Der natürliche Atemprozess.
Bevor wir geboren wurden, als Fötus im Mutterleib, mussten wir noch nicht selbst atmen. Unsere Mutter atmete für uns. Ihr Blut floss durch unsere Adern und versorgte uns mit Sauerstoff und Nährstoffen. Doch wir übten bereits für jenen Tag, da wir den Mutterleib einmal verlassen würden: Bereits als Fötus nämlich machten wir aktive Atembewegungen, hoben und senkten dabei das Zwerchfell und trainierten damit unseren wichtigsten Atemmuskel. Nur die Lungen waren noch nicht aufgefaltet.
Mit der Geburt dann sollte sich alles ändern: In jenem Moment, da die Plazenta sich von der Gebärmutterwand ablöste, zogen sich die Blutgefäße der Nabelschnur zusammen, und die Konzentration von Kohlendioxid im Blut begann anzusteigen: Wir machten zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Gefühl von „Ich brauche Luft! Ich will atmen!“ Dann machten wir unseren ersten Atemzug: Luft strömte in die Lungen. Diese weiteten sich, und ebenso die Blutgefäße, durch die nun unser mit Sauerstoff angereichertes Blut floss. Fortan atmeten wir selbst.
In diesem ersten Atemzug bereits deutet sich an, wie wichtig Kohlendioxid ist, und was es bewirkt: Ohne dieses Signalmolekül würden wir keinen einzigen Atemzug tun, weder den ersten noch irgendeinen anderen im Leben. Es ist nämlich das Kohlendioxid, das uns das Gefühl von „Ich will atmen!“ gibt; es löst den Atemantrieb aus, wie man sagt. Ohne Kohlendioxid würden wir schlicht nicht atmen. (Diesem überlebenswichtigen Gas, das noch andere vitale Funktionen im Atemprozess erfüllt, wollen wir uns noch in einem eigenen Artikel in dieser Serie zuwenden.)
Es muss sich unvorstellbar erlösend angefühlt haben, den ersten Atemzug zu tun, denn unmittelbar davor mussten wir eine ganze Zeit lang ohne Atem sein: Damit nämlich Luft in die Lunge einströmen konnte, musste zuvor noch die Flüssigkeit aus den Lungen herausgepresst werden, während die Konzentration von Kohlendioxid kontinuierlich weiter anstieg. Bevor der erste Atemzug dann endlich kommen konnte, muss das gewesen sein, als ob wir „ertrinken und plötzlich nach Luft schnappen“ würden, wie Sylvia Knapp, eine Forscherin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, einmal in einem Interview erklärte. Dabei muss ich an den berühmten Psychiater und Bewusstseinsforscher Stanislav Grof denken, der unsere Geburt als das traumatischste Erlebnis beschreibt, das uns je widerfahren ist. Nichts im Leben käme dem in seiner traumatischen Intensität gleich, so Grof. Aus eben […]