Der Herbst will spielen. Er schüttet sein Rot, sein Pink, sein Violett in den Himmel und malt ein Meer aus glühenden Tönen in die Bäume und das Wasser. Mit seinem ganzen Wesen taucht er in den Augenblick und gibt sich ihm hin, bis er sich darin auflöst. Er wandelt sich vom Morgen zum Abend und über Nacht noch einmal, überrascht uns, beschenkt uns mit Farben und Formen und Winden. Er sagt: Schau her, das ist es. Das ist die Vergänglichkeit, das pure Sein in seiner ganzen Schönheit, Schöpferkraft und unbändigen Bewegung. Greif zu und öffne deine Sinne. Denn der Herbst ist die Erntezeit des Augenblicks. Der Herbst zeigt dir, wie du mit allen Sinnen die Geschenke des Lebens empfangen kannst.
Equinox: Warum heißt es Tagundnachtgleiche?
Zur Tagundnachtgleiche, Äquinoktium – lateinisch aequus ‚gleich‘ und nox ‚Nacht‘ – wird die Erde gleichmäßig in das Licht der Sonne getaucht. Die Tagundnachtgleichen im Frühling und im Herbst zählen neben den Sonnenwenden im Sommer und im Winter zu den vier bedeutendsten Jahreskreisfesten. Ein besonderes Phänomen der Tagundnachtgleiche ist, dass sie an allen Orten der Erde stattfindet. Das Wort Äquinoktium bedeutet übersetzt so viel wie „gleiche Nacht“. Doch Tag und Nacht sind nie exakt gleich lang, es gibt immer eine Diskrepanz von ein paar Minuten, die sich durch eine optische Täuschung erklären lässt. Die Erdatmosphäre beugt das Licht, weshalb es so aussieht, als befände sich die Sonne noch über dem Horizont, obwohl sie bereits untergegangen ist.
Tageundnachtgleiche am 23. September 2022
Die Tagundnachtgleiche findet in diesem Jahr am 23. September statt. Sie ist ein Wendepunkt, der Herbstbeginn, der Übergang in eine neue Zeit. Bis zur Wintersonnenwende werden die Tage jetzt kürzer als die Nächte sein. Traditionell fällt in diese Zeit auch das Erntedankfest am 2. Oktober und Mabon, das keltische Erntedankfest.
Equinox: Die Natur schenkt uns ihre Fülle
Mit der Tagundnachtgleiche schenkt uns die Natur ihre ganze Fülle und eine Vielfalt von Farben und Früchten, bevor sie sich langsam ins Innere zurückzieht. Sie lädt uns dazu ein, die Früchte, die unter der Sonne des Sommers gereift sind, zu ernten. Sie zu fühlen, zu empfangen und zu genießen, dass sie uns auch in den kalten Tagen nähren und wärmen.
Das Leben ist zyklisch
Die Jahreszeiten sind ein Spiegel des Lebens: das Beginnen im Frühling, das Mittendrinsein im Sommer, das Vergehen im Herbst und das Vergangensein im Winter. Alles verläuft in Zyklen und wir sind zyklische Wesen. Der Zyklus einer Frau hat vier Phasen, die eine Entsprechung zu den Jahreszeiten haben, ebenso die Menopause. Unsere zyklische Natur ist seit Jahrtausenden tief in unseren Körpern verankert, auch wenn wir heute so leben, als hätten wir uns davon befreit.
Viele Menschen wünschen sich, dass es immer Sommer sei und klagen darüber, dass die Tage dunkler werden und jetzt der Herbst und dann auch noch der Winter kommt. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass wir am liebsten immer in der aktiven Mittendrin-Phase bleiben wollen, in der wir Macher sind, effektiv arbeiten und neue Projekte starten.
Doch der Körper weiß, wann eine neue Jahreszeit beginnt und stellt sich um. Er braucht im Herbst mehr Schlaf und eine andere Nahrung, hat das Bedürfnis, in die innere Welt einzutauchen, gleichsam wie die Natur. Die Melancholie des Herbstes überkommt uns vielleicht nur deswegen, weil wir weiter in der Energie des Sommers funktionieren wollen oder sollen, weil wir nicht mehr im Einklang mit den Zyklen und Rhythmen der Natur leben.
Wir brauchen Zeit für die Ernte, für das Empfangen und das Genießen. Für das Stillwerden, das Nichtstun und die Regeneration. Wir brauchen die Verbindung zu unseren inneren Zyklen, um gesund zu bleiben und froh zu sein. Die Natur spiegelt uns auf wunderbare Weise, was wir gerade brauchen.
Die dunkle Jahreshälfte zu schätzen wissen
Meine Liebe zur dunkleren Jahreshälfte hat begonnen, als ich einmal im Januar für einige Wochen an der englischen Küste gewandert bin. Es war kalt und stürmisch und ich traf kaum einen Menschen. Jeden Tag lief ich stundenlang bedingungslos durch das wilde Wetter hindurch, verbunden mit dem Wind, dem Wasser, der Erde und der Sonne, die sich aber selten zeigte. Es wurde früh dunkel und ich ließ mich in lange Abende und Nächte hinein fallen, die ich allein und schreibend verbrachte. Ich habe die Schönheit der Dunkelheit entdeckt und den Reichtum der Natur in ihrer winterlichen Rohheit. Den Genuss des Schweigens und des Rückzugs in meine innere Welt. Jeder, der schreibt oder etwas anderes Kreatives tut, hat sicher schon erlebt, dass sich ein magischer Raum und das Tor zur Mystik öffnet, wenn die Abende und Nächte lang und dunkel sind.
Die Liebe zum Herbst und Winter nähren
Seit meiner Reise nach England nähre ich meine Liebe zum Herbst und Winter mit langen Spaziergängen in der Natur. Und zwar bei Wind und Wetter und am besten jeden Tag. Ich gehe mit geöffneten Sinnen spazieren und beobachte und erforsche die Natur und ihrer Wandelbarkeit. Ich berühre, ich rieche, ich fühle. Dann geschieht es, dass ich von der Zärtlichkeit des Herbstes und der Nacktheit des Winters getragen und umhüllt werde.
Equinox: Feiere den Wendepunkt
Noch sind wir am Wendepunkt, im Gleichmaß von Licht und Dunkelheit, und das ist eine wunderbare Zeit, um dich auf die kürzeren Tage vorzubereiten, zu reflektieren und die Früchte des Sommers zu ernten. Die Tagundnachtgleiche und der Beginn des Herbstes ist auch eine gute Zeit für den sinnlichen Genuss. Das Genießen und Empfangen von dem, was da ist, als eine Praxis der Dankbarkeit, wie zum Beispiel sich selbst etwas Gutes zu gönnen, um bewusst die Ernte zu feiern, zum Beispiel in die Sauna zu gehen, einen Tanz zu machen oder Freunde zu einem festlichen Essen einzuladen.
Eine Mikro-Praxis für das Empfangen der Schönheit des Herbstes
Ich teile mir dir eine Mikro-Praxis für das Empfangen der Schönheit des Herbstes. Eine Mikro-Praxis ist eine simple Methode, die uns mit dem Augenblick und dem, was gerade da ist, verbindet. Sie kommt aus der Philosophie des Kaschmir Shivaismus und man praktiziert sie, wie die Tantrika es liebten, mitten im Geschehen des Alltags. Man stoppt für einen kurzen Moment, um mit allen Sinnen in den Augenblick einzutauchen und verweilt ein paar Sekunden dort. Dann geht man wieder zurück in sein automatisches Verhalten. Wenn man das 50-mal am Tag über einen Zeitraum von ein paar Wochen macht, verändert sich etwas. Der Körper erkennt, dass es angenehmer ist, präsent zu sein als abwesend.
Die Mikro-Praxis zum Equinox
Genau in diesem Augenblick, wo du gerade bist, es sei denn du sitzt im Auto und hast keine Zeit anzuhalten, gehe zum Fenster oder bleibe unter dem freien Himmel stehen. Lass deine Augen geöffnet und spüre deine Füße auf der Erde. Verbinde dich mit deiner Atmung. Lass deinen Atem immer tiefer fließen, bis in den Bauch, bis in deine Füße. Dann richte deinen Blick zum Himmel. Lass deinen Blick ganz weit und leicht und offen, schaue den Himmel an, als würdest du ein Gemälde betrachten. Welche Farben und Formen nimmst du wahr? Siehst du Wolken, die Sonne oder Sterne? Ist es hell oder dunkel? Bewegt sich etwas im Himmel? Erkennst Du den Herbst im Himmel? Woran erkennst du ihn? Lass deine ganze Aufmerksamkeit nur für diesen Augenblick in den Himmel fallen und atme tief. Dann komme wieder zurück zu dem, was du vorher gemacht hast.
Tagundnachtgleiche: Fragen zur Reflexion
Wenn du etwas mehr Zeit hast, nimm einen Stift und ein Papier und reflektiere deine Gedanken zu ein paar Fragen, die ich dir als Impuls gebe:
Was hast du im Frühling und Sommer gesät, was du jetzt ernten und empfangen darfst? Woran erfreust du dich? Welche Samen sind nicht gewachsen? Was brauchst du für deine Balance? |
Leg ein Naturmandala als Zeichen deiner Dankbarkeit
Wunderschön ist es, im Herbst ein Naturmandala zu machen, was man auch zusammen mit der ganzen Familie oder den Kindern machen kann. Begib dich dafür auf einen Spaziergang im Wald. Empfange mit allen Sinnen die leuchtenden Farben und Formen, die du siehst. Sammle alles, was du bei einem Spaziergang im Wald findest, Kastanien, bunte Blätter, Steine oder Stöcke. Nimm nur das mit, was auf der Erde liegt, zu dir kommt oder vom Baum abfällt. Sammle in Dankbarkeit für die Schönheit des Herbstes das, was dir die Natur auf deinem Weg offenbart. Nimm es mit nach Hause und gestalte auf deinem Altar, einem Tisch oder im Garten dein Naturmandala. Leg jedes Objekt mit Dankbarkeit für etwas Schönes in deinem Leben in dein Mandala, so als würdest du ein Bild malen, in dem am Ende alle Teile zu einem Ganzen werden. Würdige das fertige Bild in deinem Mandala und lass dich überraschen, was es dir zeigt. Jedes Mal, wenn du später dein Mandala betrachtest, verbinde dich mit den Dingen, für die du dankbar bist.
Die dunkle Jahreszeit mit allen Sinnen schätzen lernen
Wenn du die Qualitäten von Herbst und Winter noch tiefer erforschen willst, schenken dir meine Mini-Retreats und die Sinneswanderungen Impulse für den Alltag. Mehr Infos dazu findest Du auf meiner Website.
Ich wünsche dir einen wundervollen Start in den Herbst!
Julia