 777. Ist es gut?
Es ist essenziell. Im Grunde geht es darin genau um das, was wir gerade besprochen haben. Und jetzt ist es schon 111 Jahre alt, seit es veröffentlicht wurde. Du findest darin einige Tabellen und wenn du zum Beispiel die hinduistischen Götter herausfinden möchtest, gehst du zu Tabelle 22, wenn du die ägyptischen Götter wissen möchtest, siehst du unter Tabelle 19 nach und wenn du mehr über die christlichen Götter lesen möchtest, schau auf Tabelle 36 und so weiter. Im Buch werden alle zusammengefügt und man sieht, dass Gott im Grunde eins ist, unabhängig davon, welche Sprache du sprichst oder welche Hautfarbe zu hast.
Das ist interessant!
Ja, aber lass dich nicht von den absurden Aspekten verwirren, die man ihm (Aleister Crowley, Autor des Buches 777, Anm. d. Red.) gerne nachsagt. Denn man versucht, ihn als bösartigen Magier darzustellen, das ist er aber nicht, ganz im Gegenteil, aber leider gibt es viel Böses in der Welt.
Über das Einsiedler-Leben auf Kreta
Cliff landet durch Zufall auf Kreta, als er auf dem Weg zurück in die Staaten war. Nach Hause zurückzukehren war für ihn jedoch nie eine Option und so hatte er es auch nie gemacht. Genug von Yoga-Haltungen und der materiellen Welt, sehnte er sich nach einem Leben in Stille inmitten göttlicher Natur. An den Ufern eines Flusses der Insel fand er sein eigenes kleines Paradies – sein Zuhause seit über 50 Jahren, das immer wieder durch Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen neu errichtet werden musste.
Warum bist du nach Kreta gekommen, um hier auf diese Weise zu leben?
Ich bin ein Entsagender und das war der beste Ort, den ich finden konnte.
Ist das Leben als Einsiedler auch schwierig? Hast du Probleme gehabt?
Nein. Ich meine, am Anfang ist es nicht so einfach, weil du nicht weißt, was du hier eigentlich genau machst, aber wenn du in diese Art zu leben eintauchst, wird es sehr leicht. Es ist die beste Art zu leben. Und obwohl das alle Schriften sagen, glaubt es doch keiner.
Hast du die Insel bereist, oder warst du immer hier an diesem Fluss?
Ich war immer nur hier und nirgends sonst auf Kreta. Ich kam schließlich nicht, um mir die Insel anzusehen. Ich kam, um dem Yogaunterrichten zu entfliehen und mich voll und ganz meinen Bildern zu widmen.
Hast du auch die griechische Sprache gelernt?
Ich spreche gar kein Griechisch.
Du warst wohl mehr der mathematisch veranlagte Typ (lacht).
Nun, ich weiß nicht, ob du weißt, dass es zwei Arten von Mathematik gibt. Es gibt die angewandte Mathematik, die man verwendet, um Dinge damit zu berechnen und das hier, was ich mache. Das wird als reine Mathematik bezeichnet, dabei geht es um die Beziehung zwischen den Zahlen. Sie führt nirgends hin, ich meine, sie führt schon wo hin, aber eben zu höheren Levels, das sollte sie zumindest. Wie Plato schon sagte: „Sie führt den Geist vom Alltäglichen zum Erhabenen.“ Die meisten Menschen leben heute in der alltäglichen Sphäre.
Über Yoga als Praxis
Zunächst lernte Cliff bei Sadchidananda und Vishnudevananda, beides Schüler von Sivananda. Später lernte er die Ashtanga-Yoga-Methode mit Sri K. Pattabhi Jois und kam dabei sehr schnell weit über die vierte Serie hinaus. Gemeinsam mit Danny Paradise lehrte er anschließend Yoga in Goa, bevor er Indien verließ, um sich auf Kreta niederzulassen. Bis ins hohe Alter von über 80 Jahren übte Cliff fortgeschrittene Asanas und Pranayama-Übungen an seinem Yogaplatz am Fluss. Bis er schließlich nach einem Unfall, bei dem er auf seinen Rücken gefallen war, die körperlichen Übungen mehr und mehr einschränken musste.
Meditierst du noch?
Ja. Ich mache überwiegend Anapanasati.
Was ist das?
Anapanasati ist eine Art der meditativen Atmung, die aus der buddhistischen Tradition stammt.
Wie geht diese Atemübung?
Wenn du einatmest, sagst du dir mental „Ich atme einen langen Atemzug ein.“ Dann atmest du aus und sagst mental „Ich atme einen langen Atemzug aus“. Und bei den nächsten Atemzügen sagst du mental: „Ich atme einen kurzen Atemzug ein, ich atme einen kurzen Atemzug aus. Ich werde einatmen und dabei den gesamten Atemkörper wahrnehmen. Ich werde ausatmen und dabei den gesamten Atemkörper wahrnehmen. Ich werde einatmen und die Körperstruktur beruhigen. Ich werde ausatmen und die Körperstruktur beruhigen.“ Das ist der erste Tetrad für den Körper. Der zweite geht so: „Ich atme ein und erfahre Verzückung. Ich atme aus und erfahre Verzückung. Ich atme ein und erlebe Glückseligkeit. Ich atme aus und erlebe Glückseligkeit. Ich atme ein und nehme meine mentalen Strukturen wahr. Ich atme aus und nehme meine mentalen Strukturen wahr. Ich atme ein und beruhige die mentale Struktur. Ich atme aus und beruhige die mentale Struktur.“ Ich denke, du hast einen Eindruck bekommen?
Ja, danke! Hast du denn auch die yogischen Schriften studiert?
Ja. Ich kann ehrlich sagen, dass ich die Schriften ausführlich studiert habe. Das muss man auch! Also man muss es nicht, aber wenn du etwas verstehen möchtest, rate ich definitiv dazu, sie zu lesen!
Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch und deine Zeit!
Mehr Informationen über Cliff Barber und seine Arbeit mit der Blume des Lebens gibt es hier: www.cliffbarber.com
Zum Weiterlesen:
Borgen, C.P.H.: Cliff Barber and the Flower of Life, Morresteyn, 2018 (Teile des Erlöses aus dem Buchverkauf gehen direkt an Cliff und seine Pflegerin und werden für notwendige Dinge des Alltags verwendet)
Carl Borgen: Cliff Barber und die Blume des Lebens, erschienen in YOGA AKTUELL Nr. 117
Danny Paradise: Erinnerungen an Cliff Barber
Reise-Tipp: Praktiziere Yoga auf Kreta! Nathalie Gesche ist langjährige Schülerin von Cliff Barber. Sie unterrichtet die Ashtanga Yoga Methode so, wie sie sie von Cliff gelernt hat in ihrer Shala in Tertsa, sowie in Ierapetra, im Süden Kretas. Alle Informationen dazu findest du hier: www.tertsaretreat.com |