Ich habe keinen Moment daran geglaubt,
aber ich habe den Wein meiner eigenen Stimme runtergeschüttet,
und dann mit der Dunkelheit in mir gerungen,
ich habe sie bezwungen, habe mich an sie gekrallt
und sie in Fetzen gerissen.
(Gedicht 48)
Ich, Lalla, die Verwirklichte – so stellt sich Lal Ded, die bisher faszinierendste Frau auf meiner Spurensuche, vor. Durch ihre Verse lebt sie weiter: lebendig, präsent, kühn, kompromisslos dem Weg ihrer Wahrheit ergeben. Gegen die Konventionen der mittelalterlichen Gesellschaft ließ sie alles Äußere hinter sich und wendete sich trotzdem den Menschen zu. Ihre Worte sind bis heute in Redensarten und Sprichwörtern im Alltag der Menschen in Kashmir lebendig. Leider gibt es fast nichts von ihr in deutscher Übersetzung. Lal Ded war spirituell Suchende, Dichterin, Mystikerin, Rebellin – eine Frau, unerschütterlich in ihrer Entschlossenheit, das zu verkörpern, was sie als Wahrheit erkannte, in der direkten Erfahrung der ultimativen Realität.
Wer war Lal Ded?
Sie hatte viele Namen: Lal Ded – Großmutter – wurde sie liebevoll von den Menschen auf der Straße genannt; Lalla – die Verwirklichte – nannte sie sich selbst. Hindus nannten sie Lalleshvari oder Lalla Yogini, Muslime nannten sie Lal´arifa. Sie ließ sich von keiner religiösen Gruppe vereinnahmen, auch wenn einige das später versuchten. Lalla bewegte sich jenseits enger Schubladen von Religion und Gesellschaft. Bekannt ist, dass sie im 14. Jahrhundert in Kashmir lebte. Weder der genaue Ort noch das Geburtsdatum sind gesichert. Sie lebte wahrscheinlich zwischen 1301 und 1392. Alles, was wir über sie wissen, wurde zunächst mündlich weitergegeben. Sie soll in einer Brahmanen-Familie geboren und aufgewachsen sein. Mit zwölf Jahren wurde sie dem damaligen Brauch entsprechend verheiratet und musste in das Haus der Familie des Ehemannes ziehen. Dort herrschte die Schwiegermutter, die Lalla das Leben schwermachte. Sie verweigerte ihr sogar das Essen. Damit es nicht auffiel, legte sie Steine auf Lallas Teller und bedeckte sie mit ein wenig Reis. Lalla soll sich nie über ihr Los beschwert haben. Als sie Mitte zwanzig war, verließ sie die Familie und begann ihr Leben als Suchende. Für eine Frau im Kashmir des 14. Jahrhunderts ein unvorstellbares Abenteuer. Sie verstieß damit gegen sämtliche gesellschaftliche Konventionen und gab jede Sicherheit auf.
Politische Verhältnisse
Damals wie heute ist Kaschmir ein Gebiet, das durch Kriege und instabile […]