Die indische Götterwelt spielt im traditionellen Yoga eine zentrale Rolle. Sie stehen für die unterschiedlichen Prinzipien des Lebens und werden von Göttern wie Kali, Ganesha, Shiva, Krishna – um nur einige zu nennen, repräsentiert. Sie stehen uns bei den Herausforderungen des Lebens mit ihren besonderen Qualitäten zur Seite. Und sie können uns auf unserer spirituellen Reise mehr unterstützen, als uns vermutlich bewusst ist. Wer sie sind und wobei sie dich unterstützen können, erfährst du in dieser neuen Serie – exklusiv auf unserem Blog.
Hinduismus: 330 Millionen Götter
Die Zahl der indischen Götter ist so umfassend, dass auch ich mich immer wieder schwertue, sie alle mit ihren Eigenschaften zu behalten. Anders ausgedrückt: Für meinen Verstand ist verwirrend, was für mein Herz unproblematisch ist: Mein Verstand sucht nach Struktur und Ordnung, aber mein Herz hingegen ist offen für das, was mit dem Verstand nicht erfasst werden kann. Trotzdem ist ein roter Faden hinsichtlich der Zuordnung der einzelnen Götter sehr hilfreich. In Indien verehrt man gerne einen Hauptgott. Und wenn es noch weitere Unterstützung braucht, werden andere Gottheiten gern zu Rate gezogen. Wenn jemand eine intensive Beziehung zu Shiva pflegt, dann ist es trotzdem möglich, zum Beispiel auch Ganesha anzubeten, wenn es darum geht, ein wichtiges Geschäft abzuschließen oder Parvati, um den Segen für eine Liebesbeziehung anzurufen.
Eine kosmische Einheit
Diese Offenheit und Vielfalt machen Indien für mich immer wieder so sympathisch und liebenswert. Die Vielfalt der Gottheiten mit ihren unterschiedlichen Qualitäten hilft uns, das Ziel der spirituellen Reise zu erfahren: die kosmische Einheit, die sich in Brahman ausdrückt. Brahman ist die Weltenseele, das Absolute, und manifestiert sich in Form der vielen Gottheiten auf vielfältige Weise. Aus ihm erwächst die gesamte Schöpfung. Ihm unterliegen alle Wesen. Und sie alle unterliegen dem ewigen Kreislauf aus Entstehen und Vergehen. Egal wie unterschiedlich sich die Götter präsentieren, hinter allen Namen und Formen kommt die Ur-Energie zum Ausdruck: das Eine ohne ein Zweites. Die einzige Wirklichkeit, die sich jeder Beschreibung entzieht. Die Chanogya-Upanishad 6.2.1 / 6.2.3 beschreibt Brahman folgendermaßen: „Am Anfang war nur das eine, alleinige Sein, ohne die Vielzahl der Dinge. Aus diesem einen ging das Universum hervor (…). Was immer existiert, existiert nur durch jenes eine Sein, das innerste Selbst aller Erscheinungen, die letzte Wahrheit, das höchste Selbst.“
All die göttlichen Manifestationen sind somit lediglich ein Ausdruck des Absoluten. Sie bauen dem Menschen eine Brücke, damit für sie die Erfahrung der Einheit möglich wird.
Werden und Vergehen
Die indischen Gottheiten repräsentieren bestimmte Qualitäten wie Freude, Weisheit, Stolz, Liebe oder Klarheit. Sie stehen aber auch für universelle Prinzipien. Somit ist eine indische Gottheit in ihrem Sein und in ihrer möglichen Wirkung auf uns viel komplexer, als es uns im ersten Moment erscheinen mag. Wenn wir uns aber vollkommen auf einen kosmischen Tanz mit ihnen einlassen und dabei auf rationale Erklärungen verzichten, können wir ihre Bedeutung für unser Leben unmittelbar erfahren.
Die Basics der indischen Philosophie
Ein tieferes Verständnis über die Gottheiten und ihr Wirken auf die gesamte Schöpfung wird noch einmal verständlicher, wenn wir uns verschiedene Aspekte der indischen Philosophie noch einmal genauer anschauen.
Samsara: Der Kreislauf der Wiedergeburten
Wir wandern von einer Geburt zur nächsten. So lange, bis wir den Kreislauf der Wiedergeburten durchbrechen. Samsara bedeutet „ewiges Wandern“ und beschreibt, was wir alle tun. Die meisten von uns unbewusst. Bei den Gottheiten spiegelt sich Samsara im Konzept der Trimurti, der drei Gottheiten – Brahma, dem Schöpfer, Vishnu, dem Erhalter und Shiva, dem Zerstörer – wider. Diese drei Götter stehen für die kosmischen Prinzipien der Schöpfung, Bewahrung und Zerstörung, bzw. Transformation.
Bildlich werden sie als drei Götter dargestellt, die nebeneinanderstehen oder aber wir finden sie als dreiköpfige Figur vor. Durch diese bildliche Darstellung der Figur mit drei Köpfen soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sie eine untrennbare Einheit bilden. Genauso wenig wie wir die Geburt losgelöst vom Leben oder vom Tod betrachten können, stellen diese Prinzipien einen universellen Prozess dar, bei dem jede Phase in die nächste übergeht.
Samsara wird von uns Menschen als ein äußerst schmerzvoller Kreislauf erfahren. Es fällt uns schwer anzuerkennen, dass Krankheit, Verlust und Tod zum Leben dazugehören. Aus diesem Grund besteht das spirituelle Ziel eines Menschen darin, nicht mehr wiedergeboren zu werden.
Karma: Ursache und Wirkung
Karma und Samsara hängen eng miteinander zusammen. Wie unsere Wiedergeburten aussehen und was uns dabei passiert, hängt maßgeblich davon ab, welche Erfahrungen wir in diesem Leben machen. Jede Handlung, jeder Gedanken, jede Absicht wirken sich auf unser zukünftiges Karma aus. Wenn wir dies einmal begreifen, verschwenden wir unsere kostbare Zeit hier auf der Erde nicht mehr mit unnötigen Ablenkungen, sondern wir achten darauf, dass wir unseren Geist klären und auf Güte, Mitgefühl, Klarheit und Aufrichtigkeit ausrichten. Bleiben wir jedoch im Dschungel der Gier, Unwissenheit und des Hasses gefangen, so wird das weitere leidvolle Erfahrungen und weitere Inkarnationen nach sich ziehen. Die Gottheiten können uns maßgeblich auf unserem Weg in die Freiheit unterstützen.
Moksha: Das Prinzip der Erlösung
In dem Moment, in dem wir die indischen Götter bewusst in unser Leben einbeziehen und ihre Qualitäten wie Mut, Weisheit, Klarheit oder Schönheit kultivieren, haben wir den Weg der Befreiung eingeschlagen. Moksha kennzeichnet das Prinzip der Erlösung. Wer den Weg der Befreiung geht, wird früher oder später zu der Erkenntnis kommen, dass unsere Seele, unser Atman niemals von Brahman, dem kosmischen Selbst, getrennt war. So heißt es im Rg-Veda, Aitrareya Upanishad 3.3: „Alles Existierende ist vom Bewusstsein gesteuert, vom Bewusstsein erschaffen. Einzig vom Bewusstsein ist die Welt gelenkt, das Bewusstsein ist ihr Urgrund. Das Bewusstsein und Brahman sind eins.“
Den Weg des Herzens
Wenn wir uns mit den Gottheiten und ihren stärkenden Prinzipien verbinden wollen, dann können wir dies tun, indem wir Bhakti-Yoga praktizieren. Bhakti-Yoga wird auch als der Yoga-Weg bezeichnet, bei dem wir einer Gottheit mit liebender Hingabe begegnen. Bhakti-Yoga können wir durch die Praxis bestimmter Rituale, Meditationen, Visualisierungen oder der Mantra-Praxis ausüben.
In den nächsten Folgen dieser Serie erfährst du, wie du Rituale für bestimmte Gottheiten durchführen kannst. Und dort wirst du auch nach und nach die verschiedenen Götter und ihre Eigenschaften kennenlernen.