Veränderte Bewusstseinszustände, Meditation, Yoga – Reflexionen anlässlich der geplanten Legalisierung von Marihuana.
Meine Experimente mit Haschisch liegen inzwischen mehr als vierzig Jahre zurück. Ein Freund, dem meine Nachdenklichkeit und gedrückte Stimmung aufgefallen war, lud mich mit anderen in den ersten warmen Frühlingstagen in den nahen Blieswiesen zur „Experience“ ein. Gespannt wartete ich nach den tiefen Zügen durch die zum Inhalieren gewölbten Hände auf die Wirkung. Nichts schien verändert. Dann verspürte ich plötzlich starken Appetit. Mein Freund pellte ein Ei, und dieser Vorgang absorbierte mit einem Mal auf ungewohnte Weise meine Aufmerksamkeit. Alle Vertrautheit und Gewohnheit war verschwunden. Der Vorgang schien seltsam losgelöst, herausgelöst aus dem Alltag, verlangsamt und wie zum ersten Mal gesehen, und plötzlich mussten wir unwillkürlich lachen. Das Aufgehen in der unmittelbaren Gegenwart schien Zeit aufzuheben in Ewigkeit. Farben, Geräusche, Geschmack und Gerüche intensivierten sich. Immer neue Details traten hervor. Wir gingen zum Ufer, ließen Holzstücke schwimmen und verfolgten das Rennen gebannt.
Der Intensivierung und Fokussierung, der Absorption der Aufmerksamkeit folgte plötzlich ein Gewahrwerden der Situation – wir waren Schüler, hatten verbotenerweise Haschisch geraucht und mussten irgendwann wieder nach Hause gehen –, und Ängste tauchten auf. Wurden wir vielleicht beobachtet? Würden die Eltern etwas bemerken? Das Denken verlor sich in faszinierenden Möglichkeiten und erschreckenden Befürchtungen. Selbst das zuvor Unwahrscheinliche schien möglich. Auch die Wahrnehmung der anderen veränderte sich plötzlich, die in ihrem Anderssein bewusstwurden. Tiefes Mitgefühl erfüllte mich. Dann lösten sich die vertrauten personalen Bezüge und Bilder auf. Wie auf einer Bühne sah ich die anderen fremd und unbekannt vor mir. Fragen tauchten auf: nach ihren Gedanken, Absichten, Motiven, Überzeugungen und Gefühlen, ihrer Geschichte, ihren Beziehungen. Der Blick in die Tiefe öffnete einen Schwindel des Möglichen, vergleichbar einem Sturz in einen bodenlosen Abgrund, der keine Sicherheit, kein verbindliches Urteil zuließ.
Selbst und Welt hatten ihre bisherige Selbstverständlichkeit verloren. Und auch nach Abklingen der Wirkung blieben diese Erfahrungen nachdrücklich in Erinnerung.
Dass Haschisch auch erotische Stimmung und Begehren auf unvorstellbare Weise intensivieren, Blicke und Berührungen unendlich vertiefen, Musik verlebendigen und Worte mit unergründlichen Bedeutungen füllen konnte, veränderte und erweiterte mein Bewusstsein weiter.
Faszination und Angst, so schien es, gehörten untrennbar zusammen, und diese erregende Ambivalenz prägte meinen weiteren experimentellen Umgang mit Haschisch. Aber auch im gewöhnlichen Alltag blieb mir die jederzeit mögliche veränderte Welt- und Selbsterfahrung immer gegenwärtig.
Wenn diese Erfahrungen durch Haschisch möglich und wirklich waren, folgerte ich irgendwann, muss auch ein anderer Zugang möglich sein. Ein Zugang, der nicht von äußeren Hilfsmitteln abhängt, die einen Bruch oder eine Lücke, einen Sprung in der Kontinuität des Bewusstseins implizieren.
Verstehen und Integration – und Hinwendung zur Spiritualität des Ostens
Zufällig begegnete ich in dieser Zeit in meinem beschaulichen barocken Wohnort einer Gruppe von Mönchen, die mir das 1973 erschienene Buch Jenseits von Raum und Zeit des indischen Gurus A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada, des Gründers der International Society for Krishna Consciousness, schenkten. Die ersten Zeilen lauten: „Das Lebewesen ist seinem Wesen nach para prakriti (höhere, antimaterielle Energie). Seine Identifizierung mit der apara prakriti (der niederen, materiellen Energie) ist die Ursache allen Leids. Weil das Lebewesen von einer illusionären Form der Zivilisation getäuscht ist, vernachlässigt es die geeignete Behandlung seiner materiellen Krankheit. In diesem Buch wird die geeignete Behandlung vorgeschlagen, und wir hoffen, daß die zivilisierte Welt ihren Nutzen aus der hier beschriebenen Methode des bhakti-yoga ziehen wird und somit die höchste Vollkommenheit des Lebens erreicht. Jedes Lebewesen, besonders aber der zivilisierte Mensch, hat das natürliche Verlangen, für immer zu leben und glücklich zu sein (…) Der Wunsch (…) kann durch den Vorgang des Yoga erfüllt werden (…).“
Dieses Buch lenkte erstmals meine Aufmerksamkeit auf die unbekannte Welt östlicher Spiritualität, und es waren zwei Yogahaltungen, die ich damals mühelos intuitiv und spontan immer wieder einnahm: Shavasana und Mayurasana. Veden, Mahabharata, Ramayana, Bhagadvagita, Upanishaden und Vedanta begegneten mir erstmals als exotische Titel und Zeugnisse fremder östlicher Kultur, Philosophie und Religiosität. Gleichzeitig wurde ich auf die Verbindung östlicher Spiritualität mit der modernen Atomphysik aufmerksam, eine Kombination, die 1981 in der Begegnung mit dem Physiker und Hegelspezialisten Manfred Gies außerordentlich belebt und intensiviert wurde. Ein weiteres Buch, das 1979 das Verstehen und die Integration der außergewöhnlichen Erfahrungen unterstützte, war Claudio Naranjo Die Reise zum Ich. Der chilenische Psychiater und Kenner archaischer Religionen öffnete den Zugang zur Psychotherapie und Transpersonalen Psychologie. Sein mit Robert E. Ornstein gemeinsam geschriebenes Buch Psychologie der Meditation bestätigte, inspirierte und motivierte mich Jahre später wieder, nachdem ich mich entschieden der Meditation zugewandt hatte: „Die Menschheit wird sich immer mehr des Gefängnisses bewusst, das sie sich selbst gebaut hat, und die einzelnen wollen sich von dem befreien, was ihre Umwelt sie unbesehen anzunehmen heißt. Darum wird der Mensch von seinem metaphysischen Trieb in die Richtung des Ausdrucks, der Befreiung und innerer Offenbarung gelenkt.“ Das stimmte mit meinen Erfahrungen und literarischen Versuchen überein.
Dem Entschluss zum Verzicht auf alle „einfachen“ äußerlichen Hilfsmittel folgte der Beginn der Meditation, und inzwischen blicke ich auf siebenunddreißig Jahre täglicher meditativer Übung und Erfahrung zurück.
Neurowissenschaftliche Studien veränderter Bewusstseinszustände haben die Richtigkeit meiner intuitiven Einsicht bestätigt1. Der Mensch hat Zugang zu vielen Welten, im Wachen wie im Schlaf, und es kommt wesentlich auf die sinnvolle Handhabung dieser neuen Einstellung an. Dass drogeninduzierte veränderte Erlebensweisen erhebliche Risiken vor allem für noch unausgereifte Gehirne in der Entwicklung befindlicher junger Menschen mit sich bringen können, haben auch wir Ende der siebziger Jahre erlebt. Es kam zu Unfällen, Bildungsabbrüchen, Lebenskrisen, Heroinsucht, Kriminalität, Klinikaufenthalten und Selbstmord. Als existenziell wachrüttelnder Blick in die Tiefe, Vor-Blick in mögliche Welten und heilsamer Schrecken der Erkenntnis der Tiefe, Komplexität, Schönheit und Gefährdung unserer Welt kann Haschisch sicherlich auch heute noch verwendet werden. Entschlossenheit, Geduld, Disziplin und Ausdauer sind allerdings für jede nachhaltige spirituelle Entwicklung unverzichtbar.
1 Dieter Vaitl: Veränderte Bewusstseinszustände. Grundlagen – Techniken – Phänomenologie, Schattauer Verlag