Diese Übungspraxis mit vielen Rückbeugen hilft dir, dich vertrauensvoll in den gegenwärtigen Moment fallen zu lassen und dich jenseits aller gesellschaftlichen Rollen und allen Erwartungsdrucks ganz und gar so anzunehmen, wie du bist.
„Yin Yoga ist eine Praxis von Freiheit“ – diesen Satz hörte ich vor Jahren in einer Yin-Yoga-Stunde, und oft habe ich darüber nachgedacht: „Wovon erreichen wir Freiheit?“ Eine der Antworten gibt uns die Lehre der Veden, die Mutterphilosophie des Yoga. Wenn wir uns darüber bewusst werden, wie sehr wir uns mit manchen Dingen und Rollen in unserem Leben identifizieren, können wir diesen Griff lockern, lehrt uns der Vedanta. Rollen oder Aufgaben, mit denen wir uns selbst regelrecht gleichsetzen, können wie ein kleines tägliches Gefängnis, ein zu enges Korsett für uns werden.
Jeden Tag erfüllen wir in unserem Alltag Dutzende dieser Rollen. Wir wachen als liebevolle Partner auf, gehen als disziplinierte Yogis auf unsere Matte, werden beim Frühstückzubereiten zu fürsorglichen Müttern und Vätern. Auf dem Weg zur Arbeit sind wir tröstende Ratgeber für Freunde, danach ein pflichtbewusster Arbeitnehmer, kollegialer Mitarbeiter oder gerechter Chef. In der Mittagspause sind wir ein hilfsbereiter Mitbürger der Gesellschaft, der Türen aufhält und Unbekannte anlächelt, abends kümmern wir uns um Familienmitglieder oder kranke Nachbarn oder sind verantwortungsvoll in einem Ehrenamt tätig. Dabei immer mit dem Anspruch, jede der Rollen besonders gut zu erfüllen, so dass unser innerer Kritiker auch zufrieden ist. Doch egal wie sehr wir uns bemühen, jede der Rollen bestmöglich zu erfüllen – unweigerlich wird eine der anderen Rollen darunter leiden. Irgendetwas bleibt immer hinter unserer Erwartung zurück und erfüllt nicht ganz unseren eigenen Anspruch.
Wenn wir uns mit all diesen Rollen identifizieren, entsteht daraus kein Glück, sondern nur Leiden. Unser Leben gleicht dann einer verzweifelten Bemühung, ein Ideal zu erfüllen, das stets unerreicht bleibt. Nie sind wir gut genug oder machen alle Dinge gut genug, und immer angestrengter wird unser Bemühen darum. Widerstand gegen das, was ist, und Unzufriedenheit entstehen. Stress baut sich auf, der Atem verändert sich, der Tonus im Körper steigt – wir sind angespannt. Dies schnürt uns ein wie ein zu enger Mantel, den wir uns überziehen, und wird sich über die Zeit in unserer Körperhaltung zeigen; wir verlieren die Offenheit und die Freiheit unserer Körpervorderseite. Dies geschieht, […]