Innere Gesten als Schlüssel zur meditativen Versenkung – Wissenswertes und Praxisanleitungen.
Es gibt zwei Wortbedeutungen für „mudra“. Zum einen die wörtliche, die die Bedeutung von Siegel hat. Die zweite Bedeutung entsteht – wie so oft im Tantrismus – aus einer mystischen Etymologie. Hierbei wird „mudra“ hergeleitet von der Wurzel „mud“, das heißt „sich an etwas freuen“, „froh sein“; „mudra“ ist also das, was uns in eine solche freudige Verfassung führt.
Von Mudras als Handgesten zu inneren Gesten
Häufig werden unter „mudra“ allerdings Handgesten (hasta-mudra) verstanden. Man nimmt an, dass solche „Finger-Mudras“ schon seit der Zeit der Veden bekannt sind. Erst im Rahmen des Tantrismus entstand die hohe Kunst der Mudras als Zentrum der Übungspraxis des Hatha Yoga. Hier wandeln sich die Mudras von den Handgesten zu Gesten des Körpers oder zu inneren Gesten. Noch später, im Hatha Yoga, wurden sie zu einem Werkzeug, um den speziellen energetischen inneren Raum zu erschaffen, der hilft, Meditation entstehen zu lassen. Meiner Ansicht nach sind die Mudras sind in ihrer Gesamtheit das Herzstück des Hatha Yoga, also der Bereich, der am sorgfältigsten ausgestaltet worden ist. Allein Khechari Mudra sind 23 Verse im dritten Kapitel und 29 Verse im vierten Kapitel der Hatha Pradipika gewidmet (IV, 35 – 64), während mit 37 Versen die 15 Asanas abgehandelt werden, wodurch ihr Stellenwert und das Verhältnis von Mudra zu Asana deutlich klargestellt werden. Die meisten Mudras des Hatha Yoga sind in einer Weise erdacht, die so tief greifende Erfahrungen ermöglicht, dass die normalen Aktivitäten des Geistes völlig zum Erliegen kommen. Das, was erfahren werden soll, ist die Transformation der Energie, wenn die ruhende Potenzial des Bewusstseins – die Kundalini (= die Eingerollte) – erwacht und zur Bewusstseinsenergie – der Prana Shakti – wird.
Dringt der Prana in den mittleren Kanal (sushumna-nadi) ein, dann stößt damit auch die Wahrnehmung in Regionen vor, die sie sonst höchstens momentweise erahnt hat. Die Quellentexte drücken das so aus, dass die beiden Nadis Ida und Pingala, die die Polarität der Welt und ihrer Subjekt-Objekt-Beziehungen symbolisieren, sterben sollen. Aus diesem Tod wird ein neues Bewusstsein geboren: das Gewahrwerden der Einheit und damit des Nicht-Getrenntseins des Selbst mit dem Absoluten – jenseits jeder Form, zeitlos und bedingungslos.