Ayurveda zählt zu den ältesten Heilsystemen dieser Welt. Es hat schon viele Kriege, Krisen und Wandel auf unserem Planeten überlebt. Auch jetzt kann es unser Immunsystem maßgeblich unterstützen. Die Ayurveda-Koryphäe Irene Rhyner verrät im Interview, was wir tun können, um gut in unserer Mitte zu bleiben.
Interview
YOGAAKTUELL: Stärken Ayurvedamaßnahmen die körpereigene Immunkraft? Und könnten sie generell helfen, um Krisen zu bewältigen?
Irene Rhyner: In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist, – das wussten schon die alten Römer. Hier finde ich es wichtig zu erwähnen, dass Ayurveda alles dankend annimmt, was uns guttut. Und alles schließt tatsächlich alles ein. Der weise Ayurveda-Gelehrte Caraka, der in Zusammenarbeit mit anderen Gelehrten seiner Zeit (ca. ab dem 4. Jahrhundert nach Christus) eine der wichtigsten Ayurveda-Schriften zur inneren Medizin verfasste, lehrte seine Studenten:
„Jedes Wissen sollt ihr annehmen, selbst wenn es von einem Feind oder Dummkopf kommt, da es immer und überall und von jedem Menschen etwas zu lernen gibt. Danach gilt es für sich selbst zu analysieren und differenzieren, ob dieses Wissen der Erhaltung von Gesundheit, Ruhm und Erfolg dient, und wenn ja, kann es mit Freuden angenommen werden.“
Ich denke. damit ist das Wichtigste gesagt: Es braucht Offenheit für alle Varianten und Respekt für die Entscheidung eines jeden Individuums.
Angst schwächt bekanntlich das Immunsystem. Können wir Angst mit Ayurveda reduzieren?
Die Frage ist, wovor wir eigentlich Angst haben und wie jeder/jede Einzelne mit Angst generell zurechtkommen kann? Haben wir Angst vor der Möglichkeit krank zu werden? Unsicherheit vor dem Umgang mit einer Krankheit, wenn sie uns erwischt hat? Vor dem Verlust von Sicherheiten (Geld, Job, Familie)? Oder der Endfassung: dem Tod?
Auch hier kann aus dem Fundus des Ayurveda-Wissens reichlich geschöpft werden. Je nachdem, welche Dosha-Konstitution ein Mensch mitbringt und was seine Charaktereigenschaften sind, gehen Menschen mit ihren Ängsten sehr unterschiedlich um.
- Vata-Typen sind von Natur aus etwas ängstlicher gestimmt und rascher aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie sind sensibel, nehmen kleine Veränderungen oft schon wahr, bevor sie tatsächlich stattfinden (vielleicht finden sie aber auch gar nicht statt!). Daher ist es gerade hier sehr wichtig, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren und sich regelmäßig zu erden. Jeder Tipp zur Vata-Harmonisierung sollte dankend angenommen und durchgeführt werden. Dazu zählen auch Gespräche mit Menschen, die zuhören und Verständnis zeigen.
- Pitta-Typen können in Ängste und Wut verfallen, wenn sie ihre Pläne nicht aufgehen sehen und die Kontrolle abgeben müssen. Vor allem müssen wir hier auch Rajas, die leidenschaftliche Charakterenergie miteinbeziehen, die sich regelrecht hochschaukeln und aus der Angst heraus zu unüberlegten Äußerungen und Handlungen führen kann. Pitta steht für Feuer und kann Rajas im Übermaß entwickeln, welches als (Start)-Energie für Krieg und Verderben steht. Wichtig zur Unterstützung für Pitta-Typen sind faktenbasierende Informationen und lösungsorientierte Antworten. Kleiner Tipp: Zu einem Pitta-Typen sollte man nicht „Reg Dich nicht so auf!“ sagen – denn das geht ganz sicher in die Hose und bewirkt das Gegenteil.
- Kapha-Typen neigen in ihrer Angst zur Traurigkeit und verfallen rascher in depressive Verstimmungen als andere Zeitgenossen. Sie leben ihre Ängste, indem sie sich zurückziehen und eher mit geneigtem Haupt abwarten, was passieren wird. Sie brauchen Unterstützung mit Kapha-regulierenden Maßnahmen. Hier ist oft eine helfende Hand erforderlich, die dabei unterstützt, das Kapha-Dosha zu regulieren und zugleich die lethargische Energie (Tamas-Guna) zu reduzieren. Kapha-Dosha braucht Motivation und Licht in der vorhandenen Düsternis.
Welche Rolle spielt die Meditation im Ayurveda?
Bei sich sein, sich selbst wahrnehmen, im Hier und Jetzt sein, die eigene Mitte spüren. Medio bedeutet in der lateinischen Sprache „die Mitte“. Meditation kann als eine allumfassende Methode in vielen Kulturen bezeichnet werden, die mit einer geistigen Andacht oder Konzentrationsübung einhergeht, um das innere Gleichgewicht zu fördern. Wenn sich die Gunas (Sattva, Rajas, Tamas) in Balance befinden, fühlen wir uns ausgeglichen, gesund und helfen damit unserem Körper genügend Immunität aufzubauen. Und genau deshalb empfehlen wir im Ayurveda Achtsamkeit im Hier und Jetzt zu praktizieren und auch typengerechte spezielle Konzentrationsübungen.
Gibt es auch Mantras, die schützen?
Ja, auf alle Fälle können wir Mantras als Hilfsmittel einsetzen, die uns nicht verzweifeln lassen. Ein Mantra hilft immer dann, wenn wir uns konzentrieren und mit vollem Herzen die Silben oder Sätze rezitieren.
Ich selbst schätze kurze und einfache Mantras:
- „Om Namaha Shivaya“ – ein starkes Schutzmantra, Shiva stellt sich damit quasi vor uns hin und wehrt Schlechtes von uns ab, – das können wir zurzeit wirklich alle gut verwenden.
- „Om Gam Ganapataye Namaha“ – Ganesha hilft Hindernisse aus dem Weg zu räumen und macht Platz für Gutes und Neues. Ich verwende es sehr gerne, weil es Optimismus verbreitet und so die Selbstheilungskräfte stärkt.
Es muss aber nicht ein fremdartiges Mantra sein. Für jeden Menschen gilt: „Je nachdem womit du dich stärken möchtest: Nutz es.“
Das kann genauso gut ein bekanntes europäisches Gebet, ein Lied, ein Gedicht, eine Silbe, eine Affirmation oder ein Ritual sein, das dabei hilft, bei sich selbst zu bleiben!
Was stärkt dich persönlich jetzt besonders, um in deiner Mitte zu bleiben?
Ich bin eigentlich noch recht gelassen in dieser Situation, weil ich generell in meinem Leben bereits mit vielen Herausforderungen klarkommen musste. Mich stärken regelmäßiges, typengerechtes Essen, meine Selbstmassagen oder erhaltene Ayurvedamassagen mit großartigen Bio-Ayurvedaölen und die täglichen, kleinen, lieb gewonnenen Rituale in meinem Alltag. Ich empfinde es als großes Geschenk, dass ich frische Lebensmittel zur Verfügung habe, die ich zum Kochen und für meine Mahlzeiten verwenden darf. Mein Zuhause ist mir wichtig, der Raum, den ich mir selbst geben darf. Meine Familie, die mir Rückhalt gibt, unsere liebe Hündin Luna, die mich und meinen Energiestatus jeweils widerspiegelt, und die Natur, die ich liebe. Wenn ich selbst stark (sprich: gesund) bin, werde ich (d.h.: meine Gesundheit) nicht so schnell umgehauen, auch wenn die äußeren Umstände zum Teil händeringend, kopfschüttelnd und niederschmetternd sind. Wie die Menschen miteinander in dieser Krise umgehen, das finde ich unglaublich traurig. Es braucht viel mehr Respekt. Vor allem aber stärkt mich auch meine positive Lebenseinstellung: Mein Glas ist immer halbvoll.
Weitere Tipps von Irene Rhyner findest du unter: www.ayurveda-rhyner.com