In der Yogawelt und auf den sozialen Netzwerken sieht man vor allem eines: sportliche Menschen im Yoga-Outfit in den verrücktesten Yogahaltungen. Feinste Ästhetik und inszenierte Perfektion – vermittelt dies nicht das Bild, dass der Yoga nur einer gewissen Bevölkerungssparte vorenthalten ist? Denn wer sich nicht angesprochen fühlt, fühlt sich auch nicht willkommen.
Wir sprachen mit der Yogalehrerin und Heilpraktikerin Birgit Feliz Carrasco darüber, wie wir eine offenere Willkommenskultur in der Yogaszene leben können. Sie kam Ende der 90er Jahre zum Yoga und hat sich im Laufe ihrer eigenen Yogareise auf Yoga X-Large spezialisiert. Wie kann Yoga in einem gewichtigeren Körper aussehen, was gibt es zu beachten und wie können wir eine offenere Willkommenskultur in der Yogaszene leben?
Birgit Feliz Carrasco spricht von „Yoga X-Large“ und „Yoga für Dicke“. Für sie sind die Begriffe „dick“ und „dünn“ sachliche Bezeichnungen im Gegensatz zu „dürr“ und „fett“, die despektierlich gemeint ist. „Nenn es doch beim Namen, dann weiß jeder, worum es geht“ – so Birgit. |
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Birgit, du hast dich auf Yoga X-Large spezialisiert. Wie kam es dazu?
Birgit Feliz Carrasco: Durch die Notwendigkeit. Denn als ich damals noch in München lebte, kamen immer mehr Frauen auf mich zu, da sie sich unsicher waren, ob Yoga was für ihre Figur wäre. Auch ich habe über die Jahrzehnte zugenommen. Übrigens hat ein indischer Yogameister mal zu mir gesagt, als ich in Indien unterwegs war: „How did you get fat by doing yoga?“ Er konnte es gar nicht verstehen – auch ich habe es anfangs nicht verstanden, aber offensichtlich brauchte mein Körper es so?!
Du hast also auf deiner eigenen Yogareise zugenommen. Wie hat der Yoga dich auf diesem Prozess begleiten bzw. halten können?
Da ich schon lange Yoga gemacht habe, wusste ich, dass man auch mit einem größeren, schwereren Körper Yoga machen kann.
Ich würde sagen, dass sich in der Zeit mein Körpergespür noch mehr verstärkt hat. Natürlich habe ich probiert, mit Ayurveda und anderen Methoden abzunehmen, bis ich gemerkt habe, dass mein Körper es offensichtlich gar nicht will, weil ich hinterher immer wieder zugenommen habe. In der Zeit bin ich auch sehr spirituell geworden, ich habe viel meditiert und bin mit der geistigen Welt in die Zwiesprache getreten. Es kristallisierte sich dann immer mehr heraus, dass es offensichtlich meine Mission ist, „Yoga für Dicke“ in die Welt zu bringen.
Es hat auch sicherlich mit meiner Authentizität zu tun: Egal, wie ich war oder wie ich jetzt bin, ich bin in meiner Mitte geblieben und habe, denke ich, ein ganz gutes Selbstbewusstsein – im Gegensatz zu vielen anderen Dicken. Manche Dicke sind sehr unglücklich mit ihrer Figur – es ist natürlich schon so, dass Dicke nach wie vor stigmatisiert werden. Aber warum dürfen oder können kleinere Spezial-Zielgruppen wie Gehörlose, Rollstuhlfahrer, etc. oder aber Dicke kein Yoga machen? Oft scheitert es schon daran, weil sie nicht den richtigen Lehrer finden.
Authentizität ist die essenzielle Zutat für den eigenen Yogaunterricht: Es geht darum, aus dem eigenen Erfahrungsschatz heraus zu unterrichten. Deshalb frage ich mich: Inwieweit kann eine normalgewichtige Person auf authentische Art und Weise auch molligere Yogis unterrichten?
Als Dünne Dicke zu unterrichten, kommt ehrlich gesagt nicht so authentisch rüber. Denn es gibt mehrere Aspekte, mit denen sich fülligere Yogis während der Praxis konfrontiert sehen, worüber sich dünne Yogalehrernde never-ever Gedanken machen würden! Was ich zum Beispiel immer wieder gefragt werde, ist, wie man überhaupt aus dem Stand nach unten auf die Matte kommen und dann von der Matte wieder nach oben in den Stand kommen kann.
Mir ist es deshalb wichtig, dass man bereits in der ersten Stunde lernt, dass man rauf- und runterkommen kann. Außerdem merken auch viele Frauen mit Gewicht, dass sie viel flexibler sind, als sie eigentlich dachten. Und es ist so schön zu sehen, wie die Teilnehmenden dann durch den Yoga mehr Selbstbewusstsein und Selbstkenntnis bekommen! Sie erzählen dann freudig davon, dass ihre Schuhe ohne Hilfsmittel wieder zubinden können oder nicht mehr so viel Angst davor haben, im Winter hinzufallen, weil sie nach und nach eine andere Bewegungssicherheit haben.
Wie sieht es denn auf der physischen Ebene aus? Ich nehme an, dass es wichtig ist, sehr variantenreich und mit Hilfsmitteln zu unterrichten?
Das auf alle Fälle. Ich bin jetzt nicht jemand, die ganz viele Hilfsmittel einsetzt, aber ich bezeichne auch schon mal eine Wand als Hilfsmittel. Es ist vor allem bei Balance-Übungen wie dem Baum hilfreich, sich an einer Wand abzustützen. Gerade dann, wenn man nur auf einem Bein steht, sollte man darauf achten, denn da drückt – auch bei ungeübten Dünnen – das Körpergewicht auf das Stand-Knie.
Man kann auch Hilfsmittel wie Gurte oder auch Blöcke einsetzen, aber die würde ich bei den meisten Asanas genauso auch bei Normalgewichtigen einsetzen. Aber klar: Manche Asanas werden für Dicke nie möglich sein, wie z.B. Chakrasana, das Rad, oder Sirshasana, der Kopfstand. Diese Haltung ist eher schädigend für die Gelenke bzw. Wirbelsäule, da du in manchen Fällen nochmal 80 oder mehr Kilo mehr nach oben drücken musst. Und gerade Schulter- und Kniegelenke sind die empfindlichsten!
Ich lehre es stattdessen so: Was für eine Heilwirkung hat ein spezielles Asana? Und muss ich genau dieses Asanas ausführen oder gibt es auch eine andere Haltung mit gleichen oder ähnlichen Effekten? Z.B. Schulterstand statt Kopfstand.
Was gibt es noch zu beachten, wenn ich fülligere Yoginis und Yogis unterrichte?
Bei Dicken muss man echt scannen und gucken, wie die Körperproportion ist. Wenn du fünf Dünne nebeneinanderstellst, dann haben diese meist eine ähnliche Körpersilhouette, die wie ein lang gezogenes Rechteck aussieht. Vielleicht hat die eine oder andere Frau mehr Busen, aber in der Regel ist es ein lang gezogenes Rechteck. Bei Dicken gibt es den Apfeltyp, den Birnentyp, manche Frauen haben einen relativ schmalen Oberkörper, aber ganz ausgeprägte Reiterhosen, einen großen Po oder kurze Beine.
Was heißt das für den Yogaunterricht? Man muss immer sehr genau hinschauen, welche Variante eines speziellen Asanas eine Person dann braucht. Wenn du z.B. acht Dicke in deinem Kurs hast, kannst du davon ausgehen, dass die nicht alle die gleiche Figur haben. Es kommt dann darauf an, für jede Schülerin, für jeden Schüler ein Asana so anzupassen, dass sie auch ihre Erfolgserlebnisse haben. Das geht alles, ist aber vielleicht ein bisschen aufwändiger und braucht ein Gespür und ein bisschen spezielles Wissen dafür.
Gerade auch bei Übergewichtigen gibt es auch viele, die mit ihrem gewichtigen Körper nicht glücklich sind. Wie kann der Yogaweg hier aussehen? Meiner Meinung nach musst du deinen Körper zuerst kennen und lieben lernen, denn nur dann kannst du ihn auch verändern. Yoga hilft uns, Gutes für uns selbst zu tun. Yoga ist so viel mehr als reiner Muskelaufbau oder -dehnung, er kann dir helfen, wieder mehr zu dir selbst zu kommen – das lässt dich glücklicher werden, zeitgleich gewinnst du auch mehr Selbstbewusstsein.
Und denkst du auch generell, dass es schöner ist, wenn es einen exklusiven Kurs für dicke Yoginis und Yogis gibt oder findest du es besser, wenn Yogastunden inklusiv und kunterbunt sind?
Das würde ich mir zwar so wünschen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Dicken unter sich sein wollen. Mollige Frauen sind irgendwie immer noch mehr mit Scham behaftet als normalgewichtige Frauen, weshalb sie auch oft keinen Mann dazwischen haben wollen. Und es gibt tatsächlich auch eine andere Gemütlichkeit in unseren Kursen. Die eine lacht, weil der Busen im Weg ist, die andere lacht, weil der Bauch im Weg ist. Ich habe daher die Erfahrung gemacht, besser nicht zu mischen und besser nach Geschlecht und oft auch nach Körpergewicht zu trennen – wenn du so willst. (lacht)
Hast du denn abschließend noch eine Idee, was wir in der Yogaszene tun können, um mehr eine Art Willkommenskultur zu kreieren?
Ich fände es vor allem auch wichtig, dass die Medien, die Abbildungen von Yogapositionen erstellen, auch mal Menschen mit einer anderen körperlichen Verfassung zeigen. Oft werden nur ästhetische, balletttänzerische Akrobaten gezeigt, die schon auf normalgewichtige Leute abschreckend wirken.
Als Studio könnte es auch mal ein spannendes Experiment sein, einen Yogakurs speziell für gewichtigere Yogis anzubieten und einfach zu schauen, was passiert. Wichtig wäre hier nur, dass die Yogalehrenden, die den Kurs ausrichten, auch authentisch rüberbringen können, dass Fortbildungen zu dem Thema absolviert wurden und man sich in die Teilnehmenden reinversetzen kann.
Ich beginne mein Fortbildungsseminar immer mit der Frage: „Beantworte für dich ehrlich, was denkst du, wenn du im Supermarkt Menschen mit Übergewicht siehst?“ Auch wenn wir auf unserem Yogaweg tolerant, offen und respektvoll miteinander umgehen wollen, so denken wir trotzdem Dinge wie: „Gott, ist die dick!“ „Die arme Frau!“ „Die ist undiszipliniert, ernährt sich bestimmt schlecht!“ – all diese Vorurteile müssen aus unseren Köpfen raus. Auch dass Dicksein eine Krankheit ist. Dick heißt nicht zwingend krank, dick heißt einfach nur anders. Gemütlicher meistens. In sich ruhender.
Ich höre raus: Mehr Wertschätzung, Entstigmatisierung und Ermutigung und so werden wir vielleicht ein bisschen willkommener – für alle! Danke für den Austausch, Birgit.
Birgit Feliz Carrasco: YOGA X-LARGE – Auch Dicke können Yoga machen. Systeme Verlag. 2015
Ausbildungen zur Yogalehrer:in und Fortbildungen „Yoga für Dicke“ für Yogalehrende – weitere Informationen unter: https://birgitfelizcarrasco.com