Pandit Rajmani Tigunait ist spirituelles Oberhaupt des Himalayan Institutes und befasst sich seit Jahrzehnten intensiv mit Patanjalis Sutras. Im Interview mit YOGA AKTUELL spricht er über Lebensfreude statt Lebensflucht, über den Unterschied zwischen Samadhi als Zustand und als Prozess und über das Beschützen des Geistes, das in vielen Sutra-Interpretationen als Bezwingen missverstanden wird.
Pandit Rajmani Tigunait sitzt in einem bequemen Sessel in Khajuraho, Indien, und lächelt herzlich. Der Campus des Himalayan Institutes (HI) ist ein idyllisches Anwesen, die Atmosphäre unter der kleinen Gruppe von Gästen und Mitgliedern des Institutes intensiv: Selbststudium und Meditationspraxis stehen im Vordergrund. Alles hier scheint die praktische Philosophie meines Interviewpartners, den seine Schüler liebevoll Panditji nennen, widerzuspiegeln.
Pandit Tigunait ist der spirituelle Kopf des von Swami Rama gegründeten Himalayan Institutes mit Sitz in Honesdale, Pennsylvania, in den USA. Er pflegt seit Jahrzehnten das Wissen aus der Tradition der Himalayan Masters und lehrt es im Westen. Aufgewachsen in einer Schriftgelehrtenfamilie, früh als Pandit ausgebildet, aber nur kurze Zeit priesterlich tätig, wechselte er an die Universität, studierte Sanskrit, erwarb zwei Doktorgrade in Indien und den USA. Diese akademische Ausrichtung war stets durch intensive spirituelle Praktiken ausgeglichen. Als junger Mann lernte er bei großen tantrischen Meistern, bevor ihn Swami Rama mit in den Westen nahm. Heute ist Pandit Tigunait international in Wissenschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft höchst vernetzt, ist jedoch einem Eid treu, sich nicht auf Politik, Religion und Sektiererei einzulassen. Pandit Tigunait vermittelt praktische und tiefgreifende Aspekte der Yogaphilosophie und Praktiken aus den tantrischen Yogatraditionen, insbesondere Shri-Vidya. Seine jüngste Publikation, die Neuübersetzung der Yoga-Sutras von Patanjali samt Kommentar, hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Im Interview gewährt er tiefe und teilweise persönliche Einblicke in seine praktische Sichtweise auf Philosophie sowie in die Mission des Himalayan Institutes.
Interview
YOGA AKTUELL: Sie haben die Yoga-Sutras neu übersetzt und kommentiert. Was ist aus Ihrer Sicht die Essenz der Sutras?
Pandit Rajmani Tigunait: Drei Aspekte stehen für mich im Zusammenhang mit der Essenz der Yoga-Sutras. Erstens: Das Buch ist im Wesentlichen für Praktizierende geschrieben, auch wenn ich mich natürlich im Rahmen der Samkhya-Philosophie bewege. Dennoch sind Übersetzung und Kommentar keine streng wissenschaftliche Abhandlung.
Zweitens: Mein Kommentar entspringt der Shri-Vidya-Tradition, einer Teiltradition des Tantrismus, die Lehren aus Vedanta […]