Helga Baumgartner zählt zu den erfahrensten Yin-Yoga-Lehrerinnen. Mit YOGA AKTUELL sprach sie über die Kunst, eine stimmige Yin-Yoga-Stunde zu gestalten.
Was trägt zu einem harmonischen Sequencing im Yin Yoga bei? Inwieweit wird Harmonie von jeder einzelnen praktizierenden Person anders empfunden, und welche Rolle spielt dabei unser eigenes „Körpertagebuch“, das wir mit Haltungen stimulieren können? Verbindung scheint eine der entscheidenden Zutaten für mehr Harmonie in Yogastunden zu sein – und zwar die Verbindung mit dem eigenen Selbst, aber auch auf der zwischenmenschlichen Ebene mit den Praktizierenden. Über den vielschichtigen wie auch intuitiven Prozess des Sequencings sprachen wir mit der erfahrenen Yin-Yoga-Lehrerin Helga Baumgartner.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Was trägt dazu bei, dass in einer Yin-Yoga-Sequenz Harmonie kreiert wird?
Helga Baumgartner: Eine Yin-Yoga-Sequenz ist für mich ausgewogen, wenn ich auf der physischen Ebene starte und dem Modell folge, das Paul Grilley (der Gründer des Yin Yoga, Anm. d. Red.) entwickelt hat, der sehr funktional denkt. Dieses Modell heißt „14 – 10 – 7“ und bezieht sich auf vierzehn Skelettsegmente, zehn größere myofasziale Gruppen und sieben Yin-Yoga-Archetypen. Eine Yin-Yoga-Sequenz ist physisch gesehen ausgewogen, weil hier alle größeren Körperregionen berührt werden.
Warum? Weil ich den Körper wie ein Tagebuch verstehe. Und dieses Tagebuch hat an manchen Körperstellen ein paar Einträge, die sich in Spannungen oder in einer Festigkeit ausdrücken, vielleicht wurde hier auch eine Emotion oder ein Glaubenssatz gespeichert. Ich möchte dieses „Körpertagebuch“ möglichst ausgewogen bewegen und Stagnationen wieder ins Fließen bringen.
Wie wird dann Harmonie erzeugt? Schließlich wird ja jede Sequenz in jedem Körper unterschiedlich wahrgenommen.
Ob dann eine Harmonie erzeugt wird, das liegt nicht in meiner Hand, da ich nicht weiß, welche Person vor mir sitzt. Es könnte sein, dass da eine ganz große Harmonie oder ein Frieden im Inneren entsteht. Es könnte aber auch sein, dass sich beim Lösen dieser Tagebucheinträge Emotionen zeigen, die sich erst mal als Wut oder Trauer manifestieren, und dann empfindet die Person es vielleicht nicht direkt als Harmonie. Aber ich bin der Überzeugung, dass es letztlich als Folge dann durchaus wieder zu Harmonie führen kann, wenn man durch diese Prozesse des In-den-Fluss-Bringens geht.
Als unterrichtende Person wissen wir nicht, was eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer gerade individuell mit auf die Matte bringt: viel Spannung oder wenig, […]