Storytelling: Lass dich von Herzen berühren
Ich traf den Sadhu auf einer Indienreise. Er trug ein orangefarbenes Tuch, das um seine Hüften geschwungen war, seine Lenden verdeckte und offensichtlich sein einziges Kleidungsstück war. Um seinen Hals trug er eine dunkle Holzkette, eine helle Gebetskette, eine sogenannte Mala mit 108 Kugeln. Der Mann war groß und drahtig. Seine Augen waren dunkelbraun, fast schwarz. Sein Blick war fest und durchdringend. So, als wäre er in der Lage, bis auf den Boden meines Herzens zu schauen. Als wir ins Gespräch kamen, erzählte er mir, dass er als Geschichtenerzähler von Dorf zu Dorf durch Nordindien gezogen sei. Als er davon berichtete, änderte sich der Ausdruck in seinen Augen plötzlich und er wurde traurig. Er meinte, dass es seine Aufgabe gewesen sei, den Dorfbewohnern durch Geschichten Neuigkeiten mitzuteilen und altes Wissen zu vermitteln.
Die Menschen hatten sich immer sehr über seinen Besuch gefreut. Wenn er kam, traf man sich auf dem Dorfplatz, hörte ihm zu, plauderte miteinander und genoss das Beisammensein. Am Ende eines solchen Abends wurde er immer von jemanden nach Haus eingeladen, um dort zu übernachten. Aber als das Fernsehen Einzug in die Häuser der Dorfbewohner erhielt, kamen immer weniger Menschen, um ihm zuzuhören. Irgendwann kamen nur noch ein paar Alte. Der Geschichtenerzähler hatte keinen Schlafplatz mehr und auch die Essenseinladungen wurden rar. So entschied er sich, sich ins Himalaya zurückzuziehen, um sich ganz der Meditation zu widmen. Auf dem Weg dorthin begegnete er einem deutschen Bergsteiger. Er erzählte ihm ein paar Geschichten. Der Deutsche war so beeindruckt von den Geschichten des Sadhus, dass er nicht genug davon bekam. Die ganze Nacht verbrachten die beiden am Flussufer des Ganges. An diesem Punkt der Geschichte begannen die Augen des Sadhu wieder zu strahlen. „Er war sogar so begeistert,“ erzählte er weiter, „dass er einen Verleger in München kontaktierte und ein Buch mit allen Geschichten veröffentlicht wurde. Jetzt erreichen meine Geschichten jene Menschen, die ihr Herz noch nicht vollkommen an das Fernsehen und die Streamingdienste verkauft haben.“ |
Was ist das Geheimnis vom Storytelling?
Öffne dein Herz und lass mehr Leben in dein Leben
Storytelling heißt Brücken bauen
Übung für Storytelling
Mit diesen einfachen Tricks kannst du deine Geschichte lebendig werden lassen:
- Sprich die Sinne an: Was hast du gehört, gerochen, gefühlt, geschmeckt?
- Wie kam es zu der Situation?
- Was war der Höhepunkt und was der Tiefpunkt?
- Gab es einen Moment, in dem sich die Geschichte „gedreht“ hat?
- Wie hast du dich dabei gefühlt?
- Kannst du sie rückblickend mit etwas Abstand auch mit einem Augenzwinkern betrachten?
7 Erzählmuster für gutes Storytelling
1. Vom Tellerwäscher zum Millionär: Ein mittelloser Mann wird reich. Dadurch endet sich seine Persönlichkeit. Oftmals erst zum Negativen und dann am Ende wird doch alles gut. 2. Komödie: Lustige Irrungen und Wirrungen, die das Verhalten der Protagonisten überzeichnet darstellen. Und trotz aller Tritte ins Fettnäpfchen nehmen sie ein glückliches Ende. 3. Tragödie: Trotz aller Bemühungen gibt es kein Happy End. 4. Wiedergeburt: vom Saulus zum Paulus. Ein Bösewicht hat ein Erlebnis, das ihn in der Tiefe wandelt und zum Helden werden lässt. 5. Heldenreise: Ein Mensch geht freiwillig oder unfreiwillig in die Welt, sammelt dort seine Erfahrungen und kommt geläutert wieder nach Hause. 6. Die Mission: Der Held muss bestimmte Aufgaben erfüllen, um sein Ziel zu erreichen. Auf dem Weg gibt es viele Abenteuer, die bestanden werden wollen. 7. Das Monster besiegen: Die Heldin besiegt eine dunkle Macht, eine böse Bedrohung. Um dies zu schaffen, braucht es Mut und innere Stärke. |
Fazit: Beim Storytelling geht es um Verbindung
Hanna Milling: Storytelling – Konflikte lösen mit Herz und Verstand. Wolfgang Metzner Verlag 2020