„Puuh, war das anstrengend“, seufzt die zweiunddreißigjährige Deutsch- und Mathelehrerin Svenja nach einer turbulenten Doppelstunde Mathe mit 30 Neuntklässlern. Der Tag hat gerade erst begonnen und die nächste Stunde steht schon vor der Tür. Doch die Kräfte der sympathischen und engagierten Pädagogin schwinden bereits. So sehr sie ihren Beruf und die Arbeit mit den jungen Menschen auch liebt, so fragt sie sich im Stillen, wie sie den Tag überstehen kann – schließlich liegen noch sechs fordernde Stunden mit ungefähr 90 Schülern zwischen 11 und 19 Jahren vor ihr. Und sie möchte jedem von ihnen gerecht werden. Dies ist eine echte Herausforderung. Der Alltag der meisten Lehrer ist eng getaktet. Die Fünf-Minuten-Pausen reichen gerade einmal, um auf die Toilette zu gehen und das Klassenzimmer zu wechseln.
Lehrergesundheit: Warum Achtsamkeit für Lehrer immer wichtiger wird
In einer Fortbildung hatte die Pädagogin Yoga- und Achtsamkeitsübungen kennengelernt. Seitdem zählt sie auf dem Weg in die nächste Klasse ihre Atemzüge: „Einatmen 1, Ausatmen 1, Einatmen 2 und Ausatmen 2, Einatmen 3 und Ausatmen 3. Mit jedem Atemzug tanke ich Ruhe, Kraft und Gelassenheit. Für mich und meine Schüler.“
Lehrergesundheit ist ein Thema, das mehr und mehr in den Fokus rückt. Kein Wunder! Der Beruf des Lehrers ist fordernd und beanspruchend, mitunter belastend. In Sekundenschnelle müssen sich Svenja und ihre Kollegen auf neue Situationen einstellen und Hunderte von Entscheidungen treffen. Da erstaunt es nicht, dass viele Lehrer im Laufe ihres Berufslebens unter physischen und psychischen Problemen leiden: von Nacken-, Schulter- und Rückenproblemen, über Reizbarkeit, Schlafstörungen bis hin zum Burnout. Viele Studien belegen diese traurigen Fakten.
Yoga und Achtsamkeitsübungen sind dafür prädestiniert, besser auf die Belastungen zu reagieren. Sie setzen auf der körperlichen, mentalen und emotionalen Ebene an und führen zu einem Zustand der physischen sowie psychischen Ruhe. Asanas und Pranayama sind nicht nur auf der Matte für Körper, Geist und Seele wohltuend, sondern helfen auch in jedem noch so kleinen Moment in der Schule dabei, sich zu entspannen und sich mit dem wichtigsten, was uns bestimmt – unserem Atem – zu verbinden. „Als ich die Atemübung bei einer Fortbildung zur Lehrergesundheit kennengelernt habe, war ich zunächst skeptisch. Aber schnell habe ich gemerkt, dass ich konzentrierter, gelassener und mental stärker bin, wenn ich mich einen Augenblick auf meinen Atem konzentriere. Der Atem ist mir ein zuverlässiger Begleiter und Unterstützer geworden.“
Strategien für den Umgang mit Stress als Lehrer
Um im fordernden Schulalltag gesund zu bleiben, braucht es einfache und leicht umsetzbare Strategien, um Stress und Anspannung zu reduzieren und wer könnte das besser leisten als Pranayama und Asanas? Dieses Wissen und Bewusstsein hat auch Einzug in die Lehrerfort- und Ausbildung gehalten. Viele Pädagogen nutzen die Möglichkeit, sich fortzubilden. Und dies ist notwendig. Wer einmal eine große Pause in einem Lehrerzimmer verbracht hat, erfährt am eigenen Leib sofort weshalb:
Lehrerzimmer gleichen einem Taubenschlag. Hundert Kollegen tummeln sich in der Pause hier. Einige laufen hektisch mit einer Tasse Tee zum Kopierer, andere brüten über der Unterrichtsvorbereitung, manche führen Telefonate, um die nächste Klassenfahrt zu organisieren und wiederum andere reden mit Kollegen und beißen dabei in ihre Stulle, während via Lautsprecher Schulsanitäter zu ihrem nächsten Einsatz gerufen werden. Keine Spur von Erholung.
Fortbildungen zum Thema Lehrergesundheit
Svenja und ihre Kollegen haben Glück: Sie haben nicht nur bereits an einer Fortbildung zum Thema Lehrergesundheit teilgenommen, ihre umsichtige Schulleiterin hat für einen Ruheraum gesorgt. „Mir ist es wichtig, dem Kollegium die Möglichkeit zur Regeneration zu bieten.“ In dem strahlend gelb angestrichenen Raum einer Oberschule spürt man sofort ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit. Große bodentiefe Fenster geben den Blick auf den Schulgarten frei. In einem Ruhesessel liegt die Jahrgangsleiterin des fünften Jahrgangs mit geschlossenen Augen. Ihr Gesicht ist entspannt und weich. Über Kopfhörer lässt sie sich durch einen Bodyscan, einer beliebten Achtsamkeitsübung zur Stressbewältigung, führen und lädt ihre Akkus wieder auf. Die Schulleiterin berichtet von weiteren Kollegen, die die wohltuende Stille in dieser Ruheoase der Schule genießen. Ein Kollege stimmt ihr zu: „Für mich ist das Thema Lautstärke eines der größten Probleme. Nach dem Sportunterricht habe ich manchmal das Gefühl, mir fallen die Ohren ab. Dann brauche ich einfach nur Ruhe, die ich im Lehrerzimmer nicht finde, so sehr ich auch den Austausch mit den Kollegen schätze.“
Lehrergesundheit: Die Wirkung von Stille
Das verwundert nicht. Stille trägt zu einer Reduktion von Stresshormonen bei, beruhigt das Nervensystem und erhöht die kognitiven Fähigkeiten. In Klassenzimmern sind 60-80 Dezibel keine Seltenheit und ab 60 Dezibel produzieren wir vermehrt Stresshormone. Achtsamkeits- und Yogaübungen, die man in Stille ausführt, wirken da Wunder.
Yoga, Pranayama, Achtsamkeit – alles kommt zum Einsatz
Doch längst nicht alle Schulen haben Ruheräume. Hendrik, Lehrer an einer Grundschule, weiß sich dennoch zu helfen: In Freistunden verlässt er das Schulgebäude und macht sich auf den Weg zu einem Breath Walk, einer Verbindung aus Yoga, Walking und synchronisierter Atmung. Mit dieser Methode aus dem Kundalini Yoga aktiviert er seinen Stoffwechsel, bringt das Herz-Kreislaufsystem in Gang und tut seinem Rücken etwas Gutes. Gut gelaunt und mit viel Sauerstoff im Blut geht er erfrischt wieder ans Werk. Damit tut er gleichzeitig auch seinen Schützlingen etwas Gutes, ist er nach seiner aktiven Pause aufmerksamer und zugewandter als nach einer Pause im Lehrerzimmer.
Der Mehrwert von Yoga und Achtsamkeit für die Lehrergesundheit
Viele staatliche Lehrerseminare wie das Landesinstitut für Schule in Bremen haben den Mehrwert von Yoga und Achtsamkeit für die Lehrergesundheit erkannt und bieten Seminare dazu an. Hier erlernen die Pädagogen einfache, umsetzbare Yoga- und Achtsamkeitsübungen. Besonders beliebt sind Kurse mit Übungsabfolgen gegen Nacken-, Rücken- und Kopfschmerzen, die man auch auf dem Stuhl durchführen kann. Der geübte Yogi erkennt die Katze-Kuh-Bewegung auf dem Stuhl sofort, die den geplagten Rücken wunderbar entlastet. Auch Schulterkreisen und Nackendehnungen stehen bei den Pädagogen hoch im Kurs. Lehrerhälse und Lehrernacken sind durch die Schreibtischarbeit oftmals bretthart; mit einfachen Asanas kann man sofort Abhilfe leisten – sei es im Lehrerzimmer oder am heimischen Schreibtisch. Der Sonnengruß auf dem Stuhl ist dann gold wert. Der Alleskönner mobilisiert den verspannten Rücken sanft. Der tiefe, gleichmäßige Atem sorgt fast von alleine zur Beruhigung der Herzfrequenz, wenn man aus einer anstrengenden Stunde kommt.
Pranayama gegen Stress
Stress führt zu körperlichen Symptomen und verursacht Emotionen wie Angst und Unsicherheit. Referendare und Berufseinsteiger können davon ein Lied singen. Beruhigendes Pranayama wie Nadi Shodana leisten Abhilfe. Eine junge Kollegin berichtet von einer Variante von Sa Ta Na Ma, die sie in einem Kurs während des Referendariats als Notfallset gelernt hat: „Ich bringe meinen Daumen nacheinander mit den Fingerkuppen zusammen und sage mir dabei: Ich bin gut genug. Das hat mich schon oft gerettet. Und weil es mir so gutgetan hat, habe ich es an meine Schüler weitergegeben.“
Wer Angst hat und gestresst ist, macht Fehler. Das gilt auch für Lehrer. Das müssen nicht unbedingt die schlimmsten Fehler der Welt sein. Aber das Fehlermachen trägt dazu bei, dass wir unzufrieden sind, uns unsicher fühlen und so beginnt ein Teufelskreis. Yoga und Achtsamkeitsübungen helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen, den Stress zu kanalisieren und wieder in Kontakt mit sich zu treten. Denn das hat einen positiven Einfluss auf die Lehrergesundheit.
Auch Mantras und Augenyoga tragen zu Lehrergesundheit bei
Seit Corona spielt auch die Augengesundheit eine größere Rolle. Sarah, Lehrerin an einer Gesamtschule, berichtet: „Ich habe seit der Pandemie Probleme mit den Augen. Gerade in diesen Zeiten, wo wir viel digital arbeiten, habe ich den Eindruck, dass ich viereckige Augen bekomme.“ Die charismatische und lustige Lehrerin führt dann Augenyogaübungen durch. Ihre dunklen, wachen Augen bewegen sich von links nach rechts, von unten nach oben, dann sieht es so aus, als schrieben sie etwas. „Ja, ich schreibe mein Mantra: Ich bin ganz bei mir. Das tut meine Augen gut. Außerdem erinnert mich das Mantra daran, dass ich die Aufgabe habe, für mich selbst zu sorgen. Die Schüler merken auch sofort, wenn es uns Lehrern nicht gut geht, wenn wir gestresst sind: Das färbt dann auf sie ab. Das Großartige an diesen Übungen ist, dass ich sie mit den Schülern gemeinsam praktizieren kann. Das haben wir in der Zeit der Distanzbeschulung gemeinsam begonnen und jetzt als festes Ritual übernommen.“
Das Thema Lehrergesundheit ist in den Fokus gerückt
Einige Schulen in Deutschland haben die Lehrergesundheit fest institutionalisiert und Gesundheits-Arbeitsgemeinschaften für das pädagogische Personal gegründet, die sich um die seelische und körperliche Gesundheit sorgen. An einer Bremer Schule hat Yoga seinen festen Platz: Eine Kollegin, die selbst ausgebildete Yogalehrerin ist, bietet Yogaeinheiten für die Kollegen an. Voller Enthusiasmus berichtet sie: „Anfangs hat es gedauert, bis die Kollegen sich getraut haben, gemeinsam Yoga zu üben. Mittlerweile ist der Kurs bei Jung und Alt beliebt. Die Kollegen genießen es. Yoga muss nicht immer schweißtreibend sein. Auch eine kurze Sequenz für den Nacken und Rücken wirkt Wunder und kann Kopfschmerzen und Verspannungen vertreiben. Beliebt sind auch Kriegersequenzen, um die eigene Kraft zu erleben. Das geht im Alltag doch oft verloren. Es schweißt uns zusammen und mir tut es gut, den Kollegen etwas zu geben.“
(Lehrer-)Gesundheit ist machbar!
Achtsamkeit und Ruhe müssen kein Widerspruch zu Schule und Berufsalltag von Lehrern sein. Die Beispiele machen Hoffnung – Gesundheit ist machbar. Es wäre wünschenswert, Yoga und Achtsamkeit stärker in den Alltag von Lehrern zu integrieren, auf dass die Schulen auch für das pädagogische Personal zu einem Ort werden, an dem Gesunderhaltung möglich ist. Dafür braucht es noch mehr Unterstützung aus der Politik und den Kultusministerien. Nur gesunde und gelassene Lehrer können ihre Arbeit mit Freude und Hingabe ausüben. Die Lehrergesundheit kommt den Kindern und Jugendlichen und schlussendlich unserer gesamten Gesellschaft zugute. Am Ende geht es um das Leben und das gilt auch für einen Schultag.
Zum Weiterlesen:
Mona Bekteši: Yoga in der Schule. Meyer und Meyer, 2020
Mona Bekteši bietet deutschlandweit zahlreiche Workshops zum Thema Yoga in der Schule an:
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Vielen Dank für diesen Artikel! Als Lehrerin an einem Gymnasium fehlt mir allerdings ein wichtiger Aspekt: Warum müssen Lehrer:innen durch Yoga und Achtsamkeit NOCH belastbarer werden? Auch für mich sind die Methoden des Yoga unverzichtbar in meinem Alltag, aber warum wird nicht zusätzlich versucht, das Übel an der Wurzel zu packen? Nicht immer noch mehr Verantwortung und noch mehr Aufgaben, weniger Bürokratie, mehr Unterstützung im Alltag wäre nötig, sodass wir uns auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren können: Das Unterrichten im Sinne der Schüler:innen.