Ein paar sanfte, tiefe Atemzüge schenken unserem Körper mehr, als wenn wir ihn durch fordernde Atemtechniken stärken wollen. Warum genau erklärt Yoga Aktuell Autor und Atemlehrer Ralph Skuban in diesem Interview.
Not macht erfinderisch. Dies kann man auch von dem sowjetischem Arzt Konstantin P. Buteyko (1923 – 2003) behaupten. Er erforschte in 50er Jahren des letzten Jahrhunderts das Atemverhalten von kranken und sterbenden Menschen und kam zu dem Schluss, dass je kränker ein Mensch ist, desto tiefer wird seine Atmung. Sein Interesse für die Atmung mag mit seiner eigenen Geschichte zusammenhängen, da er selbst sehr krank war und unter einer lebensbedrohlichen Form des Bluthochdrucks litt.
Du bist einer der führenden Experten in Deutschland für die Atemmethode des russischen Arztes Buteyko. Wie bist du zu dieser Methode gekommen?
Ich beschäftige mich schon lange mit den Atemtechniken des Yoga. Dort geht es darum, die Atmung zu verlangsamen und gezielt Atempausen zu setzen. Die alten Yogis Indiens und Tibets machten das, um ihre Lebensenergie, die sie mit dem Atem in Verbindung brachten, zur Ruhe zu bringen. Dann, so die Idee, kann auch der Geist still werden. Man nutzt also das langsame Atmen und die Atemstille, um inneren Frieden zu erleben.
Als ich mein Buch über die Atemtechniken des indischen Yoga schrieb, verstand ich gut, welche yogischen Ideen hinter diesen Übungen stehen. Doch mich begann zusehends die Frage zu interessieren, ob es nicht auch wissenschaftliche Gründe gibt, die für das Praktizieren von Atempausen und den langsamen Atmen sprechen, um unsere Gesundheit zu fördern. So stieß ich auf Buteyko. Die Wirksamkeit und Geschwindigkeit, mit der sich mein Wohlbefinden steigerte, erstaunten mich. So tauchte ich immer tiefer in die moderne Atemforschung ein und schrieb schließlich das Buch Die Buteyko-Methode.
Worum genau handelt es sich dabei?
Die Buteyko-Methode verfolgt das Ziel, unsere Atmung zu normalisieren, ausgehend von der Beobachtung, dass viele Menschen eine dysfunktionale Atmung haben, das heißt: Sie atmen nicht auf natürliche, gesunde Weise. Dieses Phänomen ist so verbreitet, dass manche Wissenschaftler von einer stillen Pandemie sprechen: Die Betroffenen leiden unter den Folgen, doch das Problem wird meist nicht gesehen.
Das häufigste dysfunktionale Atemmuster ist die Überatmung, das heißt gewohnheitsmäßig mehr zu atmen, als gut ist. Beim Atmen gibt es – wie beim Essen auch – eine sinnvolle Menge, die den Stoffwechselbedürfnissen des Körpers entspricht. Geht man längere Zeit darüber hinaus, zum Beispiel weil man viel Stress hat und die Atmung deshalb unbewusst intensiviert, können chronische Probleme entstehen wie Kurzatmigkeit, Unruhe, Asthma, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Panikattacken und vieles mehr.
Der Atem beeinflusst alle Prozesse im Körper. Wenn er sich nicht auf gute Weise vollzieht, kommt es also auch zu unterschiedlichsten Symptomen. Wichtig ist die Balance von Sauerstoff und Kohlendioxid (CO2). Sie gerät ins Ungleichgewicht, wenn zum Beispiel Stress unsere Atmung intensiviert: Anstatt einer ruhigen Atmung, die durch die Nase geht und überwiegend vom Zwerchfell getragen ist, beginnen Menschen dann, schneller und dazu mehr durch den Mund und in die Brust zu atmen. Dazu kommen häufig viel Seufzen und Gähnen. Dabei verlieren wir mit jeder Ausatmung mehr CO2 als uns guttut. So entsteht das, was man in der Medizin eine Hypokapnie nennt, ein Mangel an CO2, und zwar chronisch.
CO2 ist kein Gift, wie viele meinen, sondern ein lebensnotwendiges Gas im Atemprozess. Ohne CO2 würden wir sogar ganz aufhören, zu atmen, weil unser Atemantrieb versiegen würde. Als Signalmolekül sorgt es auch dafür, dass die roten Blutkörperchen den an sie gebundenen Sauerstoff in unsere Zellen und Gewebe entlassen. Sind wir in der Überatmung, kommt also weniger Sauerstoff in den Zellen an. Kurzum: CO2 ist sehr wichtig, allein auf die richtige Dosis kommt es an.
Worin liegt der wesentliche Unterschied zwischen Buteykos Methode und anderen Atemtherapien?
Buteyko adressiert gezielt die Chemie des Körpers: Man übt systematisch, die Atmung in Richtung normaler Verhältnisse zu entwickeln. Man lernt, sanfter und weniger zu atmen. Damit trainieren wir unsere CO2-Toleranz. Das normalisiert die Atmung, verbessert die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung, normalisiert das Säure-Basengleichgewicht und führt viele der Symptome, die wir oben angesprochen haben, zurück. Asthmatiker zum Beispiel werden meist innerhalb weniger Wochen frei von Medikamenten, um nur ein Beispiel zu nennen. Das wurde viele Male in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen, auch in Deutschland. Es ist diese direkte Arbeit mit den biochemischen Verhältnissen in unserem Körper, die unmittelbar von der Atmung abhängen: Das ist das Besondere an der Buteyko-Methode.
Ich habe vor kurzem einen Freund getroffen, der begeistert ist von Ihrem Buch und der Methode und er meinte, dass er durch dieses Buch zum ersten Mal seit fast 70 Jahren richtig atmet. Er ist Yogalehrer und sehr erfahren. Es hat mich erstaunt. Jetzt bin ich mal ganz frech und behaupte, dass möglicherweise auch viele andere Yogalehrer falsch atmen. Stimmt das? Wo liegt der Fehler?
Ich arbeite viel mit Yogalehrer*innen zusammen, die zu mir kommen, um Rat zu suchen, und unterrichte schon seit langem in diesem Bereich. In der Praxis des modernen Yoga sind wichtige Ideen des traditionellen Yoga häufig nicht bekannt oder werden nicht konsequent genug umgesetzt. Das Herz des Yoga, wie ich gerne sage, war immer schon das langsame Atmen und systematisch geübte Atempausen. In unserer Kultur dagegen ist Yoga häufig mit einer bewusst verstärkten Atmung verbunden. Die Stille im Atemprozess wird oft zu wenig betont. Das ist weder klassisch-yogisch, noch der Gesundheit zuträglich. Natürlich hängt das auch immer ab von der Konstitution der Übenden.
Im Yoga gibt es zahlreiche Atemübungen. Sind diese möglicherweise für uns gar nicht so gut?
Viele Übungen sind fordernd und nicht für jeden geeignet. Die Atempraxis des Yoga ist ein bewusster Eingriff in den Atemprozess. Zuerst sollte eine natürliche Atmung rund um die Uhr gegeben sein, bevor wir aktiv Veränderungen vornehmen. Einem Humpelnden würden wir ja auch nicht empfehlen, mit einem Marathonlauf zu beginnen! Und nach jeder Atemübung, nach jeder Yogastunde, auch nach dem Sport, sollten wir den Atem wieder zurück in seine Natürlichkeit führen. In die Langsamkeit und Sanftheit.
Wie lange sollte man täglich üben?
Das lässt sich pauschal nicht gut sagen, denn es hängt von der individuellen Atemgesundheit ab, auch von den Zielen, die man mit der Praxis verfolgt. Doch zwei Mal 10 bis 15 Minuten bewusstes, sanftes Atmen können schon eine große Hilfe im Leben sein. Es bringt uns in eine bewusste Verbindung mit dem Atem, unserem wichtigsten Verbündeten im Leben!
Können Sie uns drei kleine Atemübungen mit auf den Weg geben?
Ich übe mit meinen Schülern anfangs immer das sanfte Atmen, wie ich es gerne nenne. Es ist die Basis für jede weitere Atemarbeit. Ich empfehle, 5 bis 10 Minuten Zeit dafür zu nehmen:
Dem Atem zuschauen: Setz dich bequem hin. Leg eine Hand auf die Brust, die andere auf den Bauch. Bewegt sich die Brust, wenn du einatmest? Oder ist sie still? Weitet sich der Bauch bei der Einatmung? Atme so, dass sich die Brust nicht oder kaum bewegt. Der ganze Atemprozess kommt aus dem unteren Atemraum.
Den Atem sanfter werden lassen: Wenn du deine Bauchatmung gut spürst, entspann dich in die Ausatmung hinein. Es ist ein Loslassen. Für mich ist es wie ein Heimkommen und Ausruhen. Nach jeder Ausatmung erlaube dem Einatem, von selbst zurückkommen. Nimm das Machen aus dem Prozess raus. Der Atem geschieht, lass es zu. So einfach.
Weniger atmen: Je mehr du dich auf das Entspannen in die Ausatmung einlässt, umso geringer wird das Luftvolumen, das du atmest. Und das ist gut so! Solltest du etwas „Lufthunger“ bekommen, versuch, dich in dieses Gefühl hinein zu entspannen. Dann weiten sich die Blutgefäße, die Hände werden warm, deine Biochemie normalisiert sich. Danach fühlt man sich ruhig, geerdet und klar. Genieß dieses sanfte Atmen!
Neugierig geworden? Zum Weiterlesen:
Ralph Skuban: Die Buteyko-Methode: Wie wir unsere Atmung verbessern für mehr Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Alltag, Beruf, Yoga und Sport Gebundene Ausgabe – 3. Dezember 2020. Crotona Verlag
Hier gibt es das Buch: Die Buteyko Methode.
Hier gibt es weitere Infos über die Skuban Akademie.
Ein sehr interessanter und informativer Artikel über die Buteyko-Methode! Ich habe schon von dieser Atemtechnik gehört, aber wusste nicht, dass sie auch für Yogis von großem Nutzen sein kann. Besonders beeindruckt hat mich, wie einfach und effektiv diese Methode sein kann, um das eigene Atemverhalten zu verbessern und dadurch auch den Körper und Geist positiv zu beeinflussen. Vielen Dank für die hilfreichen Tipps und die detaillierte Beschreibung der Buteyko-Methode!