Dr. Matthias Ennenbach (50) arbeitet seit rund 20 Jahren in klinischen Kontexten, eigener Praxis sowie als Seminarleiter und Ausbilder für Buddhistische Psychotherapie©. Die Buddhistische Psychotherapie© ist eine integrative, therapeutische Lehr- und Praxismethode, die Elemente aus den angewandten Neurowissenschaften und den westlichen Psychotherapiemethoden umfasst. Dr. Ennenbach ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. „Einführung in die buddhistische Psychotherapie“ (Windpferd Verlag 2012).
Internet: www.buddhistischepsychotherapie.de
Interview
Woran merke ich persönlich, ob mein Stresslevel zu hoch ist?
Dafür bleiben wir leider nur für begrenzte Zeit sensibel. Danach bauen sich in uns neuronale Strukturen ab, die für die Introspektionsfähigkeit zuständig sind. Wir müssen dann auf körperliche Symptome achten.
Wie vermitteln Sie Menschen, die noch überhaupt keine Selbstwahrnehmung und keine Selbststeuerungsfähigkeiten entwickelt haben, die Fähigkeit zur Introspektion und zur Selbststeuerung?
Ich nutze dafür sehr einfache bildliche Darstellungen. Wir alle können uns Bilder wesentlich besser einprägen als lange Erklärungen. So male ich die Umrisse eines Kopfes mit dem Gehirn und zeige, wo dort schmerzliche Erinnerungen oder auch Gedanken über sich selbst abgespeichert und reguliert werden. Zudem zeichne ich ein, wo die körperlichen Abläufe zum Tragen kommen. Dann lassen sich daraus sehr leicht die Zusammenhänge ersehen. So werden die relevanten Aspekte auf eine sehr persönliche und gleichzeitig auch universell-menschliche Weise transparent. Im nächsten Schritt erfolgen dann die Übungen zur Selbststeuerung, so dass jeder selbst Erfahrungen machen kann. Sich ein Bild machen zu können und Selbsterfahrungen zu machen, sind die mächtigsten Wirkmechanismen.
Was sind die drei Hauptmerkmale dafür, dass unser Stress im Begriff ist, uns krank zu machen?
Wir sind alle ausnahmslos betroffen, und es gibt daher keine Kranken und Gesunden, sondern nur mehr oder weniger stark Betroffene. Anzeichen sind:
1. Wie sieht Ihre Selbststeuerungsfähigkeit aus? Können Sie sich, und damit Ihr vegetatives Nervensystem (VNS), aktivieren oder beruhigen, wann und wo Sie es wollen?
2. Das Immunsystem ist mit dem VNS verbunden. Wenn wir gegen Erkrankungen weniger immun sind, ist das ein klares Indiz für zuviel Stress.
3. Wenn sich das Gefühl des Zeitrasens einstellt, ist das ein sicheres Zeichen für ein Leben mit Autopilot. Es ist ein Zustand tiefer Unbewusstheit, der den krankmachenden Gefahren des Lebens Tür und Tor öffnet.
Welche Hilfestellungen gibt es, um in die Bewusstwerdung des Augenblicks zu kommen?
Ohne Vorbereitung ist das natürlich nicht leicht. Wir müssen bei schönem Wetter segeln lernen, damit wir im Sturm nicht untergehen. Zu den Vorsorgemaßnahmen gehören zum Beispiel Techniken wie die Mikropausen: Dies bedeutet, sich viele Male pro Tag Zeit für ein paar bewusste Atemzüge zu nehmen. Das reduziert die Durchschnittsspannung messbar. Das Praktizieren von regelmäßiger Bauchatmung stimuliert den Parasympathikus im vegetativen Nervensystem als inneren Ruhepol, dieser kann sich dadurch stärken und bildet so eine innere Pufferzone.
Wie lange sollte Ihrer Erfahrung nach geübt werden?
20 Minuten täglich, bei viel Stress 45 Minuten. Tatsächlich sollte es nach dem Bekömmlichkeitsprinzip ablaufen, mit täglichen Übungen. Kombinationen aus sogenannten Mikropausen, die wir täglich oft, aber nur für ein paar Atemzüge durchführen, und dann ein- bis zweimal täglich eine Übung, die länger als 5 Minuten andauern sollte, sind ideal.
Wie kann ein Mensch, dessen Nervensystem vollkommen übererregt ist oder noch so in den Stressmodus eingebunden ist, dass er Ruhe oder Stillsitzen nicht lange aushalten kann, meditieren lernen?
Meditation ist kein Entspannungsverfahren, deshalb müssen wir dabei auch nicht nur ruhig und locker bleiben. Meditation ist ein Training, deshalb benötigen wir etwas Zeit und Übung. Wenn Sie sehr ruhelos sind, können Sie erst ein paar Asanas durchführen, bevor Sie sich zur Meditationsübung setzen. Dann setzen Sie sich in eine aufrechte Position und prüfen, wie sich das im Rücken anfühlt. Gleichzeitig testen Sie, was für eine Wirkung das Aufrechtsein auf Ihren Geist hat. Nach kurzer Zeit kann es unangenehm werden, dann unterbrechen Sie es. Das wiederholen Sie, so oft es geht. Dann kombinieren Sie das Aufrechtsitzen mit der bewussten Atmung. In Mikropausen wiederholen Sie das oft. Für den Anfang ist kein langes Sitzen nötig. Wenn Sie regelmäßig üben, wird es zu interessanten Veränderungen in Ihnen kommen.