Die Mandukya-Upanishad – 12 Verse von unauslotbarer Tiefe.
Würden wir nur eine einzige der Upanishaden studieren wollen, so solle das die Mandukya sein – dazu rät uns Shankara, jener spirituelle Genius aus dem Indien des 8. Jahrhunderts, der, obwohl mit 32 Jahren schon verstorben, der Menschheit ein gigantisches Werk hinterließ, unter anderem eine poetische Zusammenfassung der wichtigsten Upanishaden.
Die Mandukya ist mit ihren 12 Versen aber nicht nur eine der wichtigsten, sondern auch eine der kürzesten unter den Upanishaden. Dennoch ist ihre Tiefe letztlich unauslotbar, steckt sie doch ein Feld ab, das von der Schöpfung des Kosmos über die Bewusstseinszustände des Menschen bis hin zu dessen ultimativem Ziel reicht. Die Mandukya beginnt mit diesem Satz: „Das ganze All ist die Silbe OM.“ Alles, was existiert, das gesamte Universum also, will der Text uns sagen, ist schwingende, klingende Energie. Doch diese Upanishad geht noch weiter, begreift sie doch auch die Zeit als Vibration: „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – alles ist in Wahrheit OM.“
Vor tausenden von Jahren also erkannten die Seher auf dem Wege der Innenschau, wozu die moderne Physik noch bis ins 20. Jahrhundert hinein brauchen sollte, dass nämlich die Schöpfung eine vibrierende Ganzheit aus Energie ist; und dass Raum, Materie und Zeit eine untrennbare Einheit verkörpern.
Und was war, bevor dies alles war? Was war vor Raum und Zeit? Schon die Frage funktioniert eigentlich nicht recht, weil sie ohne ein „Was“ und „Bevor“ – ohne ein Ding und die Zeit also – nicht auskommt. Fragen wir trotzdem: Was war, bevor alles war, was ist? Anders gefragt: Was liegt jenseits von allem? Die Mandukya-Upanishad sagt: „Was jenseits davon liegt, auch das ist OM.“ In der Schwingung, die die alten Seher als OM wahrnahmen (und die die Physik heute als den Nachhall des Urknalls hört) liegen Ursprung und Quelle von allem, was ist. Hier münden die moderne Wissenschaft und jahrtausendealte Erkenntnisse in denselben Strom.
Die Mandukya fährt fort: „Alles, was existiert, ist Brahman.“ Brahman, das heißt wörtlich so viel wie „das Höchste“ oder „das Größte“ – eben alles, was ist. Also ist auch Brahman OM, Schwingung. Wenn man so will: Gott ist Musik, und das Weltall sein Lied. Kein Wunder, dass nichts tiefer in des Menschen Herz einzudringen vermag als […]