Selbsternannte spirituelle Lehrer und Meister gibt es viele. Doch was macht einen authentischen Meister aus? Wenn es nicht die Anzahl der Fortbildungsreferenzen auf seiner Website ist, woran erkennt man ihn dann?
Vor einigen Jahren nahm ich in New Mexiko an einem schamanischen Ritual teil, bei dem mit Heilpflanzen gearbeitet wurde. Nach einer kurzen Einführungsrunde eröffnete der Zeromonieleiter das Ritual damit, dass er den Geist der Heilpflanze einlud, in unsere Mitte zu kommen und uns auf unserem Heilungsweg zu unterstützen. Dies tat er mit wenigen Sätzen, aber mit viel Achtung vor ihrer Kraft. Er war sehr ruhig dabei und wirkte auch demütig bei dem, was er tat. Auf mich strahlte er in diesem Moment eine tiefe Verbundenheit mit der unsichtbaren Welt aus. Bereits nach kurzer Zeit änderte sich in meiner Wahrnehmung die Energie im Raum, und über die folgenden Stunden fühlte ich mich von einer sehr heilsamen Kraft getragen. In den frühen Morgenstunden, als wir für die Beendigung des Rituals wieder alle in den Kreis zurückkamen, bedankte sich der Leiter noch einmal voller Achtung, Wertschätzung und Liebe für die Unterstützung beim Geist der Pflanze. Ich war berührt und fühlte mich erfüllt von der sorgsamen Führung des Mannes und seinem Umgang mit dem, was für unser Auge nicht sichtbar ist. Dass ich an diesem Ritual teilnehmen konnte, war für mich ein großes Geschenk. Es hatte sich übrigens „zufällig“ durch einen Bekannten ergeben, den ich wenige Tage zuvor getroffen hatte. Denn Paul, so hieß der Zeromonieleiter, besaß keine Website, sondern wurde nur persönlich empfohlen.
Am nächsten Tag nahm ich an einem anderen Ritual teil. Dieses wurde von Simon geleitet, der in Kalifornien lebt. Simon arbeitet in der Tradition von Felicitas Goodmann. Deren Arbeit hatte ich bereits vor gut 15 Jahren durch Nana Nauwald in Norddeutschland kennengelernt. Nana begeisterte mich nachhaltig, weil auch sie so sorgsam und fein in ihrer Arbeit ist. Felicitas Goodmann hat erforscht, dass sich ein Bewusstseinszustand verändert, wenn man eine bestimmte Körperhaltung einnimmt und dazu eine Trommel mit 210 bpm anschlägt. Auf diese Art ist es möglich, in eine Trance einzutreten, in der man Antworten auf Fragen erhält oder Visionen erfährt. Goodman hatte 1979 in der Nähe von Santa Fe das „Cuyamungue Institut“ gegründet, um dort rituelle Körperhaltungen und ekstatische Trance zu erforschen. Auf Simon war ich durch seine Website aufmerksam geworden, auf der er die Arbeit nach Goodmann anbietet und eine lange Liste von Fortbildungen aufführt. Dadurch hatte er mir den Eindruck vermittelt, über viel Erfahrung und tiefes Wissen über die Trance-Arbeit zu verfügen.
Für unser Ritual hatte Simon einen großen Altar aufgebaut, auf dem unzählige Steine, Räucherstoffe, Bilder, Rasseln etc. lagen. Während der Einführungsrunde redete Simon lange und viel. Danach räucherte er uns mit viel Gestik und noch mehr Qualm ein. Anschließend rief er mit seiner Trommel die Geister zur Hilfe. Dies tat er sehr laut und sehr ausführlich. Auf mich wirkte es, als würde er die Geister eher vertreiben, als sie zu rufen. Als wir in die rituelle Körperhaltung gingen und Simon dazu auf die Trommel einhämmerte, hatte ich zwischendurch das Gefühl, als würde er mit dem Klöppel auf meinen Kopf schlagen, so unangenehm fühlte es sich an, was er tat. Für mich wirkte seine Vorgehensweise sehr befremdlich, und ich blieb nur aus reiner Höflichkeit, so dass ich froh war, als das Ritual endlich zu Ende war. Am Abend hatte ich fürchterliches Kopfweh. Als ich am nächsten Tag zufällig zwei Kursteilnehmer in der Stadt traf, berichteten auch sie mir, dass sie abends unter starkem Kopfweh gelitten hatten.
Der feine Unterschied
Anfangs ärgerte ich mich darüber, dass ich auf die Selbstdarstellung von Simon auf seiner Website reingefallen war. Aber im Rückblick war für mich gerade die zeitliche Nähe dieser beiden so unterschiedlichen Erfahrungen sehr kostbar. Nie zuvor war mir der Unterschied zwischen einem Meister und einem Macher so bewusst geworden, wie an jenem Wochenende. Wurde ich doch auf sehr deutliche Weise Zeuge, was für einen großen Unterschied es macht, wenn ein Meister den Geist dessen erfahren hat, was er lehrt und womit er arbeitet, oder wenn ein Macher sich so in den Vordergrund stellt, dass für die eigentlich angerufenen Helfer gar kein Raum mehr ist. Dies gilt nicht nur für den Schamanismus, sondern auch für andere Disziplinen – auch für Yoga. Ein wahrer Meister hat in meinen Augen ein Asana in dessen Essenz durchdrungen. Er hat es unmittelbar erfahren und ist erfüllt von dessen Geist – und kann diesen transportieren, ihn rufen oder kann als Türöffner zur Verfügung stehen; zum Wohl der anderen, zum Wohl derer, die Heilung oder Transformation suchen. Ein Meister tritt in den Dialog mit dem Geist einer Pflanze oder einer Methode oder des ganzen Seins.
Natürlich gibt es bekannte und unbekannte Meister. Vor Kurzem traf ich eine unbekannte Frau, die keiner spirituellen Tradition angehört, aber in meinen Augen trotzdem eine Meisterin ist. Ich besuchte sie zu Hause, und als ich auf ihren Balkon trat, war ich unmittelbar zutiefst berührt von der Schönheit ihrer Balkonpflanzen. Obwohl ihr Balkon klein ist, habe ich nie zuvor einen solch schönen Balkon gesehen. Die Blumen und Küchenkräuter strahlten mich förmlich an. Es lag aber nicht an der Auswahl oder Exotik der Pflanzen, auch nicht an der Menge. Jede strahlte auf mich eine tiefe Zufriedenheit aus. Als ich dies aussprach, erzählte mir die Frau, dass jede Pflanze ihr erklären würde, wo sie gerne stehen würde und wie viel Platz sie benötigen würde, um sich dort wohlzufühlen. Gerade das macht für mich persönlich Meisterschaft aus: Sie hatte sich mit dem Geist der Pflanzen verbinden können und zugehört, ohne ihre eigenen Ideen hinsichtlich der Balkonbepflanzung in den Vordergrund zu stellen oder den Ruf der Pflanzen als reines Hirngespinst abzutun. Stattdessen war und ist sie im steten Dialog mit ihnen.
Auf der Suche nach dem Meister
Aber woran genau erkenne ich im Vorfeld einen Meister, um mir Erfahrungen wie mit Simon zu ersparen? Nie zuvor hat es eine so große Vielfalt an selbsternannten Meistern gegeben, die verheißen, den Menschen in seiner psychischen und spirituellen Entwicklung zu fördern. Nie zuvor fand man im psycho-spirituellen Supermarkt eine so verwirrende Menge an Angeboten von Selbstfindungsseminaren und Lehrerausbildungen. Immer wieder treffe ich auf Menschen, die sich zwar nicht als Meister, dafür aber als spirituelle Lehrer bezeichnen. Für Suchende, die von einem echten Hunger nach Selbsterkenntnis und Wahrheit erfüllt sind, ist es oft gar nicht so leicht, unter ihnen allen einen wahren Meister oder einen auf dem spirituellen Weg tatsächlich schon gereiften Lehrer zu finden. Eine gut aufbereitete Webseite oder eine bestimmte Anzahl an Aus- und Fortbildungen können den Eindruck erwecken, dass jemand ein Meister oder ein erfahrener Lehrer ist, obwohl er vielleicht in seinem spirituellen Wachstum noch im Status des Lehrlings verweilt.
Ken Wilber hat in seinem Buch „Meister, Gurus, Menschenfänger“ geschrieben, dass es heißt, man täte im Bereich des Geschäftsleben gut daran, möglichst wenige Risiken einzugehen, im Privatleben und intimen Beziehungen hingegen müsse man etwas risikobereiter sein und im spirituellen Bereich habe man keine andere Wahl, als alles aufs Spiel zu setzen. Unterscheidungsvermögen sei deshalb gerade im Bereich des Spirituellen von überragender Bedeutung. Wilber schrieb sein Buch im Jahre 1998, und als ich kürzlich auf die folgende Geschichte gestoßen bin, wurde mir deutlich, dass es nicht nur ein Problem unserer Zeit ist, den besten Meister zu finden, sondern auch zu ganz anderen Zeiten schon eine Rolle spielte: „Im alten Kyoto lebten vor langer Zeit drei große Zenlehrer, die im Wettstreit miteinander lagen, wer von ihnen der größte Meister sei. So kam es, dass sie sich eines Tages vor den Toren des Steingartens, einem der bekanntesten Zengärten Japans, trafen, um herauszufinden, wem der Titel des ‚größten Meisters’ zustehe. Alle drei kamen in ihren schönsten Roben, gefolgt jeweils von einer großen Schar von Schülern und Anhängern. Als sich alle versammelt hatten, tauchten drei Kraniche auf. Der jüngste Zenmeister nahm seinen Bogen, zog einen Pfeil und konzentrierte sich so stark, dass alle Anwesenden den Atem anhielten. Gezielt schnellte der Pfeil in die Luft und traf einen Kranich, der tot vom Himmel fiel. Der zweitälteste Zenmeister legte seinen Bogen an, spannte ihn ohne Pfeil und einen kurzen Moment später stürzte der zweite Kranich tot zu Boden. Ein Raunen der Bewunderung ging durch die Menge. Als der älteste Zenmeister an der Reihe war, richtete er nur seinen Blick auf den Kranich am Himmel und dieser fiel augenblicklich tot herab. Dieses Mal war es Ehrfurcht, die sich in der Menge bemerkbar machte. Alle waren beeindruckt von dem alten Zenmeister. Bislang hatte keiner gewusst, dass er so große magische Kräfte besaß. Ein paar Minuten später tauchte ein Mann auf. Er war schlicht gekleidet, und sein Alter war schwer auszumachen. Wortlos ging er zu den drei Kranichen, die tot nebeneinander am Wegrand lagen. Er war so voller Mitgefühl für die Tiere, die aus reiner Machtgier der drei Meister ihr Leben lassen mussten, dass er sie augenblicklich wieder zum Leben erweckte. Danach zog er seines Weges und wurde nie wieder in dieser Region gesehen.“
Sollten wir also selbst Meister sein, sollten wir darauf achten, nicht zu Machern zu werden, wenn es darum geht, wer der größte Meister in einem Fach ist. Und wenn wir als Lehrlinge auf der Suche nach einem Meister oder sogar nach dem größten Meister einer Disziplin sind, bleibt uns keine andere Wahl, als bei der Suche Erfahrungen zu sammeln und darauf zu hoffen, dass der für uns passende Meister dann auftaucht, wenn wir dazu bereit sind.
Zum Weiterlesen:
Doris Iding: Vertraue dem Buddha in Dir, Nymphenburger Verlag 2015