Manchmal haben Yogapraktizierende nach einer Yogapraxis mehr Rückenschmerzen als vorher. In der Ausgabe YOGA AKTUELL Nr. 133 gibt es eine neue Serie „Anatomie to go“ mit dem Arzt und Yogatherapeut Dr. Peter Poeckh. In diesem Interview sprechen wir mit ihm darüber, wie wir Fehlhaltungen in der Asana-Praxis vermeiden können – ein durchaus wichtiges Thema, das uns alle betrifft.
Jeder von uns neigt zu einem, meist mehreren Fehlhaltungsmustern. Das ist kein Makel, sondern eine anatomische Begebenheit in Kombination mit Bewegungsroutinen, die sich über Jahre hinweg eingeschlichen haben.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: In der ersten Folge deiner spannenden Serie „Anatomie to go“ gehst du auf ein übermäßiges Hohlkreuz ein, was ein sehr klassisches Fehlhaltungsmuster unter Yogapraktizierenden ist. Ich finde deine Tipps sehr wertvoll. Mir kamen sofort Menschen in den Sinn, die online Yoga praktizieren. Ich könnte mir vorstellen, dass viele von ihnen Fehlhaltungen machen, wenn die Yogalehrer nicht präzise ansagen und sehen, wie die Schüler die Haltung einnehmen. Welche Erfahrungen hast du dazu gemacht?
Dr. Peter Poeckh: Nun ja, es ist ja nicht ein reines Problem mit den Online-Yogakursen, sondern kommt ebenso auch in Live-Klassen vor, wo oft Fehlhaltungen gar nicht bemerkt werden. Fairerweise muss man natürlich sagen, dass in einer Gruppenstunde nicht jeder permanent von einem Lehrer beobachtet werden kann. Das ist dann wohl eher die Aufgabe in einer Einzelstunde oder der Yogatherapie.
Wie merke ich selbst, dass ich mich in einer Fehlhaltung befinde?
Das Heimtückische ist, dass wir Fehlhaltungen fast immer unbewusst einnehmen. Niemand denkt sich: „Ich gehe jetzt absichtlich in ein übertriebenes Hohlkreuz oder stauche meinen Nacken.“ Diese Fehlhaltungsmuster sind oft Kompensationen, weil wir bestimmte Bewegungen und Abläufe (noch) nicht ausführen können. In solchen Fällen macht eine Abwandlung für die individuelle anatomische Situation eines jeden einzelnen mehr Sinn.
Gibt es drei Tipps, wie ich Fehlhaltungen vermeiden kann?
Auf jeden Fall die Serie „Anatomie to go“ in der YOGA AKTUELL Nr. 133 ansehen. (lacht) Vor dem Spiegel mal klassische Asanas ausführen und beobachten, ob man da in ein Fehlhaltungsmuster hineinkommt. Und ehrlich die individuelle Endposition erkennen und akzeptieren und nicht vermeintlichen „Endpositionen“ nacheifern. Weniger ist da oft mehr.
Wie weh darf eine Haltung tun?
Gar nicht, außer es handelt sich um einen sogenannten „Dehnungsschmerz“, – wobei es sich dabei leider ein wenig um einen irreführenden Begriff handelt, der jedoch oft im Yoga-Jargon verwendet wird. Dieser Begriff bezeichnet ein Gefühl, dass etwas in einem angenehmen Sinn länger wird und sich ausdehnt. Nach dem Ausüben eines Asanas sollte kein „Dehnungsschmerz“ mehr da sein und sich ein positives Gefühl eingestellt haben. Alle anderen Schmerzen (und da gibt es sehr viele!) sollten auf keinen Fall provoziert werden.
Wann verlasse ich meine Komfortzone und wann befinde ich mich in der Überforderung und gehe dadurch in eine Fehlhaltung? Gibt es hierzu eine Hilfestellung?
Das ist nicht mit einem Kochrezept zu beantworten. Eine Dehnung kommt auch dann vor, wenn ich sie nicht spüre und sie hat trotzdem ihren Effekt. Möchte ich auf körperlicher Ebene mehr Beweglichkeit erreichen, dann sollte ein Dehnungsschmerz ausgelöst werden. So wie die Asanas nur ein Element der Yoga-Praxis sind, sind Dehnungen nur ein Element von dem, was auf der körperlichen Ebene passiert. Es geht auch um Kräftigungen, Mobilisationen und Stabilität – und zwar sollte dies immer im Gesamtkontext betrachtet werden. Hinzu kommen noch die variierende Tagesverfassung, äußere Einflüsse wie Temperaturunterschiede aber auch die Tageszeit, zu der man praktiziert.
Worauf habe ich als Yogalehrer zu achten? Wie wichtig ist eine „richtige“ Anleitung? Und wie wichtig ist es, dass jeder für sich selbst herausfindet, was ihm/ihr guttut?
Ein bekannter Yogalehrer, Krishnamacharya, sagte einmal, dass das höchste Prinzip im Yoga die Anpassung der Praxis sei. In einem Gruppenunterricht kann nicht wie im Einzelunterricht auf die individuelle Praxis eingegangen werden. Umso bedeutsamer ist es, anatomisch sinnvolle Abfolgen und bestimmte Themen oder Körperregionen zu jeder Stunde zu wählen. Auch Erklärungen und Vorzeigen hilft natürlich sehr. Ich sehe oft in meinen Ausbildungen, zu denen auch viele ausgebildete Yogalehrer und Yogalehrerinnen kommen, dass man vermeintlich der Meinung ist, bestimmte Asanas anatomisch korrekt auszuführen. Umso überraschter sind dann manche, wenn sie sich im Spiegel sehen oder individuell angeleitet werden.
Welche Haltungen sind besonders prädestiniert für Fehlhaltungen?
Da gibt es einige. (lacht) Besonders oft sind Rückbeugen und Vorbeugen beteiligt. Ich denke da an klassische Fehlhaltungsmuster wie „übermäßiges Hohlkreuz“ oder „Knie überstrecken“. Aber auch in Standhaltungen wie dem Krieger sehe ich oft „Knieknicken“ oder „Kniekompression“.
Würdest du jedem Menschen raten, immer wieder mal eine Einzelstunde zu nehmen, um die eigenen Asanas überprüfen zu lassen?
Absolut! Dafür ist ja die Yogatherapie, mein persönliches Steckenpferd, prädestiniert. Hier kann exakt und individuell auf die persönlichen Einschränkungen und Bedürfnisse eingegangen werden. Körper verändern sich mit der Zeit und auch die Ziele auf physischer Ebene können sich verändern. Hinzu kommen das individuelle Alter und die jeweilige Lebenssituation. Ganz schön viele Einflüsse, die sich am besten in einer Einzelstunde berücksichtigen lassen.
Welche drei Tipps gibst du deinen Schülern diesbezüglich mit auf den Weg?
Jeder von uns neigt zu einem, meist mehreren Fehlhaltungsmustern. Das ist kein Makel, sondern eine anatomische Begebenheit in Kombination mit Bewegungsroutinen, die sich über Jahre hinweg eingeschlichen haben. Ehrlich und ungeschminkt die eigene Praxis immer wieder zu hinterfragen, sich mal im Spiegel anzusehen bei Rückbeugen oder Vorbeugen. Weniger ist oft mehr, ein abgenutzter aber noch immer gültiger Spruch. Oft reichen 80 % an Intensität, um ein Asana auf körperlicher Ebene wirkungsvoll auszuüben. Und immer wieder zu einem Lehrer des Vertrauens zu gehen, der sich gut mit Anatomie auskennt und die Zusammenhänge versteht, und die eigene Praxis ansehen lassen.
Vielen Dank für das Interview!