Der Kuss der Kundalini – die Literaturprofessorin und Mystikerin Dorothy Walters im Portrait.
Dorothy Walters, geboren 1928, lehrte als Professorin für englische und amerikanische Literatur und für Frauenforschung an verschiedenen Universitäten im Mittleren Westen der USA; das von ihr etablierte Programm für Women’s Studies war eines der ersten im Land. Hätte man sie in ihrer ersten Lebenshälfte getroffen, dann hätte man sie sicherlich als engagiert und intellektuell brillant wahrgenommen, aber nicht unbedingt als eine Frau, die sich der mystischen Versenkung widmet. Und dennoch brach im Jahr 1981 etwas über sie herein, das sie später als spirituellen Sturm bezeichnete. Eines Morgens nämlich wachte Dorothy Walters auf und fand sich in Ekstase wieder. Und dieser außergewöhnliche Zustand, den sie mit den Worten „Es ist, als ob Gott sich durch deinen Körper bewegt“1 beschreibt, blieb kein singuläres Ereignis, sondern hielt an – bzw. setzte sich in einem tiefschürfenden, im besten Sinne erschütternden transformativen Prozess fort. Man sollte allerdings nicht unerwähnt lassen, dass sie in der Nacht vor der initialen ekstatischen Einheitserfahrung auf Shiva und Shakti meditiert hatte. Die Beschäftigung mit dem Götterpaar war allerdings eher ihrem Interesse an männlichen und weiblichen Energien geschuldet als einem Bestreben nach spirituellem Fortschritt oder gar an Erleuchtung. Nichtsdestotrotz schien diese Hinwendung zum göttlichen Paar, das in seiner Vereinigung sowohl das immanente Potenzial und die manifestierte Schöpfung als auch die Aufhebung der Gegensätze symbolisiert, etwas in ihr ausgelöst zu haben, das sich als umfassender und heftiger Kundalini-Prozess erwies.
Dieser Vorgang, auf den wir später noch näher zu sprechen kommen, setzte bei Dorothy Walters u.a. einen Kreativitätsschub in Gang, der sich in bemerkenswerten lyrischen Schöpfungen verströmte. Ihre Gedichte erinnern in manchen Zügen an die Verse der großen persischen Sufi-Mystiker. Sie vermögen gleichsam einen Geschmack von jenem mystischen Erleben zu vermitteln, für das Sprache niemals ausreicht, Metaphern stets zu hülsenhaft und Bilder für gewöhnlich zu blass bleiben – und wenn Lyrik das schafft, dann muss sie direkt aus dem tiefsten „Herz des Herzens“ oder aus hohen göttlichen Quellen geflossen sein. Über ihren Lyrik-Band The Goddess Speaks sagt Walters auch ganz explizit, dass es sich um Transmissionen der Großen Göttin handelt. Generell sieht sie sich vielmehr als das empfangende Gefäß denn als die Schöpferin ihrer Verse.
Als sich in den gesamten […]