„Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.“
(Psalm 46,10)
Stille. Frieden. Kein Ich mehr da, das hofft und bangt und wünscht. Kein Ego mehr, das lärmt. Nur noch ein Verweilen, ein Ruhen in Gott – eine Inschrift, die man sonst nur auf Grabsteinen findet: „Hier ruht in Gott …“ Diesen Frieden aber, diese Stille schon bei lebendigem Leibe erfahren zu dürfen, das ist nicht nur ein Wunder – das ist Gnade.
Da hatte er Jahre, Jahrzehnte lang meditiert, stets in der Hoffnung auf Stille. Hatte sämtliche Ratschläge beherzigt, die er kannte, um die Gedanken zur Ruhe zu bringen, das so flatterhafte Mental zum Schweigen zu zwingen. Er hatte seine Gedanken wie Wolken vorüberziehen lassen; nur nicht drauf anspringen, bloß nicht dabei verharren! Aber statt eines unbekümmerten hellen Himmels zogen dunkle Gewitterwolken herauf, als wollten sie mit ihm ihre Kräfte messen und jetzt erst recht ihre Daseinsberechtigung demonstrieren. Er hatte versucht, die Widerspenstigen von außen auf sich zutreiben zu sehen, um ihnen so, gleich von Anfang an, den Eintritt zu sich zu verwehren. Aber die Gedanken prallten nicht an der imaginierten unsichtbaren Grenze ab, sondern überrannten sein Nein und drangen doch in ihn ein oder schienen sogar – diese Verräter – aus seinem eigenen Innern zu stammen! Auch einen See hatte er vor seinem inneren Auge heraufbeschworen mit einer Oberfläche, so glatt und unberührt wie ein Spiegel. Silberne Reiher darüber in elegantem Flug. Er hatte über heilige Worte kontempliert, murmelnd Mantras rezitiert – alles ohne bleibenden Erfolg.
Aber dann, eines Tages, war sie auf einmal da! Die Stille. Einfach so, inzwischen unerwartet; er hätte sie beinahe gar nicht bemerkt. Alle Gedanken verschwunden, als hätte es niemals welche gegeben, und mit den Gedanken auch alle sonstigen Empfindungen. Er selbst war ledig von allem und nicht mehr da: welche Befreiung! Und jetzt, plötzlich, war es mit der Stille so einfach! Denn die Stille ist die natürlichste Sache der Welt. Sobald das menschliche Ich sich verabschiedet, ist das wahre ICH da: das ICH BIN – und mit ihm die Stille. Weil sie immer schon da ist, nur eben verborgen, als des Menschen Innerstes, als seines Wesens Sein und Grund. […]