Mitgefühl legt sich wie ein wohltuender Balsam über unser Leid. Doch wie findet man Zugang dazu, und was hält uns manchmal davon ab, Mitgefühl mit uns selbst und mit anderen zu praktizieren?
Ich nahm einmal an einer Klasse teil, in welcher der Lehrer über Gewaltlosigkeit sprach, die ja ein geläufiges Thema im Yoga ist, uns aber gleichzeitig aufforderte, unsere Schmerzgrenze im Körper zu ignorieren und jeweils darüber hinaus zu dehnen.
Obwohl es sich eigentlich falsch anfühlte, folgte ich den Anweisungen – mit der Konsequenz, dass ich mich dabei oft verletzte und die Folgen aus diesem Fehlverhalten zum Teil bis heute trage. Als ich damals feststellte, dass derselbe Yogalehrer vor seiner eigenen Yogapraxis oft ein paar Schmerztabletten schluckte, kam mir das zwar ein wenig seltsam vor, hielt mich aber immer noch nicht davon ab, weitere Verletzungen zu erfahren, indem ich hochgesteckte Ziele ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt habe.
Ein weiteres Erlebnis dieser Art hatte ich im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Friedensdemonstration in San Francisco. Ich beobachtete, wie ein Mann, der ein Schild mit der Aufschrift „Peace“ trug, dieses einem anderen Mann über den Kopf schlug, als die Menge unruhig wurde.
Diesen Momenten ist gemeinsam, dass sie Symptome des gleichen Problems sind. Oft tun wir uns schwer damit, unsere wirklichen Werte, Gefühle und Beweggründe in die Realität umzusetzen. Genauso verhält es sich mit dem Thema Mitgefühl. Indem wir denken, dass Mitgefühl eine Schwäche ausdrückt, und uns jedoch weder schwach fühlen noch als schwach angesehen werden wollen, trauen wir uns nicht, diesen inneren Wert nach außen zu tragen.
Die Praxis des Mitgefühls im Buddhismus
Im Buddhismus wird Mitgefühl (Karuna) als zweiter Flügel der traditionellen Vipassana-Praxis (Achtsamkeitspraxis) angesehen. So wie ein Vogel beide Flügel benötigt, um fliegen zu können, brauchen wir Achtsamkeit und Mitgefühl, um unseren Weg in die Freiheit zu finden. Zudem ist Karuna Teil der Brahmaviharas, die als „göttliche Wohnstätten“ übersetzt werden können. Sie bestehen aus Liebe, Mitgefühl, Freude und Frieden und werden strategisch kultiviert, um einen gesunden Geist zu entwickeln.
Früher kamen mir die Buddhisten eher deprimierend vor, weil sie sich vor allem mit dem Leiden beschäftigen. Ich hatte den Eindruck, dass es sich hier um einen Haufen negativ eingestellter Leute […]