„Töte den Buddha im Außen“ empfahl der Erwachte seinen Schülern bereits vor 2500 Jahren. Auch wir sind immer wieder aufgefordert, auf unsere körperlichen und mentalen Grenzen und Bedürfnisse zu hören und sie an erster Stelle zu stellen. Ein Erfahrungsbericht.
Wer bin ich?
Vor einigen Wochen besuchte ich ein Retreat mit dem Titel „Wer bin ich?“. Bei diesem Retreat sitzt man 12 Mal am Tag in einer sogenannten Dyade. In einem gewissen Abstand, bei dem sich die Partner gegenübersitzen, wird über die Frage „Wer bin ich“ kontempliert. Danach teilt man im 5-Minuten-Rhythmus mit, was einem bewusst geworden ist über sich selbst. Eine Dyade dauert 40 Minuten. Danach gibt es Arbeits-, Geh- und Essmeditationen sowie Atemsitzungen, Körperübungen etc. Während wir unsere Selbst-Erkenntnisse in der Dyade teilen, schweigt unser Gegenüber und versucht, möglichst präsent zu bleiben. Ohne Wertung. Ohne Kommentar. Ich finde, es ist eine wunderbare Übung. Zum einen hilft es mir immer wieder sehr, mich tiefer mit der Frage „Wer bin ich?“ auseinanderzusetzen. Besonders dann, wenn das Retreat 6 Tage dauert, kann ich mich vertieft mit unterschiedlichen Aspekten meiner Selbst auseinandersetzen. Unmittelbare Erfahrungen unserer Selbst sind das Ziel. Damit ist gemeint, dass wir die Antworten nicht über den Verstand erhalten, sondern aus der Quelle unseres wahren Seins, dem kosmischen Urgrunds.
Wer gehorcht?!
Im Laufe des Retreats hörte ich von meinen Dyaden-Partnern immer wieder, wie sehr sie über sich bestimmen ließen. So klagte eine Teilnehmerin darüber, dass sie zwei Stunden lang während einer Atemsitzung auf dem Rücken lag, weil die Seminarleitung zum Beginn der Übung gesagt hatte: „Legt euch auf den Rücken.“ Anstatt sich auf die Seite oder den Bauch zu legen, ärgerte sich die Frau die ganze Atemsitzung darüber, dass sie auf dem Rücken liegen „musste“.
Ihre Erzählungen darüber und die damit einhergehende Wut machte mich betroffen. Was aber führt dazu, dass Menschen nicht in der Lage sind, nach einem solchen Befehl eigenständig und selbstbewusst zu entscheiden, sich über eine solche Anordnung hinwegzusetzen? Wie viel Leid braucht es, bis eine Yogaschülerin die Haltung verlässt, die sie eingenommen hat, nachdem ihr Lehrer sie aufgefordert hat, darin zu verweilen? Wann fangen wir an, die eigenen Bedürfnisse an oberste Stelle zu stellen? Wann fangen wir an, dem Meister in uns zu folgen? Jener Instanz, die weiß, warum wir hier auf der Erde sind? Jener Teil in uns, der am allerbesten weiß, was uns guttut und was uns schadet?!
Ich finde es sehr spannend, sich selbst zu fragen: „Welcher Teil in mir ist es, der gehorcht?“ Dabei ist es egal, ob wir unserem Yogalehrer gehorchen, der Achtsamkeits- oder Meditationslehrerin, einer Regierung, einem intimen Partner, einer Ernährungsempfehlung oder einem Trend, der uns sagt, dieses ist gut, jenes ist schlecht.
Erwachsen werden
Es heißt, dass der spirituelle Weg erst dann beginnt, wenn wir unsere Eltern hinter uns lassen. Damit sind nicht nur unsere biologischen Eltern gemeint, sondern auch unsere spirituellen Eltern. Denn auf die projizieren wir sehr viel Wünsche und Bedürfnisse. All das, was wir von unseren biologischen Eltern nicht bekommen haben: Liebe. Anerkennung. Bestätigung. Unterstützung. Akzeptanz.
Um dies zu bekommen, tun wir häufig alles, was der spirituelle Lehrer von uns fordert. Und sei es nur eine bestimmte Atemtechnik, Yogaübung oder innere Haltung. Wir legen uns im übertragenen Sinne auf den Rücken und bleiben dort liegen – auch wenn es uns nicht gefällt.
Die buddhistische Lehrerin Sylvia Wetzel hat einmal gesagt, dass man den eigenen Verstand nicht am Eingang des Meditationszentrums (oder Yogastudios) abgeben sollte. Wir sollten also immer in letzter Instanz selbst entscheiden, wann es Zeit ist, sich auf den Bauch zu legen, wenn uns die Rückenlage daran hindert, sich vollkommen einzulassen auf die Übung.
Selbstverantwortung übernehmen
Eine solche Entscheidung kann zu einer großen Hürde werden. Sie führt dazu, dass wir die Verantwortung für unser Wohlempfinden vollkommen selbst übernehmen müssen. Es bedeutet auch, dass wir in den eigenen Körper hineinspüren müssen. Denn nur dann sind wir in der Lage, wahrzunehmen, was uns selbst guttut oder was uns schadet.
Gelingt es uns, eine tiefe Beziehung zu unserem Körper aufzunehmen, wird sich auch der Geist immer wohler fühlen, sich dort niederzulassen. Dann werden wir automatisch mehr im Hier und Jetzt ankommen. Wir werden dann automatisch mehr im Zustand des Yoga ankommen.