Das Wunder der fließenden Zeit erfahren, indem wir uns ihrem Fluss hingeben, anstatt sie einzuteilen, zu verplanen und zu verknappen – ein Plädoyer für das Eintauchen ins Jetzt und für das Öffnen von Räumen, in denen Uhren keine Rolle spielen.
Eins, zwei, drei im Sauseschritt, läuft die Zeit – wir laufen mit!
Wilhelm Busch
Zeitlos
Die Straße nach Chumunde ist voller Schlaglöcher, vorsichtig und angespannt umrunde und durchfahre ich sie. Plötzlich sehe ich sie, die unsichtbare Linie, die sich auftut und durch das Chaos führt. JETZT. Mein Köper entspannt sich, klassische Musik, glühender Himmel, Freunde, wilder Ritt um und durch die Löcher, Zickzack, das Wasser spritzt auf, höchste Konzentration – eine Sekunde? Eine Ewigkeit? Weite, Wildheit, Freude. Stehen bleiben. Lachen. Glück. Einfach so.
Zeit haben
Die Zeit rast, sie geht zu schnell vorbei. Wir sparen Zeit, wir planen, wir verlieren sie. Die Zeit drängt uns. Wir reiten auf einem Zeitpfeil, der uns durch das Leben jagt. Unsere Kinder sollen schon im Kindergarten funktionieren, sollen Sprachen lernen, sollen effizient sein. Wir Erwachsenen haben es eilig. Wir öffnen ein Zeitfenster und teilen mit der Familie kontrollierte Qualitätszeit. Verdichtete Zeit, die das einfache, absichtslose Miteinander-Sein im Fluss der Zeit ersetzen soll. Wir geizen mit der Zeit, in der wir es uns erlauben, lebendig zu sein. Wir haben sie nicht mehr, unsere Zeit. Wer hat sie denn? Wem geben wir unsere Zeit? Kollektiv zu akzeptieren, dass wir zu wenig Zeit haben, ist für mich eine moderne Geisteskrankheit. Wir lassen zu, dass unsere Zeit zu leben beschnitten wird: Zeit zu trauern, mit unseren Kindern zu sein, mit Freunden und Nachbarn zu plauschen, zu träumen, zusammen zu lachen, Feste zu feiern, zu kochen, zu malen, zu tanzen. Wir haben uns damit abgefunden, im Dauerstress effizient zu sein.
Eine große Werbetafel im Hauptbahnhof Zürich zeigt junge, schicke Menschen, die vergnügt im Stehen Fastfood vertilgen. „Zeit zu leben“, steht darunter. Was ist das für ein Leben, in dem gemeinsames Kochen und Essen als vergeudete Zeit gilt? Was sind das für aufregende Tätigkeiten, denen sie nach dem Reinstopfen der Nahrung nachgehen? Können sie dann wieder schnell und effizient […]