Schmerz ist ein omnipräsentes Phänomen. Jeder kennt ihn. Und jeder freut sich, wenn er wieder vorübergeht. In diesem Artikel erfährst du, wie Schmerz entsteht, die Vorgehensweise der Schulmedizin bei einer Schmerztherapie aussieht, was das ayurvedische Medizinsystem unter Schmerzen versteht und wie Yoga zur Schmerzlinderung beitragen kann.
Wie entsteht Schmerz?
Schmerz ist ein subjektives Gefühl. Schmerz wird definiert als das, was der oder die Betroffene als solchen empfindet. Es gibt keinen objektiven Schmerz. Oft ist Schmerz mit einer Gewebsverletzung verbunden, die über einen Schmerzrezeptor erkannt und dann über verschiedene Schmerzbahnen in das Gehirn weitergeleitet wird. Auf dem Weg dorthin wird der Reiz allerdings an vielen Stellen beeinflusst, zum Beispiel über schmerzunterdrückende oder -verstärkende Zwischenneurone. Im limbischen System, das die Gefühle steuert, wird die Schmerzerfahrung emotional bewertet.
Schmerz ist eine sehr individuelle Angelegenheit
Schmerzen können aber auch über andere Wege entstehen, zum Beispiel durch die Verletzung von Nerven selbst, durch den Wegfall von schmerzhemmenden Nervenfasern oder über die körperliche Spiegelung von psychischem Schmerz. In jedem Fall ist und bleibt der Schmerz das, was die betroffene Person so empfindet. Keiner kann einem Menschen sagen, ob oder wo er Schmerz empfindet.
Was ist die Bedeutung von akuten Schmerzen? Und wann spricht man von chronischen Schmerzen?
Akute Schmerzen sind häufig Warnsignale für den Körper und helfen ihm, sich vor weiteren Gefahren zu schützen. Sie lösen sich häufig wieder auf, wenn die ursächliche Situation sich verändert hat. Verbleiben Schmerzen aber länger als drei Monate, dann nennt man sie chronisch. Das tritt insbesondere dann leichter auf, wenn der Schmerz sehr intensiv ist, die betroffene Person älter ist oder durch sozioökonomische Instabilität oder Migration geschwächt wurde. Auch die Selbstwahrnehmung des Schmerzgeplagten spielt eine Rolle, je mehr dieser an Angst, Sorgen oder Überforderungsgefühlen leidet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Schmerz chronifiziert.
Wie sieht die allgemeine Schmerztherapie aus?
In der konventionellen Medizin behandelt man den Schmerz meist auf der einen Seite medikamentös über eine Stufentherapie mit immer wirksameren Schmerzmedikamenten und eventuell mit lokalen Behandlungen wie Wärme- oder Kälteanwendungen, Physiotherapie, Elektrotherapie oder Einspritzungen von Lokalanästhetika oder Steroiden. Bei einem chronischen Schmerz wird auch die psychische Seite behandelt, über Psychotherapie, über stimmungsaufhellende oder auch schlaffördernde Medikamente. In der modernen Schmerztherapie bevorzugt man heute ein multimodales Vorgehen, das die körperliche, psychische und soziale Seite in die Behandlung mit einbezieht.
Wie geht der Ayurveda mit Schmerz um?
Im Ayurveda, dem Medizinsystem mit dem gleichen kulturellen Hintergrund wie dem Yoga, versteht man Schmerz als das Kardinalsymptom vom Vata Dosha. Man geht davon aus, dass der Mensch in seinem Funktionieren auf körperlicher, geistiger und emotionaler Ebene von drei Doshas reguliert wird. Diese befinden sich im Gesundheitszustand im individuell richtigen Gleichgewicht. Fallen ein oder mehrere Doshas aus diesem Gleichgewicht heraus, dann entstehen Krankheiten, so auch der Schmerz.
Das Vata Dosha und der Schmerz
Vata ist das schnellste und wichtigste der drei Doshas. Es sorgt für alle Impulse, Taktung, Bewegung und Kontrolle. Um das leisten zu können, hat es Eigenschaften wie leicht, kalt und schnell, trocken und sehr fein. Er wird durch alle Aspekte des Lebens verstärkt, die ihrerseits leicht, schnell, trocken, instabil und unregelmäßig sowie kalt sind.
Was verstärkt das Vata Dosha?Das können plötzliche Verletzungen, Überdehnungen und Unfälle sein, aber auch ein emotionaler Schock, ein Wetter- oder Jahreszeitenwechsel oder eine unregelmäßige, eher kalte Ernährung und ein Lebensstil, der von viel Stress, Überforderung und sozioökonomischer Unsicherheit geprägt ist. Die Faktoren, die den Schmerz chronifizieren, fördern damit allesamt aus ayurvedischer Sicht das Vata. |
Schmerz im Ayurveda: Wie kann ich das Vata Dosha beruhigen?
Die ayurvedische Therapie beabsichtigt in solch einem Fall, das Vata Dosha zu beruhigen oder auszuleiten. Das Beruhigen von Vata erreicht man mit Ruhe, Wärme, Rhythmus und Stabilität in der Lebensführung, im sozialen Bereich, emotional, aber auch in der Ernährung. Ayurvedische Heilkräuter und äußerliche Massagen mit Wärmebehandlungen können vata-beruhigend zur Schmerztherapie eingesetzt werden. Wenn ein Schmerz chronisch ist, kann auch eine Ausleitungstherapie helfen, um das gereizte Vata aus dem Körper herauszubringen, sodass sich wieder ein neues Gleichgewicht der Doshas einstellen kann.
Yoga in der Schmerztherapie
Yoga kann in der Schmerztherapie sowohl im Ansatz der schulmedizinischen multimodalen Therapie als auch im ayurvedischen Therapiekonzept sinnvoll integriert werden:
Jedes Glied bzw. jede Technik des Yoga hat wichtige therapeutische Implikationen. Schon yama und niyama reduzieren den Stress und die Körperspannung und reduzieren so Vata. Sie sorgen für Ruhe und Klarheit, verhindern Selbstüberforderung und somit den Schmerz. Die Asanas sollten individuell und abhängig von dem Ort und der Art des Schmerzes adaptiert werden. Sie können die Muskulatur kräftigen und aus Fehlspannungen herausführen. Sie fördern Stabilität und Beweglichkeit, verhindern Fehlhaltungen und einseitige Belastungen und reduzieren damit den Schmerz. Durch die Konzentration und Ruhe beim Üben wird Stabilität und Kraft entwickelt – und auch das besänftigt weiter Vata.
Atme dich frei von Schmerz
Pranayama kann eingesetzt werden, um den Schmerz zu veratmen und das Vegetativum zur Ruhe zu bringen. Meditative Verfahren fördern die Entspannung von Körper und Geist, können vegetativ ausgleichen und die Sicht auf die Situation so ändern, dass sowohl von körperlicher als auch von geistiger Seite der Schmerz gelindert wird. Auch Mantras und Mudras sowie Visualisierungstechniken und Affirmationen können in der Schmerztherapie mit Yoga gezielt eingesetzt werden.
Jede Schmerzbehandlung ist individuell
Dabei gibt es nicht für jeden Betroffenen die gleichen „10 besten Übungen“ in der Schmerzbehandlung. Der Schmerz ist individuell verschieden und damit auch der therapeutische Yoga. Im idealen Fall findet man einen gut ausgebildeten Yogatherapeuten, der gemeinsam mit der behandelnden Ärztin ein individuelles Behandlungskonzept mit dem Schmerzbetroffenen erarbeitet. Dieses sollte derjenige dann regelmäßig üben und in der nächsten Behandlung wird das Konzept weiter verfeinert und entwickelt.
Mehr zum Thema Schmerztherapie
Mehr zum Thema Yoga in der Schmerztherapie gibt es im Buch „Schmerzfrei durch Yoga“. Es erklärt die Wege des Schmerzes. Es führt in den Einsatz des Yoga in der Schmerztherapie ein und zeigt an einigen Beispielen, wie man mit häufigen Schmerzerkrankungen in den verschiedenen Körpergebieten yogatherapeutisch sinnvoll ansetzen kann. Von allen vorstellten Übungen werden die Wirkungen beschrieben.
An meiner Akademie kann man sich auch zum Yoga- oder Ayurvedatherapeuten ausbilden lassen.
Weiterlesen:
Dr. med. Hedwig Gupta. Schmerzfrei durch Yoga. Trias Verlag. 2021.