Auch die christliche Tradition kennt die Meditation. Im Gebet und in der Kontemplation können wir zu einer heilsamen Stille und zur tiefen Verbundenheit mit dem Göttlichen finden.
Wir wissen viel über Yoga, aber kaum etwas über die Spiritualität unserer eigenen Kultur. Die deutschen Mystiker scheinen weiter entfernt als die Yogis, deren Lehren wir uns hingeben. Dabei ist die christliche Mystik reich an Spiritualität und voller Poesie. Die heilige Schrift und viele andere Texte christlicher Mystiker sind voller Gleichnisse und Geschichten, die sich lesen wie Märchen und das Herz direkt berühren.
Kein Tag ohne Gebet
„Wenn du in die Kirche gehst, was machst du da eigentlich?“, fragte jemand einen Christen. „Ich schaue Gott an. Er schaut mich an.“ Das Gebet ist im Christentum eine Form der Meditation und Kontemplation. Es ist immer etwas Schauendes, Weiterführendes, zu etwas anderem Hinwachsendes. Christus hat in seinem Leben viel gebetet, meditiert und kontempliert. Das Gebet hatte für ihn eine Ausrichtung, er nannte sie seinen Vater. „Ein Gebet ist ein sich Ausstrecken nach etwas; ein sich Äußern auf die Sehnsucht hin“, sagt Bruder Jakobus. Als geistlicher Leiter des Gästehauses im Benediktinerkloster Huysburg gibt er sich mehrmals täglich dem Gebet hin. Das Gebet ist mal persönlich, mal gemeinschaftlich, mal ein Lobpreis, mal sind es gregorianische Gesänge. Die Form wechselt, doch es gibt keinen Tag ohne Gebet.
Am Anfang des Gebetes steht die Hinwendung zu Gott, eine Bitte oder Danksagung. „Je tiefer das Gebet wird, umso kürzer werden die Worte“, weiß Fernand Braun, spiritueller Leiter des Benediktushofes Holzkirchen in der Tradition von Willigis Jäger. „Vom Wort aus dringen wir tiefer in das Schweigen. Wir brauchen irgendwann keine Worte mehr, sondern nur das Schweigen ein.“ Wie ein Tropfen, der ins Meer fällt – so löst sich die Polarität auf, die Trennung zwischen Ich und Gott. Es gibt dann keinen Gott mehr und keinen Menschen, sondern nur noch das Einssein. Dies nennt man eine echte mystische Erfahrung – im Unterschied zu einer transpersonalen Erfahrung, in der es um Liebe zu einem Gegenüber geht. Die Mystikerin Teresa von Avila beschreibt dies in ihrer Schrift „Die innere Burg“, die von den sieben inneren Kammern handelt. So gibt es in der sechsten Kammer zwei Kerzen, die so dicht zusammenstehen, […]