Nach einer spektakulären „Rainbow Unicorn Magical Mermaid Ecstatic Dream Ride“-Klasse auf der letzten YOGA CONFERENCE GERMANY (YCG) in Köln hatten wir die Gelegenheit, mit Dylan Werner, einem renommierten US-amerikanischen Yogalehrer und ein großer Fan von Umkehrhaltungen, zu sprechen. Wir haben uns über ausgefallene Workshop-Namen, die Bedeutung von Santosha und Tapas für unsere Praxis und über die myofaszialen Meridianlinien unterhalten und sprachen darüber, wie die Ausrichtung in einer Yogahaltung auch Fehlstellungen in unserem Körper erzeugen kann. Finde heraus, warum die Yogapraxis eine zutiefst somatische Erfahrung ist und warum eine Yogamatte, etwas Body Paint und Schwarzlicht laut Dylan Werner ausreichen, um dich in deinem strahlenden Herzraum landen zu lassen.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Dylan, danke, dass du dir nach dieser epischen „Rainbow Unicorn Magical Mermaid Ecstatic Dream Ride“-Stunde auf der YCG etwas Zeit genommen hast. Was für ein ausgefallener Name für eine Yoga-Session. Worum ging es da eigentlich?
Dylan Werner: Als ich vor Jahren auf Festivals zu unterrichten begann, war ich zwar bekannt, aber nicht so bekannt wie heute nach über 10 Jahren des Unterrichtens. Damals hatten meine Klassen und Workshops auf Festivals eher langweilige, trockene Titel wie „Kraft- und Stabilitätsgrundlagen“ – dementsprechend leer waren die Klassen auch.
Ich konnte mir nicht erklären, warum andere Lehrer ohne große Bekanntheit volle Klassen hatten. Als ich mir die Titel der Kurse ansah, wurde es mir klar: Sie waren lustig, einladend und machten neugierig.
In diesem Sinne fordere ich heutzutage auch die Teilnehmer in meinen Yogalehrerausbildungen auf, sich Namen auszudenken, die einladend sind und neugierig darauf machen, worum es sich wohl handelt. Das hilft ihnen, sich als Lehrer ein Standing und eine gewisse Audience aufzubauen.
In meinem Yogalehrer-Ausbildungshandbuch habe ich diesen „Rainbow Unicorn Magical Mermaid Ecstatic Dream Ride“ (was buchstäblich der wohl lächerlichste Name ist!) – (lacht) – als Beispiel genannt. Eigentlich sollte ich diese Stunde 2020 hier in Köln unterrichten, wegen COVID wurde aber alles abgesagt. Im Jahr 2022 habe ich nun also endlich die Stunde unterrichtet, die einfach nur Spaß machen sollte: Mit lauter Musik, Body Paint, Schwarzlicht – damit sich die Menschen verbinden und in ihrem eigenen strahlenden Herzraum landen können.
Ich denke, beim Yoga geht es vor allem um die ekstatische Freude, die wir miteinander teilen, und darum, in einer Gemeinschaft zusammenzukommen.
Ich wollte einfach eine Klasse kreieren, die diese universelle Freude teilt, die wir alle erleben, wenn wir zusammen üben; etwas, das wirklich Spaß macht und ein wenig lächerlich ist, um die Ernsthaftigkeit mal gut sein zu lassen. Deshalb habe ich mir auch das bunteste Outfit, das ich finden konnte, herausgesucht, habe auf einer Regenbogenmatte praktiziert und mich mit Body Paint angemalt.
Zwei Jahre später hast du endlich deine Klasse auf der YCG gehalten. Interessanterweise hast du heute einen höheren Bekanntheitsgrad, bist international bekannt, deine Klassen und Workshops sind randvoll und die Schüler fühlen sich von den ausgefallenen Namen angezogen. Es sieht so aus, als hättest du aus deinen so genannten „Fehlern“ und Erfahrungen in der Vergangenheit gelernt. Außerdem praktizierst du nun schon seit über 20 Jahren. Deine Yogapraxis nahm in den frühen 2000er Jahren ihren Ursprung, dann gab es eine kurze Pause, bevor du schließlich so richtig tief in die wundersame Welt des Yoga eingetaucht bist. Was fasziniert dich am meisten an Yoga, und was bringt dich nach all den Jahren immer wieder zurück auf die Matte?
Yoga war für mich immer ein Weg, um mich selbst besser zu verstehen und herauszufinden, wie ich in die Welt passe und mich mit ihr verbinde. Yoga ist der innere Zugang zu Verbindung und Wahrheit. Es war immer eine Mischung aus Philosophie und Bewegung, die mich fasziniert hat. Was ich am Yoga so liebe, ist, dass er keinen Unterschied zwischen Geist, Körper, Atem und Seele macht – alles wird als eins betrachtet. Es ist einfach dieses komplette Paket.
Wir Menschen lieben es, Dinge aufzuteilen und zu kategorisieren, um sie besser verstehen zu können. Ich finde, dass Bewegung, Geist und Seele seit so vielen Jahren so getrennt werden, dass wir vergessen haben, dass sie eigentlich alles eins sind. Und Yoga ist eine Erinnerung daran, dass es immer noch alles eins ist.
Außerdem ist es die Absicht, die Intention, hinter der Praxis, weshalb ich dabei geblieben bin. Solange ich sie habe, habe ich immer das Gefühl, dass ich wachse. Und wenn man nicht wächst, dann stirbt man – und ich bin noch nicht bereit, diesen anderen Weg einzuschlagen. Der Yoga bringt mich immer wieder dazu, sowohl geistig und spirituell als auch körperlich zu wachsen.
Man kann sehen, wie du dich auf der körperlichen Ebene weiterentwickelt hast. Offensichtlich bist du der Meister des Handstands und atemberaubender Umkehrhaltungen, aber wie bist du spirituell gewachsen?
Zunächst einmal würde ich nicht sagen, dass ich ein Meister von irgendetwas bin, in allen Dingen bin ich noch ein Anfänger. Was die Bewegung angeht, so ist sie nur ein Teil und nicht der Hauptschwerpunkt meiner Praxis. Aber wenn ich meinen Körper bewege, dann fühle ich mich besser in meinem Leben und mit mir selbst – und ich fühle mich deutlich anders, wenn ich mich einen Tag lang nicht bewege, nicht praktiziere. Das ist es, was mich wirklich dazu bringt, meine Matte immer wieder auszurollen.
Ich bin jemand, der Herausforderungen braucht und gefordert werden muss. Dementsprechend ist meine Praxis immer stärker geworden, und ich mache „verrücktere“ Dinge. Mir persönlich geht es aber nur darum, wie sehr ich mich in dem Moment herausfordern kann, und manchmal sieht es nach wirklich fordernden Haltungen aus, an anderen Tagen bin ich nicht in der Lage, mich so sehr herauszufordern.
In der Yogaphilosophie haben wir Santosha und Tapas in den Niyamas. Das Schöne daran ist, dass Santosha im achtgliedrigen Pfad vor Tapas genannt wird. Santosha bedeutet Zufriedenheit. Es geht darum zu verstehen, wie man mit dem zufrieden ist, was man ist. Wie der Buddha sagt, sind die beiden Wege des Leidens: Nicht zu haben, was man will, oder nicht zu wollen, was man hat. Und das ist so wahr: Was man gerade hat, ist perfekt. Wenn wir zu Tapas schauen, geht es um unser inneres Feuer. Dazu gehört auch der Wunsch, uns selbst zu fordern, damit das innere Feuer wachsen kann. Schließlich brauchen wir Wachstum, um uns vollständig zu fühlen. Es geht aber nicht darum anders zu sein. Vergleichbar mit einem Baum: Denn ein Baum wächst immer, er dehnt sich immer aus, will aber nicht etwas anderes sein als das, was er ist, denn er ist immer noch ein Baum. Und ich versuche wirklich, das in meine Praxis einzubeziehen: Das Gefühl, dass ich wachse, aber immer noch ich bin und dass ich nichts hinzufügen muss, um mehr ich zu sein.
Alle spirituellen Lektionen des Yoga sind einfach. Es ist wie mit jeder Wahrheit: Wenn sie wahr und real ist, ist sie selbsterklärend. Wir brauchen nicht in Büchern nachzuschlagen oder uns nach schillernden Gurus oder Motivationsrednern umzusehen, um sie zu verstehen. Wenn es sich um die Wahrheit handelt, wissen wir es einfach sofort, wenn wir es hören.
Den Yoga gibt es schon seit Tausenden von Jahren, und er ist immer noch aktuell. Und ich kann auch verstehen, warum: Wenn es sich relevant und wahr anfühlt und etwas Nützliches für mich dabei ist, dann setze ich es auch in meiner eigenen Praxis um. Damit eine Philosophie eine gute Philosophie ist, muss sie nützlich sein, Sinn ergeben. Es hat keinen Sinn, etwas zu lernen, das nicht nützlich für uns ist. Und das ändert sich. Manche Dinge sind vielleicht jetzt nicht nützlich für dich, aber sie könnten es in Zukunft sein. Und nur mit der Zeit und der Praxis sind wir in der Lage zu unterscheiden, wann für etwas der Zeitpunkt gekommen ist.
Um noch einmal auf die körperliche Ebene zurückzukommen: Du hast angefangen, das myofasziale System in deinen Unterricht zu integrieren. Gestern habe ich an deinem Workshop „Fascia Tune Up“ teilgenommen. Wie kommt es, dass du dieses System in deine Praxis einbezogen hast, und wie wirkt es sich auf die körperliche Ebene aus?
Ich war schon immer ein kleiner Anatomie-Nerd. Als ich anfing, etwas über die myofaszialen Meridiane bzw. Anatomy Trains, wie Tom Myers sie nennt, zu lernen, ergaben sie einfach Sinn für mich. Yoga ist schließlich für jeden Lehrer und Praktizierenden etwas anderes – es ist daher nie fair zu sagen: „Yoga ist dies …“, da er für jeden etwas anderes ist, je nachdem, was er oder sie davon will. Außerdem hatte ich es satt, in meiner Praxis einfach nur statische Haltungen und Formen einzunehmen. Was ganz schön lustig ist, wenn man daran denkt, dass es beim Handstand vor allem um die Form geht. Wenn wir an Ausrichtung denken, dann bezieht sich dies auf die Ausrichtung in einer Haltung.
Aber das ist doch keine Ausrichtung, sondern eigentlich eine Fehlausrichtung.
Der Krieger II richtet mich nicht auf irgendetwas aus, er bringt mich vielleicht sogar eher aus meiner Ausrichtung heraus. Und wenn ich den Krieger II nur auf der linken Seite mache, werde ich eventuell einige Asymmetrien im Körper haben, und daraus können vielleicht einige Dysfunktionen entstehen, vielleicht sogar Schmerzen. Deshalb versuche ich, unseren Körper durch Bewegung auf seine natürliche Ruhespannung auszurichten, indem wir alle myofaszialen Meridianlinien entspannen. Diese Spannungslinien sind Teil des Systems, was auch als Bio-Tensegrität bezeichnet wird und dafür bekannt ist, dass es den Körper durch Spannung und Druck zusammenhält.
Diese Meridiane oder Anatomy Trains, bzw. anatomischen Bahnen, oder wie auch immer man sie nennen will, geben nur die Art und Weise wieder, wie wir Muskelzüge und fasziale Ketten im Körper in die Körperfront, die Rückseite, etc. aufteilen. Das sind reale Dinge, keine metaphysischen Dinge. Man könnte sie sogar zerlegen. Alles im Körper ist miteinander verbunden, jedoch ist diese Betrachtungsweise nicht wirklich nützlich, wenn es um Bewegung geht.
Deshalb müssen wir eine Art Trennung vornehmen, um besser damit arbeiten zu können. Jeder myofasziale Meridian hat einen Zweck, und sie gleichen sich gegenseitig aus. Wenn ich unterrichte und Sequenzen erstelle, dann versuche ich, den Körper ins Gleichgewicht zu bringen: entweder zwischen antagonistischen Linien (das bedeutet, dass sie sich gegenüberstehen und die Gegensätze ein Gleichgewicht schaffen, z.B. die Frontlinie und die Rückenlinie), oder ausgleichenden Linien (z.B. haben sie eine linke und eine rechte Seite wie die Spirallinie, wo die linke die rechte Spirallinie ausgleicht und vice versa) oder synergetischen Linien (das bedeutet, dass sie sehr gut zusammenarbeiten, wie z.B. die Spirallinie und die Seitenlinie, da sie die gleichen Muskeln ansprechen).
Mit diesem Wissen im Hinterkopf kann man eine Bewegungsabfolge kreieren, die entweder Kraft erzeugt oder Spannungen löst, um so den Körper wieder in eine gesündere Ausrichtung zu bringen. Indem wir diese Asymmetrien beseitigen, können wir in Folge Schmerzen und Dysfunktionen aus dem Weg räumen und die natürliche Ausrichtung des Körpers sowie die Ruhespannung wiederherstellen.
Denken wir an Shavasana, wenn man alles loslässt und der Körper an den Ort und in die Form schmilzt, wo er sein möchte, so ist das für viele von uns von einer Seite zur anderen unterschiedlich. Das liegt an unseren asymmetrischen Bewegungsmustern: Wie wir uns bewegen, ob wir Rechts- oder Linkshänder sind, welches unser dominantes Auge ist. Weil wir überwiegend einseitig sind, ist unser Körper von Natur aus also auch asymmetrisch.
Äußerlich und innerlich sind wir also asymmetrisch. Wichtig ist, dass wir nicht versuchen, die Dinge genau gleich zu machen. Wir wollen sie aber schon ausgleichen, damit nicht die eine Schulter nach vorne zieht, die Wirbelsäule nicht zu einer Seite verdreht ist. Und Bewegung ist eine fantastische Möglichkeit, dies zu erreichen. Das ist es auch, was ich mit meinem Yoga-Unterricht zu erlangen versuche: Durch Bewegung möchte ich den Körper in seine gesündeste Form bringen, damit wir anmutig alt werden und gleichzeitig in unserem Körper jung bleiben können.
Indem wir das myofasziale System auf der physischen Ebene in Yoga Flows einbinden, trägt es dazu bei, dass wir noch tiefer in den Energiekörper eintauchen können?
Das Wissen um die Faszien in das Yoga-Sequencing einzubauen, stellt eine gewisse Herausforderung dar, da es hier sehr viel zu beachten gibt (d.h. vor allem das Wissen um die Eigenschaften der Faszien wie Plastizität, Elastizität, Viskoelastizität, wie Faszien Kraft übertragen und sich verformen). In meinen Kursen geht es eher um Bewegungen, es sind keine intellektuellen, sondern somatische Erfahrungen. Indem wir unseren Körper bewegen, können wir Dinge im Körper spüren. Es geht nicht darum, in eine Haltung oder Form zu kommen. Stattdessen soll ein Gefühl erzeugt werden.
Und ich glaube, wenn man sich bewegt, um ein Gefühl zu erzeugen, entsteht eine andere Erfahrung, die einen tiefer in Kontakt mit sich selbst bringen kann; mit dem, was man fühlt, und auch mit der Fähigkeit, loszulassen und an nichts anzuhaften, weil man sich in dieses Gefühl hineinbewegt…
Und das ist sozusagen der Kern des Yoga, nicht wahr?
Für mich ist es das, aber jeder muss selbst entscheiden, was es für ihn ist. Aber da du mich fragst… (lacht)
Das ist es nämlich auch für mich irgendwie. (lacht) Vielen Dank, Dylan, für das Interview.
Es war mir ein Vergnügen.
Dylan Werner ist ein international anerkannter Yogalehrer, Autor, Redner und Ausbilder. Sein umfangreiches Wissen über Anatomie und Physiologie sowie sein tiefes Verständnis der östlichen Philosophie verleihen seinen Lehren eine einzigartige Perspektive. Als ehemaliger US-Marine und Irak-Kriegsveteran war Dylan als Feuerwehrmann und Sanitäter tätig, bevor er seine Karriere aufgab, um ein Leben als Lehrer für Bewegung und Achtsamkeit zu führen. Dylan unterrichtet seit 2011 und hat bereits Hunderte von Workshops, Trainings und Veranstaltungen weltweit geleitet.
Mehr von Dylan:
Dylan Werner: Pranayama – Atem ist Leben: Entdecke die Atemtechniken des Yoga, um physische, mentale und emotionale Stärke zu erlangen. riva Verlag 2022.
Trainings und Workshops mit Dylan: 31. Juli – 29. August 2022 | Pfaffing, Deutschland | 300-Hour Advanced Teacher Training |