Die Sufi-Mystikerin Irina Tweedie gab sich konsequent dem Weg der Liebe hin, der voraussetzt, sich den eigenen Schatten zu stellen und sich aufrichtig nach Wahrheit zu sehnen.
Ihre Augen waren nicht von dieser Welt; wenn man in sie blickte, gab es kein Ende, nur unendliche Weite in diesem wässerigen, klaren Blau. Man selbst allerdings konnte den Boden unter den Füßen verlieren, wenn man sie ansah.*
Irina Tweedie (1907–1999) war eine der ungewöhnlichsten und beeindruckendsten Mystikerinnen und spirituellen Lehrerinnen des 20. Jahrhunderts. Die gebürtige Russin wurde von ihrem Meister, einem Sufi der Naqshbandi-Tradition, im indischen Kanpur geschult und durchlief dadurch einen tiefen Prozess der Ich-Auflösung. Bekannt wurde sie vor allem durch ihr Buch Der Weg durchs Feuer. Tagebuch einer spirituellen Schulung durch einen Sufi-Meister, in dem sie den spirituellen Weg mit all seinen Höhen und Tiefen beschreibt.
Die frühen Jahre
Irina Tweedie wird 1907 als Tochter eines wohlhabenden russischen Kaufmanns geboren. Im Alter von zehn Jahren erleidet sie einen Unfall und liegt danach tagelang im Koma. Kurz nachdem sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht, macht sie ihre erste mystische Erfahrung, die ihr rückblickend Gewissheit schenkt, dass sie „zwar nur ein winziges Instru-
ment im großen Orchester Gottes – doch genau am richtigen Platz“* ist.
Ihre Familie flüchtet vor den Bolschewiki nach Wien, wo Irina studiert. Von dort aus geht sie später nach Paris. Die intellektuelle, sprachbegabte junge Frau heiratet einen englischen Bankier und führt über lange Zeit das Leben einer hochgebildeten Oberschicht-Lady. Allerdings ist die Ehe nicht glücklich, da ihr Gatte dem Alkoholismus verfallen ist. Im Jahr 1939 erbt Irina ein Haus in Italien, und als sie zur Übergabe dorthin reist, bricht der zweite Weltkrieg aus. Dadurch ist sie gezwungen, in Italien zu bleiben, und baut sich dort in den darauf folgenden Jahren eine neue Existenz auf. Ihr Mann stirbt während des Krieges, somit kehrt sie auch nach Kriegsende vorerst nicht nach England zurück.
Einige Zeit später lernt sie ihren zweiten Mann Charles Tweedie kennen, als die englische Marine nach Italien zu Besuch kommt. Sie heiraten und kehren nach London zurück. Diesen Mann liebt Frau Tweedie sehr, aber er stirbt 1954 an Nierenversagen, was sie in eine große Krise stürzt. Sie will ohne ihn nicht mehr weiterleben.
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