Mitgefühl mit dir selbst zu haben bedeutet, dich selbst anzunehmen. Mit allem Wenn und Aber. So wie du deine beste Freundin akzeptierst, die gerade eine schwere Zeit durchmacht. Die drei Säulen des Selbstmitgefühls können dir dabei helfen. Hier lernst du sie kennen. Sie wandeln deinen inneren Kritiker in deinen besten Freund um.
Mitgefühl vs. Selbstmitgefühl
Sich selbst die gleiche ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, die wir einem guten Freund schenken, dem es gerade so richtig schlecht geht, ist wohl die einfachste Art, Selbstmitgefühl zu beschreiben. Vielleicht hast du aber selbst schon erfahren, wie sehr dich eine gute Freundin unterstützt hat, als deine Welt Kopf stand. Wir sind da für die Menschen, die uns am Herzen liegen, wenn sie schwierige Zeiten durchmachen. Wie schön, dass wir diesbezüglich füreinander da sind.
Selbstmitgefühl: Mach dich selbst zu deinem innersten Verbündeten
Wie wäre es, wenn wir auch uns selbst mit der gleichen ungeteilten Aufmerksamkeit, Liebe und Toleranz begegnen würden, wenn uns etwas passiert, was in unseren Augen nicht hätte passieren dürfen? Anstatt uns selbst liebevoll zu begegnen, machen wir uns in solch schwierigen Situationen klein. Dabei kann es passieren, dass wir uns so kritisieren, wie wir selbst unsere ärgsten Feinde nicht anklagen würden. Kurzum: Wir sind gnadenlos uns selbst gegenüber. Heilsamer ist es, wenn wir uns mit Wertschätzung, Geduld und Achtsamkeit begegnen und zu unserem innersten Verbündeten.
Selbstmitgefühl: drei stärkende Säulen
Um dir selbst mit Empathie und Selbstliebe zu begegnen, braucht es der Psychologin Kristin Neff zufolge drei Kernelemente: Selbstfreundlichkeit, das Bewusstsein für eine gemeinsam menschliche Erfahrung und Achtsamkeit.
- Selbstfreundlichkeit: Anstatt uns in einer schwierigen Situation selbst in Grund und Boden zu kritisieren, legen wir gedanklich wohlwollend einen Arm um uns selbst. Wir gehen mit uns selbst so freundlich um, wie wir es mit anderen Menschen tun würden. Anstatt uns fertigzumachen, sprechen wir uns Mut zu. Wir akzeptieren uns, schenken uns selbst bedingungslose Akzeptanz und wertschätzen unsere Bemühungen. Wir stärken uns selbst den eigenen Rücken – und fallen uns nicht selbst in den Rücken.
- Gemeinsames Menschsein: Wir machen uns bewusst, dass kein Mensch perfekt ist. Wir erkennen an, dass jeder Fehler macht, schwierige Umstände durchlebt oder in Not geraten kann. Wir machen uns bewusst, dass buddhistisch gesprochen: „Leiden zum Leben gehört. Gewinn und Verlust, Lob und Tadel, Hoch und Tief.“ Dass alles Teil der menschlichen Erfahrung ist. Jeder von uns macht sie früher oder später. Auch wenn es offensichtlich ist: Auch andere Menschen haben ihre Herausforderungen, jedoch scheinen wir es besonders in solchen Phasen zu übersehen, in denen wir besonders gefordert werden. In solchen Zeiten fühlen wir uns nicht nur als Versager, sondern glauben, dass wir die Einzigen sind, die ihr Ziel nicht erreichen. Aber dabei sind wir nicht allein. Viele Menschen machen genau die gleiche Erfahrung wie wir selbst. Die Umstände, mit denen jeder Einzelne zu kämpfen hat, können sich unterscheiden. Auch der Stärkegrad des Schmerzes, durch den wir gehen, mag variieren, aber die grundlegende Erfahrung des menschlichen Leids macht vor keinem Halt.
- Achtsamkeit: Achtsam zu sein bedeutet, dass der Erfahrung, die wir machen, offen begegnen. Und das, ohne uns dafür zu verurteilen oder uns dagegen zu wehren. Wir sind von Moment zu Moment mit dem, was ist. Wir begegnen der Situation mit einem offenen Geist und einem weiten Herzen. Wenn wir anerkennen, dass wir eine leidvolle Erfahrung machen, und uns dem Schmerz, der damit einhergeht, zuwenden, können wir ihm mit Freundlichkeit und Wohlwollen begegnen. Die leidvolle Erfahrung, die wir erleben, ist meist schon schlimm genug. Was das Ganze aber so schwierig und häufig langwierig macht, ist der Schmerz, den wir uns selbst hinzufügen durch die Art und Weise, wie wir uns verurteilen für das, was uns widerfährt. Begegnen wir uns hingegen offen und mitfühlend, werden wir auch der Situation offen und wahrhaftig begegnen können. Selbst dann, wenn es unangenehm und schmerzvoll ist. Die Achtsamkeit hilft uns, „STOPP!“ zu sagen, wenn wir die Tendenz haben, uns in Gedanken fertigzumachen oder von schwierigen Gefühlen absorbiert zu werden.
Wir lernen, innerlich einen Schritt zurückzutreten, um uns nicht länger mit den Gefühlen zu identifizieren oder uns in einer Ablehnungsreaktion zu verstricken. Wenn uns dies gelingt, sind wir in der Lage, das Leid anzuerkennen, ohne uns als Opfer zu fühlen. |
Diese drei Kernaspekte werden auch gerne als liebevolle, verbundene Präsenz beschrieben.
Selbstmitgefühl ohne Schuld und Scham
Wenn es uns gelingt, die drei Kernkompetenzen des Selbstmitgefühls anzuwenden, können wir erkennen, dass der innere Kritiker, der sich so schwertut, uns liebevoll zu begegnen, uns besonders gerne verantwortlich für Fehler oder Verluste macht. Er vermittelt uns das Gefühl, schuldig zu sein. Und häufig kommt es noch dicker: Er klagt uns nicht nur für ein einmaliges Versagen an, sondern vermittelt uns das Gefühl, dass wir, wenn wir uns in einer Krise befinden, selbst das größte Problem sind. BBegegnen wir uns jedoch mit dieser liebevollen, verbundenen Präsenz, werden wir erkennen, dass wir uns weder schuldig fühlen müssen, noch dass wir uns für unser Sein zu schämen brauchen.
Meditation: Säe Samen des Selbstmitgefühls
Die folgende Meditation kann dich darin unterstützen, den Samen des Selbstmitgefühls dein Herz zu pflanzen.
MeditationLass dich nieder, schließ deine Augen oder lass sie leicht geöffnet. Atme einige Male ein und aus, um deinen Körper bewusst wahrzunehmen. Manchmal ist es unterstützend, eine Hand auf den Herzraum zu legen. Dadurch können wir leichter eine Beziehung zu uns selbst herstellen. Durch diese wohltuende Berührung kannst du dich daran erinnern, dir liebevoll zu begegnen und dich für eine Erfahrung zu öffnen, in der du dich geschämt hast oder dich schuldig gefühlt hast. Wenn eine Situation auftaucht, für die du dich schuldig fühlst oder schämst, versuche sie wohlwollend, achtsam und mit offenem Herzen zu betrachten. Trete dafür innerlich einen Schritt zurück. Das macht es leichter, sich nicht in den Gefühlen zu verlieren. Öffne dich mit der Einatmung. Lass alle Gefühle zu, die sich zeigen wollen, ohne dich in der Geschichte zu verfangen. Mit der Ausatmung lass Schuld und Scham los. Gib sie ab an den großen Raum vor dir. Nimm wahr, wo du ihn am deutlichsten spüren kannst, wenn das Gefühl von Schuld oder Scham auftaucht, ohne dich damit zu identifizieren. Mach dir bewusst, dass du in der Situation scheinbar nicht anders handeln konntest, als du es getan hast. Möglicherweise hat dir damals der Mut, die Weisheit, das Bewusstsein dafür gefehlt, anders zu handeln. Auch das ist zutiefst menschlich. Und so wie du haben viele andere Menschen auch gehandelt. Wichtig ist, dass du dir dessen bewusst wirst und es beim nächsten Mal anders machst. Bewusster handelst. Achtsamer mit dir und anderen umgehst. Atme so für eine Weile. Richte deine Aufmerksamkeit dann auf das Formulieren eines Satzes, der dich darin unterstützt, Schuld und Scham noch mehr loszulassen. Vielleicht hilft dir ein Satz wie: „Ich habe in der Situation nicht anders handeln können.“ oder „Ich hatte nicht den Mut zu mir zu stehen.“ Wiederhole diesen Satz innerlich einige Male, während du einatmest. Ausatmend kannst du sagen: „Ich vergebe mir dafür und lasse Schuld- und Schamgefühle los.“ Möglicherweise fällt dir eine andere Formulierung ein. Vielleicht reicht auch ein Wort wie „Verzeihung.“ Wenn du einen Satz oder ein Wort gefunden hast, was für dich stimmig ist, erlaube diesem, in jeder Zelle deines Körpers anzukommen und dort zu schwingen. Mach dir bewusst, dass es möglicherweise nicht mit einem Mal geht, Schuld und Scham loszulassen. Es geht auch nicht darum, etwas leisten zu müssen. Wiederhole die Sätze so oft, wie es jetzt in diesem Moment passt. Beende die Übung dann auf deine Weise. Vielleicht mit ein paar tiefen Atemzügen. Einer Dehnung. Einer inneren Verbeugung. |