Yoga wird immer häufiger auch in den Schulalltag integriert. Das liegt nahe: Denn Schule ist nicht selten ein Ort der Anspannung – und Yoga kann durch seine Übungen, die jederzeit und überall durchgeführt werden können, auch in Klassenzimmern extrem unterstützend sein.
Ob stehend oder sitzend, am Anfang oder mitten in der Stunde: Yoga bietet so viele Techniken und Übungen, um Körper und Geist wirksam zu entschleunigen. Etwas, das für Groß und Klein nötiger denn je geworden ist.
Yoga vertreibt Müdigkeit am Montagmorgen
Am Montagmorgen um kurz vor acht schleichen 25 Schüler nahezu schlafwandelnd in den Klassenraum eines Gymnasiums im Norden Deutschlands. Einigen von ihnen fallen die müden Augen fast zu. Kaum ein Wort aus ihren Kehlen hervorzulocken. An aktiven Unterricht mit motivierten Schülern ist noch nicht zu denken. Doch die Lehrerin Milena B. hat ihre Geheimwaffe im Gepäck: Yoga.
Yoga in der Schule
„Steht alle auf und sorgt für Platz nach vorne und zu euren Seiten.“ Währenddessen hebt sie die Arme zu den Seiten und schwingt sie nach vorne, um den Radius zu verdeutlichen, den jeder einzelne für die kleine Yogasequenz benötigt. Ein paar Stühle und Tische werden verschoben und schon ist die Gruppe bereit für eine erste Runde Yoga am Morgen. Die Lehrerin geht mit gutem Beispiel voran, stellt sich etwas breiter als hüftbreit auf und beugt die Knie leicht. Die Schüler folgen und heben gleichzeitig wie ihre Lehrerin mit einer tiefen Einatmung die Arme über den Kopf.
„Haltet den Atem und klopft mit den Fingerspitzen euren Brustkorb ab.“ Noch etwas zögerlich machen die Jugendlichen mit. „Geht jetzt in die Knie und lasst uns ausatmend alle unsere Müdigkeit mit lauten Gorillarufen Uh, Uh, Uh vertreiben.“ Einige tauschen unsichere Blicke untereinander aus, lassen sich dann aber vom Getöse der anderen Gorillas mitreißen und verfallen in ein lautes Gebrüll.
Die Intensität der Übung wird in der zweiten Runde durch das Abklopfen des Brustkorbes mit der flachen Hand gesteigert, bevor in der dritten Runde die volle Gorilla-Atmung erreicht wird und alle mit den Fäusten – mal mehr, mal weniger wild – auf ihren Brustkorb trommeln. Die Laute der Gorillas nehmen von Runde zu Runde zu und von Müdigkeit ist in der Gruppe nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: Die Lebensgeister sind in die Körper und Herzen der 16- bis 18-Jährigen zurückgekehrt.
Weiter geht’s mit einer kurzen Sequenz, um die grauen Zellen zu aktivieren: Beschwingt heben alle das rechte Bein gebeugt nach oben, während sie gleichzeitig den linken Arm nach oben strecken. Dann tippen sie ihre linke Hand auf das angehobene Knie. Einatmend heben die Jugendlichen dann den rechten Arm nach oben und drehen sich ausatmend nach rechts. Der ein oder andere Schüler hebt zunächst das „falsche“ Bein, der andere hebt den Arm auf derselben Seite wie das Bein, aber das macht nichts. Hauptsache es gibt ein wenig Bewegung für den Körper im oft so starren Schulalltag.
Und ganz nebenbei absolviert man ein Training fürs Gehirn, da die beiden Körperhälften unterschiedliche Dinge ausführen müssen. Um kurz nach acht ist die Gruppe wie ausgewechselt: Die Jugendlichen sind hellwach und das ein oder andere Lächeln zeichnet sich in den Gesichtern ab. Nun kann es losgehen mit der Schulwoche!
Wie funktioniert Yoga im Schulalltag?
Yoga lässt sich leicht in den Schulalltag integrieren und etabliert sich wegen seiner aufbauenden Wirkung recht schnell. Und zwar ist das in jeglicher Schulform zu beobachten. Yoga lässt sich spontan einsetzen, ist kostbar und wohltuend – und genau deshalb wird der dafür benötigte äußerst geringe Raum- und Zeitbedarf gerne in Kauf genommen.
Außerdem ist Yoga sehr differenziert anwendbar. Typische, etwa vom langen Sitzen hervorgerufene Beschwerden, aber auch psychische und soziale Spannungen sind gezielt zu bearbeiten. Die jeweils ausgewählten Atem- und Bewegungsfolgen helfen in jeder Lage, vor Klassenarbeiten, bei Klassenfahrten mit Heimweh, bei Ermüdung, Aggressionen und Traurigkeit.
Sogar Partnerübungen bieten sich an, wenn es um Gleichgewicht, gegenseitige Stärkung oder Beruhigung geht. Ob dazu der Baum, der Krieger III oder der Tänzer zu zweit geübt wird, geht aus der jeweiligen Situation hervor oder wird von Kindern oder Jugendlichen auch selbst gewünscht. Auch eine Rückenmassage mit einem Yogi der Wahl ist denkbar und sorgt rundum für Gelassenheit.
So hilft Yoga vor Klassenarbeiten gegen Angst und Nervosität
In aller Ruhe sitzen eine achte Klasse einer Gesamtschule und ihr Lehrer mit geschlossenen Augen aufrecht auf ihren Stühlen. Sie haben eine Hand auf den Bauch, die andere auf den Brustkorb gelegt. Nach Anleitung des Lehrers wird eine Atmungsübung durchgeführt, bei der die Ausatmung bis zur doppelten Länge der Einatmung gedehnt wird. Bei der sanften Nasenatmung entweichen mit jedem Zyklus ein wenig mehr Ängste und Spannungen aus den Jugendlichen. Ihnen steht eine Mathearbeit bevor.
Das gemeinsame Atmen trägt zum Loslassen ihrer Beklemmungen und zum Finden von Fokussierung und Konzentration bei. Die Wirkung der Pranayama-Übung ist ihnen direkt anzusehen: Die Gesichter werden weicher. Das anschließende Schulterrollen geschieht ohne jegliche Hektik und in runden, selbstverständlichen Kreisen. Das gemeinsam gesprochene Mantra „Ich werde es schaffen“ klingt voll und selbstbewusst. Die Atmosphäre in der Klasse ist im Anschluss spürbar ruhiger und entspannter. Nun sind die Schüler bereit für die kommenden Mathefragen.
Die Atemübungen aktivieren den Parasympathikus und führen zu Gelassenheit und seelischer Entspannung. Die Schüler erleben außerdem, dass sie ihren Ängsten und Sorgen nicht ausgeliefert sind, sondern, dass sie diesen Gefühlen selbst aktiv entgegentreten können. Yoga leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Resilienz.
Wie kann ich Yoga in der Schule einsetzen?
In der dritten Klasse steht das Thema Frühling im fächerübergreifenden Sachkunde- und Deutschunterricht auf der Agenda. Überall im Klassenraum hängen Bilder von Tieren und Blumen. Auf der Fensterbank stehen kleine, liebevoll handbemalte Tontöpfe, aus denen bereits die ersten Köpfchen von bunten Tulpen und Vergissmeinnicht sprießen.
Tisch und Stühle sind beiseite geräumt und die 22 Mädchen und Jungs liegen mit geschlossenen Augen auf Isomatten auf dem Boden. Im Hintergrund klingt leise eine zarte Klaviermusik und ihre Lehrerin Helena K. geht mit den Kleinen auf eine Fantasiereise, in der die Kinder zu intuitiven Bewegungen anregt werden. Auf der Fantasiereise werden die Tiere und Blumen vom Frühling zum Leben erweckt.
Während der Bienenatmung summt der ganze Klassenraum und eine beruhigende Stimmung macht sich breit. Langsam stehen die summenden Bienen auf und flirren durch den Klassenraum hinaus auf den Schulhof. In der warmen Frühlingssonne übt die Deutschlehrerin einen Sonnengruß mit den Kindern. Später im Unterricht liest sie den Kindern ein Frühlingsgedicht vor, in dem die Tiere und Blumen aus dem Sonnengruß wieder auftauchen.
Die Lehrerin schwärmt in der Pause von ihren Erfahrungen mit Yoga für Grundschüler: „Yoga bietet mir so viele Möglichkeiten, Bewegung in meinen Unterricht zu integrieren und den Kindern gleichzeitig Wissen zu vermitteln. Yoga ist so erfolgreich, dass wir eine Yoga-AG am Nachmittag anbieten, die immer rappelvoll ist und für die Kleinen einen guten Ausgleich zum intensiven Lernvormittag darstellt.“
Yoga meets Lehramt – Yoga in der Lehrerausbildung in Bremen
Nicht nur für Kinder und Jugendliche ist die Schule eine Herausforderung, auch das Referendariat ist eine sehr fordernde Zeit für angehende Lehrerinnen und Lehrer. Am Landesinstitut für Schule (LiS) in Bremen wird zwei Mal im Jahr ein Intensivkurs mit über 20 Stunden speziell für Referendare angeboten, der ihnen vermittelt, wie sie in Stress- und Prüfungssituationen einfache Übungen aus dem Yoga nutzen können.
Sandra L., Lehrerin an einer Oberschule, berichtet: „Manchmal stehe ich schon schweißgebadet morgens auf und bekomme Panikattacken, wenn ich nur an die Schule denke. Dank des Yogakurses am LiS kenne ich jetzt einfache Möglichkeiten und mache jeden Morgen zunächst fünf Sonnengrüße und meditiere fünf Minuten, bevor ich mich meinem Tagwerk widme.“
Ein Kollege, der an einer inklusiven Grundschule arbeitet, pflichtet ihr bei: „Vor Elterngesprächen komme ich mit der Wechselatmung zur Ruhe. Und im Unterricht selbst freuen sich alle Kinder über unseren Wochenstart im Baum. Der gibt ihnen Halt und Selbstvertrauen. Und mir natürlich auch.“
Die jungen Lehrer lernen in diesem Kurs Möglichkeiten, negative Gefühle und Zustände wie Angst und Stress mit Pranayama und Asanas in positivere Gefühle umzuwandeln. Diese Übungen helfen auch ihren Schützlingen: Aus ängstlichen Kindern wird nach der Löwenatmung vielleicht nicht sofort ein Löwe, aber immerhin haben diese Kinder kurz das Gefühl von Kraft und Wirkmacht. Es ist wichtig, den Kindern und Jugendlichen in der Schule zu vermitteln, dass sie und ihre Gefühle hier einen Raum haben und willkommen sind.
Selbst den größten Skeptikern ist nach dem Intensivkurs klar, dass es keine verschenkte Unterrichtszeit ist, sich Körper, Geist und Seele zu widmen. 40 Minuten guter Unterricht mit zugewandten Kindern stehen oft 45 Minuten mit belasteten Kindern gegenüber.
Yoga als festen Bestandteil des Unterrichts zu etablieren, wäre ein starker Beitrag zur Förderung der Lernbereitschaft, Partnerschaftlichkeit und Freude. Schüler und Lehrer können durch die gemeinsame Yogazeit eine kooperative Haltung zueinander gewinnen und ihren gemeinsamen Tag viel besser gestalten.
Zum Weiterlesen:
Mona Bekteši: Yoga in der Schule. Meyer und Meyer, 2020