Wassertropfen im weiten Ozean: Einblicke in die Erfahrungen und Lebensgeschichten bedeutender Mystikerinnen des Westens.
Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein – oder er wird nicht sein“, postulierte der katholische Theologe Karl Rahner (1904–1984) und beschrieb damit die Zeit, in der wir heute leben. Auch Dorothee Sölle (1929–2003), die mit Rahner zu den einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts gehörte und als bekannteste Mystikerin der Gegenwart betrachtet wird, schrieb: „Wir sind alle Mystiker.“ Die Mystiker der Vergangenheit können uns für eigene Erfahrungen inspirieren. Wenn es um Mystik geht, blicken wir gerne in Richtung Osten und sind z.B. besonders fasziniert von Rumi, dem persischen Mystiker, der seit dem 11. Jahrhundert die Herzen der Menschen mit seinen wunderschönen Gedichten berührte. Allerdings haben wir auch in Europa im Laufe der Geschichte viele Mystiker, aber auch beeindruckende Mystikerinnen hervorgebracht. Letzteren soll sich dieser Artikel widmen. Zu den bekanntesten zählen u.a. Hildegard von Bingen (12. Jahrhundert), Hadewijch von Antwerpen (13. Jahrhundert), Marguerite Porète (13. Jahrhundert), Gertrud die Große von Helfta (13. Jahrhundert), Birgitta von Schweden (14. Jahrhundert), Teresa von Ávila (16. Jahrhundert) und Edith Stein (20. Jahrhundert). Es sind Frauen, die zwar in verschiedenen Jahrhunderten gelebt haben, aber alle aus der gleichen zeitlosen Quelle tranken. Ihre mystischen Erfahrungen sind berührend, und auch wenn sie in gewisser Weise an die jeweilige Epoche und deren sprachliche, historische und inhaltliche Besonderheiten gebunden sind, so ist ihnen doch allen etwas zutiefst Zeitloses und Aktuelles zu eigen. Etwas, das jenseits von Raum und Zeit existiert und jedem Menschen innewohnt: das Göttliche, das Licht, das Sein.
Hierzulande wurde besonders die christliche Mystik bekannt, die im engeren Sinne eine besondere Begegnung zwischen Gott oder Christus und dem Menschen meint. Sie wird als eine ganz besondere Vereinigung verstanden, die auch als Unio mystica bezeichnet wird. Es ist eine Erfahrung, die mit den Augen der Seele wahrgenommen und von demjenigen, der sie erlebt, als zweifelsfrei und real erlebt wird – eine Vereinigung mit Gott, die unmittelbar, unvermittelt geschieht, d.h. ohne einen Umweg, ohne eine Bibel, ohne kirchliche Heilsangebote, ohne einen Übersetzer. Wer sie erfährt, ist zutiefst berührt, zutiefst geläutert und wird zutiefst gewandelt.
Mystische Erfahrungen haben auch oft etwas sehr Sinnliches. Auf wunderschöne Weise beschreibt die Mystikerin Thérèse von Lisieux, […]